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Rätselraten über Reifenstrategie: Nachteil für Ferrari?
Charles Leclerc und Sebastian Vettel machen sich keine Sorgen über ihre Strategie in Silverstone, die Konkurrenz kann die Logik dahinter aber nicht verstehen
(Motorsport-Total.com) - Genau wie beim Grand Prix von Österreich hat sich Ferrari auch in Großbritannien bewusst für einen Start auf den weichen Reifen (Soft/Rot) entschieden. Das kam im Qualifying für viele Beobachter überraschend, denn die Strecke in Silverstone gilt mit ihrer Vielzahl an schnellen Kurven mit hohen Fliehkräften als der Reifenkiller schlechthin.
"Das verstehen wir auch nicht", sagt etwa Mercedes-Teamchef Toto Wolff, vom 'ORF' auf die Ferrari-Strategie angesprochen. Seiner Meinung nach sind Charles Leclerc (3.) und Sebastian Vettel (6.) nun dazu gezwungen, zwei Boxenstopps einzulegen und zu Beginn zweimal Soft zu fahren, und das sei "nicht ideal".
Christian Horner geht es ähnlich: "Es steht nicht fest, dass es ein Einstopprennen wird. Aber ich würde vermuten, dass sie definitiv auf zwei Stopps gehen müssen", sagt der Red-Bull-Teamchef und rätselt: "Ich kann mir nur vorstellen, dass sie auf den Start setzen." Denn auf den ersten Metern bietet der rote Reifen gegenüber dem gelben einen Grip-Vorteil.
Für Max Verstappen (4.) steht fest: "Der Medium ist der bessere Rennreifen, weil er ein bisschen haltbarer ist. Im Moment verstehen wir nicht, warum sie das gemacht haben. Aber das werden wir morgen herausfinden, schätze ich." Dabei scheint die Antwort simpel zu sein: "Wir sind als Team der Meinung, dass das die bessere Wahl ist", hält Vettel dagegen.
Pirelli: Einstoppstrategie sehr unwahrscheinlich
Zu den Fakten: Laut Pirelli-Auskunft ist eine Einstoppstrategie für die 52 Runden (Start um 15:10 Uhr, bereits ab 14:40 Uhr im Formel-1-Liveticker) "praktisch ausgeschlossen". Wenn Ferrari davon ausgeht, dass alle zweimal stoppen müssen, ergibt der Start auf Soft Sinn. Denn dann kann ein gewonnener Start die Nachteile eines kurzen ersten Stints überwiegen.
Aber Mercedes und besonders Red Bull, so hört man, glauben sehr wohl, dass es zumindest theoretisch möglich ist, mit nur einem Boxenstopp durchzufahren. Dafür müsste man den ersten Stint auf Medium auf gut 20 Runden stretchen und anschließend für die übrigen knapp 32 Runden den Hard aufziehen.
Für Ferrari errechnet Pirelli als wahrscheinlichstes Szenario, dass die ersten 13 Runden auf Soft gefahren werden, dann noch einmal 13 Runden auf Soft und dann auf Hard bis ins Ziel. Für diejenigen, die auf Medium starten, sieht die schnellste Zweistoppstrategie 15 Runden im ersten Stint vor, dann 13 Runden auf Soft und dann ebenfalls auf Hard bis ins Ziel.
"Eine Zweistoppstrategie ist eindeutig die beste Variante", unterstreicht Pirelli-Sportchef Mario Isola. Eine Einstoppstrategie wird in Pirellis Rennvorschau gar nicht erst abgebildet, weil sie für so unwahrscheinlich gehalten wird. Drei Stopps seien hingegen sehr wohl eine Option - vielleicht auch für Ferrari, angesichts des extrem hohen Reifenverschleißes im Freitagstraining?
Aber die Italiener wähnen sich nicht auf dem falschen Dampfer: "In Österreich haben wir eine ganz ähnliche Entscheidung getroffen. Da haben wir im ersten Stint gut performt", erklärt Teamchef Mattia Binotto. Vettel ergänzt: "Man hat im Qualifying gesehen, dass nicht viel Unterschied ist zwischen dem gelben und dem roten Reifen."
0,7 Sekunden zwischen den Mischungen? Fehlanzeige!
Pirelli hatte am Freitagabend prognostiziert, dass 0,7 Sekunden pro Runde zwischen Soft und Medium liegen. Doch am Ferrari war der rote Reifen bei weitem nicht um so viel schneller. Andererseits baut er auch nicht so schnell ab wie befürchtet. Nur der linke Vorderreifen ist ein echtes Sorgenkind.
Binotto spekuliert: "Wir denken, dass die weichen Reifen für den ersten Abschnitt des Rennens eine gute Wahl sein könnten. Aber das erfahren wir erst im Rennen. Es ist auf jeden Fall etwas anders als bei unseren Gegnern, und vielleicht wird es ein Vorteil für uns sein." Leclerc ergänzt: "In Österreich war diese Entscheidung nicht so verkehrt."
Doch da gibt's einen wesentlichen Unterschied: Der Red-Bull-Ring besteht in erster Linie aus Geraden und mittelschnellen Kurven, der Reifenverschleiß ist dort eher gering. Silverstone ist diesbezüglich hingegen eine der extremsten Strecken des gesamten Formel-1-Kalenders. Man denke nur an die Reifenplatzer vor einigen Jahren.
Trotzdem betont Leclerc: "Das war schon so geplant. Unser Longrun am Freitag war nicht so toll, aber das lag nicht am Reifen. Wir hatten Probleme mit der Vorderachse. Das war im Qualifying besser. Im Rennen werden wir sehen, ob unsere Longruns jetzt auch besser geworden sind. Aber ich bin mir sicher, dass das nicht am Reifen lag."
Warum ein längerer erster Stint besser wäre
Ein Boxenstopp kostet in Silverstone 19 bis 20 Sekunden. Ferrari muss danach trachten, nach dem ersten Reifenwechsel nicht mitten im Verkehr zu landen. Bei einem 13-Runden-Stint bedeutet das, dass Leclerc pro Runde eineinhalb Sekunden auf Daniel Ricciardo & Co. herausfahren muss. Das ist ambitioniert, denn in Q3 betrug der Unterschied weniger als eine Sekunde.
"Das Ziel ist, den Reifenvorteil am Start zu nutzen, Positionen zu gewinnen und die Position dann auch zu halten", verrät Leclerc, an diesem Wochenende womöglich der erste Mercedes-Herausforderer. "Sie hinter uns zu halten, wird aber extrem schwierig, denn sie sind in den Longruns wirklich schnell. Aber ja, das ist unser Ziel."
"Wenn ich mir das Freitagstraining anschaue, dann wird es sehr schwierig, mit Mercedes mitzuhalten. Lewis' Longruns waren sehr, sehr stark", räumt der Franzose ein - und grinst: "Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann wäre das Start auf Soft, sieben Runden, Regen - und Wechsel auf Regenreifen. Aber ich kann es mir leider nicht aussuchen."
Während alle vom Duell Mercedes gegen Leclerc sprechen, sollte man auf Verstappen nicht ganz vergessen. Der Niederländer war im Qualifying bis auf zwei Zehntelsekunden an der Spitze dran - und sein RB15 gilt als das reifenschonendste Auto im Feld. "Red Bull", weiß Leclerc, "hat in den Rennsimulationen auch sehr gut ausgesehen."
Vettel sieht das ähnlich: "Mercedes", glaubt er, "sollte schon Favorit sein. Aber dahinter denke ich, dass wir uns einen Kampf auf Augenhöhe mit Red Bull liefern werden." Eine Einschätzung, mit der Verstappen nicht ganz einverstanden ist: "Wir liegen alle eng beisammen", sagt er zwar, aber: "Es ist nicht so, dass Mercedes auf und davon fahren wird ..."