• 19. März 2019 · 09:08 Uhr

Mattia Binotto: Teamorder war "keine schwierige Entscheidung"

Ralf Schumacher findet, dass Ferrari mit der Teamorder pro Sebastian Vettel in Melbourne genau richtig entschieden hat, Christian Klien sieht das hingegen anders

(Motorsport-Total.com) - Ferrari hatte bereits vor Saisonbeginn angekündigt, dass Sebastian Vettel und Charles Leclerc 2019 zwar frei fahren dürfen, im Zweifel aber erstmal Vettel Priorität genießen soll. Ein Credo - ganz anders als noch 2018 -, das bereits beim ersten Rennen in Melbourne angewendet wurde. Denn als Leclerc im Finish der schnellere der beiden Ferrari-Piloten war, wurde er vom Kommandostand zurückgepfiffen.

"Soll ich hinter Sebastian bleiben?", erkundigte er sich am Funk und bekam als Antwort: "Ja. Und lass dich ein bisschen zurückfallen." Der 21-Jährige nahm das mit einem knappen "Okay" relativ gelassen zur Kenntnis - und blieb auch nach dem Rennen cool. "Er verhält sich wie ein Teamplayer", lobt Teamchef Mattia Binotto.

Die Gefahr, dass Leclerc nur nach außen gute Miene zum bösen Spiel macht und innerlich stocksauer darüber ist, nur die Nummer 2 zu sein, sieht Ralf Schumacher nicht. Der sechsfache Grand-Prix-Sieger ist 2019 Nachfolger von Marc Surer als Experte am Sky-Mikrofon - und hat in Spa 1998 selbst erlebt, was es heißt, als junger Fahrer den routinierten Teamkollegen nicht attackieren zu dürfen.

"Ich war zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht begeistert, gar keine Frage", erinnert sich Schumacher im Formel-1-Podcast 'Starting Grid' an jenes denkwürdige Rennen, das letztendlich sein Teamkollege Damon Hill gewann. "Trotzdem war es nun mal Teil unserer Abmachung. So wird es auch in dem Fall sein. Charles wusste, auf was er sich da einlässt. Deshalb wird er sich auch nicht beklagen."

Binotto zieht seine angekündigte Linie durch

Die Frage Teamorder ja oder nein, sagt Binotto, sei in Wahrheit gar keine Entscheidung gewesen. Und wenn, "dann bestimmt keine schwierige. Sebastian hatte wenig Grip und ging nicht volles Tempo, brachte nur das Auto nach Hause. Charles hatte einen tollen zweiten Stint. Aber zehn Runden vor Schluss gab es keinen Grund dafür, irgendein Risiko einzugehen. Es ging ja nicht um den Sieg. Heute hatte für uns Priorität, das Auto nach Hause zu bringen und die Punkte zu holen."

Diese konservative Herangehensweise scheint sich Ferrari für den Saisonbeginn generell als Credo auferlegt zu haben. Denn auch die Chance, im Finish einen Boxenstopp einzulegen, um noch den Bonuspunkt für die schnellste Runde abzustauben, ließ man sich entgehen. Ähnlich wie Mercedes hatte Ferrari vor dem Rennen entschieden, für einen einzigen Punkt nicht das Risiko eines missratenen Boxenstopps einzugehen.

Für die Zuschauer sah es so aus, als sei Leclerc in Melbourne der deutlich schnellere Fahrer gewesen. Auf Twitter und Facebook kritisieren viele, dass sich Ferrari auf Vettel festlegt, obwohl Leclerc ihn vielleicht überholen hätte können. Besonders diejenigen, die seinerzeit schon mit dem Status von Michael Schumacher bei Ferrari ein Problem hatten, schreien auch jetzt wieder laut auf.


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Tatsache ist: Vettel war im Qualifying um drei Zehntelsekunden schneller als Leclerc. Er konnte im ersten Stint, bei gleichen Bedingungen, das höhere Tempo gehen. Erst in der Schlussphase, als Leclerc die frischeren Reifen hatte und Vettel seine schonen musste, schrumpfte der Abstand zwischen den beiden. Da hätte Leclerc womöglich angreifen können. Aber Vettel fuhr auch nicht am Limit.

Aus Ferrari-Sicht ergab es keinen Sinn, Vettel des eigenen Teamkollegen wegen zu zwingen, auf abgefahrenen Reifen das Rennen zu riskieren. "Der ganze zweite Stint auf den Mediums war nicht so stark. Ich weiß nicht genau warum", erklärt Vettel. "Im ersten Stint war ich zufrieden. Im zweiten nicht. Es war bei mir genau andersrum als bei Charles."

Denn der tat sich bis zum ersten Boxenstopp schwer: "Der Soft war nicht konstant. Die Balance war nicht gut. Es war da aber auch noch mehr Wind. Vielleicht lag es daran. Der zweite Stint war dann viel besser, die Balance war berechenbarer und ich fühlte mich im Auto wohler. Wir müssen uns die Daten genauer anschauen, um das zu verstehen."

Schumacher: Leclerc wird noch "Lehrgeld bezahlen"

Für Ralf Schumacher war die Ferrari-Entscheidung, in der Schlussphase des Rennens kein Rad-an-Rad-Duell zwischen den beiden Fahrern zuzulassen, konsequent: "Wenn es so ist, dass vor Sebastian keine Chance mehr ist, jemanden einzuholen, und der Teamkollege von hinten kommt, und dahinter auch kein großes Risiko ist, dann finde ich die Entscheidung durchaus richtig."

"Auch vor dem Hintergrund, dass Charles noch ein junger Fahrer ist. Sicherlich ein mega Talent, gar keine Frage. Aber er wird auch noch sein Lehrgeld bezahlen", sagt Schumacher. "Auch wenn in Italien gerade die Hölle ausgebrochen ist Sebastian gegenüber, finde ich, hat Ferrari auf jeden Fall die richtige Entscheidung getroffen. Charles kann und muss damit leben, weil er es vorher wusste."

Da ist Christian Klien anderer Meinung. Der ehemalige Red-Bull-Pilot sagt bei 'ServusTV', er verstehe "überhaupt nicht, dass man so früh in der Saison, beim ersten Rennen schon, eine Stallorder gibt. Noch dazu um Platz vier. Es ist auch für die Fans und für die Formel 1 schade." Vettels Reifen seien "mehr oder weniger dahin" gewesen, und "Leclerc hätte ganz locker an ihm vorbeifahren können".

Schumacher hingegen versteht die Logik der neuen Ferrari-Strategie. Schließlich ist es nicht so, dass Leclerc generell nicht gewinnen darf oder immer hinter Vettel bleiben muss. Aber wenn es Situationen gibt wie in Melbourne, in denen die Interessen des Teams vor denen des Fahrers stehen, soll Vettel Priorität genießen. Zumindest solange er diesen Nummer-1-Status mit sportlichen Leistungen rechtfertigt.

Gerade Vettel gilt zudem als Fahrer, der die Rückendeckung seines Teams spüren muss, um Höchstleistungen abrufen zu können. Diese Wohlfühloase will ihm Ferrari 2019 geben. 2018 war das bekanntlich nicht immer der Fall: "Mercedes hat das letztes Jahr richtig gemacht und Ferrari falsch", findet Schumacher. Er bezeichnet es als "extrem wichtig" für den betroffenen Fahrer, sich als Nummer 1 zu fühlen.

Ferrari habe "Gott sei Dank" aus den Erfahrungen der Saison 2018 gelernt, "denn der Fahrer braucht diesen Background. Es kommen so Wochenenden wie dieses. Dann kommt auch noch ein technisches Problem dazu. Da braucht der Fahrer jede Unterstützung und die Gewissheit, dass das Team zu jeder Zeit hinter ihm steht."

Leclerc: Lob von Binotto und Vettel

Zumal es für den Newcomer Leclerc (21) sicher leichter ist als für den viermaligen Weltmeister Vettel (31), sich teamintern unterzuordnen. Für Leclerc, sagt Vettel, muss mit dem Ferrari-Vertrag ein Traum wahr geworden sein - "ganz ähnlich wie damals bei mir. Aber wir sind jetzt natürlich an ganz unterschiedlichen Punkten unserer Karriere."

"Charles macht sich bisher wirklich gut. Er wird mich unter Druck setzen. Das ist mir völlig klar", ist sich Vettel sicher. "Er hat großes Talent. Und ich würde gern mal seine Eltern treffen (Leclercs Vater ist 2016 verstorben; Anm. d. Red.) und ihnen gratulieren, denn sie haben, so scheint mir, ihren Sohn sehr gut erzogen. Er ist ein netter Kerl und ein schneller Rennfahrer. Ich bin mir sicher, dass wir uns harte Fights liefern werden. Aber wir werden auch Spaß haben."

Von Teamchef Mattia Binotto gibt's nach dem ersten Rennwochenende - trotz einiger kleiner Fehler wie zum Beispiel einem Ausritt im Rennen - nur Lob für Leclerc: "Er hat sich sehr gut ins Team eingefügt und tut sein Bestes, sich einzubringen und die Ingenieure zu pushen, damit sie ihm ein noch besseres Auto geben."

"Sein erstes Wochenende", lobt Binotto, "war ein starkes. "Sein Quali war nicht perfekt. Das weiß er. Aber in Q1 und Q2 ist er gut gefahren, nur Q3 war vielleicht nicht ganz perfekt. Insgesamt war es ein gutes Wochenende. Sein zweiter Stint im Rennen war auch sehr gut. Ich bin zufrieden damit, wie er an das erste Rennen herangegangen ist. Das ist eine gute Basis."

Übrigens: Den Formel-1-Podcast "Starting Grid" mit den Sky-Kommentatoren Ralf Schumacher und Sascha Roos gibt's jetzt in voller Länge im Radioplayer auf Motorsport-Total.com, komfortabel via kostenlosem iTunes-Abo oder auch direkt bei unserem Kooperationspartner meinsportpodcast.de. Ideal zum Beispiel für die nächste längere Autofahrt oder eine Joggingrunde!

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