Lob und Verständnis von Rivalen: Leclerc nach Crash knallhart zu sich selbst
Wie Ferrari-Pilot Charles Leclerc mit der Enttäuschung seines Qualifying-Crashs umgeht, ringt Sebastian Vettel, Lewis Hamilton und Valtteri Bottas Respekt ab
(Motorsport-Total.com) - Ferrari-Pilot Charles Leclerc ist ohne Frage die tragische Figur des Formel-1-Qualifyings zum Grand Prix von Aserbaidschan in Baku.
Nach Bestzeiten in allen Freien Trainings und P2 im ersten Quali-Segment (Q1) brachte sich der Monegasse mit seinem Crash in Q2 um die große Chance auf einen vorderen Startplatz. Ob es unter normalen Umständen die Pole-Position geworden wäre, lässt sich nicht sagen. Besser als P9, von dem er ins Rennen gehen wird, hätte Leclerc aber wohl allemal abgeschnitten.
Sowohl in seiner ersten Reaktion via Boxenfunk ("Ich bin dumm") als auch in seiner ausführlichen Stellungnahme vor den TV-Kameras im Fahrerlager ("Das Problem waren nicht die Reifen, sondern einfach ich selber") ging Leclerc äußerst hart mit sich selbst ins Gericht. Mit dieser Haltung präsentierte er sich am Samstag auch via Social-Media, indem er kurz nach dem Crash twitterte, "unbrauchbar" gewesen zu sein.
Wie beurteilen Leclercs direkte Konkurrenten um die vorderen Platzierungen in der Formel-1-Saison 2019 - Ferrari-Teamkollege Sebastian Vettel sowie das Mercedes-Duo Lewis Hamilton und Valtteri Bottas - die knallharte Einschätzung des 21-jährigen Monegassen sich selbst gegenüber?
"Nun, ich denke, das ist normal. Wenn man einen Fehler macht, ist man nicht glücklich darüber", meint Vettel, um Leclerc für dessen gnadenlose Selbsteinschätzung zu loben: "Dass er sich selbst gegenüber kritisch ist, ist meiner Meinung nach auch ein Grund, dass er es soweit gebracht hat."
"Ich glaube, keiner von uns mag diesen Teil des Rennfahrerlebens, aber von Zeit zu Zeit gehört dieser Teil eben genauso dazu", so Vettel, um das Positive zu sehen: "Das Wochenende ist noch nicht vorbei. Wir haben ein gutes Auto und ich bin mir sicher, wir können als Team zurückschlagen."
Zurückschlagen heißt aber wohl kaum, nach bislang drei Mercedes-Doppelerfolgen 2019 auch im vierten Saisonrennen wieder geschlossen hinter den beiden Silberpfeilen abzuschließen. Wie bewertet man im Mercedes-Lager die Leclerc-Reaktion?
"Ich wäre genauso", sagt WM-Spitzenreiter Hamilton, der sich im Kampf um die Baku-Pole knapp seinem Teamkollegen Bottas geschlagen geben musste, obwohl er selbst auf seiner entscheidenden Q3-Runde einen Windschatten - von Bottas - hatte, der Finne aber keinen solchen hatte.
"Wenn es dein eigener Fehler ist, dann bist du hart zu dir selber", erkennt sich Hamilton in Leclerc wieder, merkt aber gleichzeitig an: "Wenn man älter wird, gilt das vielleicht ein bisschen weniger als wenn man jünger ist. So oder so ist es schmerzhaft."
"Auf einer Strecke wie dieser lastet viel Druck auf seinen jungen Schultern", weiß Hamilton auch um die besonders emotionale Bedeutung des Baku City Circuit für Leclerc. Und der inzwischen fünfmalige Formel-1-Weltmeister kann sich nur zu gut in die Gedanken des gerade mal in seiner zweiten Saison befindlichen Shootingstars versetzen.
"Bei mir war es jahrelang so, dass ich in einer solchen Erfahrung für zwei oder drei Tage nicht aus meinem Hotelzimmer kam", sagt Hamilton und weiter: "Deshalb kann ich es absolut verstehen. Ich finde es cool, dass er so offen damit umgeht. Im Rennen kann er ganz sicher nach vorn kommen."
Und auch Polesetter Bottas weiß aus eigener Erfahrung: "Die Fehler, die du dir selbst zuzuschreiben hast und die du hättest vermeiden können, sind diejenigen, die am meisten weh tun. So gesehen kann ich es absolut verstehen. Wir Finnen schreien das vielleicht nicht ganz so deutlich heraus, aber die Gefühle sind die gleichen."
Allerdings sehen nicht alle die Schuld für den Q2-Crash uneingeschränkt bei Leclerc. Allen voran Ex-Weltmeister Nico Rosberg nimmt nicht etwa den 21-jährigen Monegassen, sondern das Ferrari-Team für die riskante Reifenstrategie verbal in die Mangel.