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Formel-1-Training Kanada 2019: Mercedes trotzdem Favorit!
Lewis Hamilton crasht in Montreal, Valtteri Bottas fährt mit angezogener Handbremse - und so gibt's am Freitag eine Doppel-Bestzeit für Ferrari
(Motorsport-Total.com) - Wer hätte das gedacht? Im ersten Freien Training hat Ferrari noch eine Sekunde auf Mercedes verloren. Aber in der zweiten Session am Freitagnachmittag in Montreal hat sich Charles Leclerc vor Sebastian Vettel die Bestzeit gesichert - während Lewis Hamilton aufgrund eines Crashs die so wichtigen Longrun-Tests auslassen musste. Beim Grand Prix von Kanada (Formel 1 2019 live im Ticker) deutet also vieles auf ein spannendes Duell zwischen Ferrari und Mercedes hin.
Leclerc stellte eine Tagesbestzeit von 1:12.177 Minuten auf und verwies Vettel (+0,074) und Bottas (+0,134) hauchdünn auf die Plätze. Der Papierform nach, so Vettel bereits am Donnerstag, sei Montreal eine der besseren Chancen, Mercedes nach sechs Niederlagen erstmals herauszufordern. Und danach sieht es jetzt tatsächlich aus. Oder?
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass Mercedes trotz Ferraris Doppel-Bestzeit klarer Favorit auf Pole-Position und Sieg in Montreal ist. Denn WM-Leader Lewis Hamilton war nicht mehr in der Verlosung, als auf den weichsten Reifen über die Bestzeit entschieden wurde. Eine kleine Unachtsamkeit hatte seine Session schon nach acht Runden beendet.
Hamilton räuberte in Kurve 9 zu hart über den Randstein und verlor in der Folge die Kontrolle über seinen F1 W10 EQ Power+. Der Einschlag in die Mauer war hart, die Radaufhängung rechts hinten kollabierte sofort. Zwar schleppte er den Mercedes noch mit Reifenschaden zurück in die Box, aber an eine Wiederaufnahme der Session war nicht zu denken.
Spannend: Soft-Reifen zu weich für das Rennen?
Die Mechaniker nahmen stattdessen die komplette Heckpartie ab - "vorsichtshalber", wie das Team ausrichten ließ. Also lastete die Verantwortung, mit verschiedenen Reifen Longrun-Daten für Sonntag zu sammeln, auf Bottas. Der verbrachte die meiste Zeit auf dem Hard, während Leclerc seinen längsten Run auf Medium fuhr und Vettel auf Soft.
Dabei zeigte sich: Der Soft, der im Vorfeld als Reifen Nummer 1 für Montreal eingestuft wurde, scheint viel zu schnell abzubauen. Und der Hard ist zwar haltbar, aber etwas langsamer als der Medium. Umso beeindruckender, dass Bottas praktisch mit Fallen der Flagge eine Zeit von 1:16.261 Minuten aus dem Ärmel schütteln konnte.
Denn die Ferraris hatten in ihren schnellsten Phasen bestenfalls 1:17er-Zeiten gesetzt, Vettel fiel mit dem Soft auf 1:19 hoch ab. Als Leclerc und Vettel im Finish mit Medium direkt gegeneinander fuhren, schafften sie auch keine 1:16er-Zeit. Das zeigt, wie groß das Potenzial des Mercedes ist - wenn auch eine schnelle Runde nicht zwangsläufig viel über die Konstanz aussagt.
Traktion: Ferrari ohne Chance gegen Mercedes
Die Stärken sind klar verteilt: Ferrari hat den besseren Topspeed, Mercedes kann die Kurven besser. Im ersten Sektor mit dem Senna-S gewann Bottas 0,258 Sekunden auf Leclerc. Im zweiten und dritten Sektor, wo Power und Aero-Effizienz im Vordergrund stehen, nahm ihm Leclerc 0,121 beziehungsweise 0,232 Sekunden ab.
"Der Ferrari", beobachtet Formel-1-Experte Jenson Button während der 'Sky'-Übertragung, "hat nicht die gleiche Traktion wie der Mercedes." Ferrari, das konnte man hören, musste aus den Kurven heraus früh hochschalten, um in Sachen Traktion überhaupt Land zu sehen. Und das Herausbeschleunigen etwa aus der Haarnadel ist in Montreal kriegsentscheidend.
Während das Duell Ferrari gegen Mercedes die Analysten fasziniert, spielt Red Bull an diesem Wochenende überhaupt keine Rolle. Pierre Gasly (+1,168) landete auf P12, Max Verstappen (+1,211) auf P13. Was sicher auch daran lag, dass Verstappen die "Wall of Champions" küsste, als er gerade die weichsten Reifen drauf hatte.
Verstappen-Crash von Gasly ausgelöst
Eine unglückliche Situation: "Pierre war vor mir. Da hat mir ein bisschen Anpressdruck gefehlt, und so habe ich dann in die Mauer untersteuert", schildert Verstappen. "Normalerweise wäre ich auf dem vierten Platz gelandet. Das ist okay. Natürlich muss ich noch arbeiten. Von der Balance her war es okay, vom Grip nicht."
In der folgenden Phase der Longrun-Tests konnte Verstappen kaum fahren, und so ist Red Bulls Abschneiden am Freitag sicher nicht repräsentativ. Die paar Runden, die zu sehen waren, waren aber nicht berauschend. Gasly hatte schon in FT1 nur P13 belegt. Das war noch erklärbar: "Da sind wir unterschiedliche Spezifikationen gefahren", klärt Teamchef Christian Horner auf.
Das Mittelfeld scheint in Montreal so umkämpft zu sein wie noch nie in dieser Saison. Zwischen dem fünften und dem 17. Platz (jeweils ein Haas: Kevin Magnussen und Romain Grosjean) lagen nur 0,663 Sekunden. Oder, anders ausgedrückt: Im Durchschnitt bedeutet eine Steigerung von nur fünf Hundertstelsekunden eine Position im Klassement!
Da standen dann auch Namen weit vorne, die man sonst eher weiter hinten findet: Carlos Sainz (McLaren) auf P4 oder Sergio Perez (Racing Point) auf P7 zum Beispiel. Letzterer findet: "Ich bin ziemlich überrascht von McLaren. Die waren heute sehr stark. Wir müssen schauen, wie viel der neue 'Party-Modus' bringt. Vielleicht ist dann Q3 drin."
Renault: Q3 sollte locker möglich sein
Das Renault-Duo Daniel Ricciardo und Nico Hülkenberg sicherte sich die Positionen acht und neun, was nach den jüngsten Enttäuschungen ein Aufwärtstrend ist - auch wenn das große Update erst in zwei Wochen in Le Castellet kommen soll. Besonders die Longrun-Zeiten im Finish, im tiefen 1:17er-Niveau, waren richtig stark und eindeutig "Best of the Rest".
Und sonst? Lokalmatador Lance Stroll (dessen Team ausgerechnet beim Heimrennen vergessen hat, Fanartikel zum Verkaufen mitzubringen) und Grosjean müssen wegen eines Rendezvous auf der Strecke bei den Rennkommissaren vorsprechen. Und Antonio Giovinazzi (18./Alfa Romeo) konnte nach seinem FT1-Crash wegen eines Getriebewechsels nur 16 Runden drehen.
Doch das, was am Freitag noch Stand der Dinge war, muss nicht zwangsläufig für den Rest des Wochenendes in Stein gemeißelt sein. Wie volatil die Bedingungen auch bei Sonnenschein sein können, zeigte der Temperaturunterschied zwischen FT1 und FT2: Der Asphalt war am Morgen noch unter 30 Grad kühl, am Nachmittag erhitzte er sich dann auf bis zu 50 Grad ...