Williams abgeschlagen Letzter: Das neue Minardi der Formel 1
Über 1,5 Sekunden Rückstand auf den Rest der Welt, ein Rückkehrer auf Abwegen und zu wenig Ersatzteile: Wie tief kann der Fall von Williams noch werden?
(Motorsport-Total.com) - Dass mit einem wenig erprobten, gerade erst zwecks Legalität umgebauten Auto für Williams beim Formel-1-Saisonauftakt in Melbourne nicht viel zu reißen sein würde, war von vorn herein klar. Doch die Abbildung der objektiven Realität ist brutal: 1,720 Sekunden betrug der Rückstand von George Russell im zweiten Freien Training auf Lando Norris auf Rang 18. (Ergebnisse des Formel-1-Auftakts 2019 in Melbourne) Am Vormittag waren es sogar fast zwei Sekunden. Auf die Spitze fehlen deren vier. Das Auto ist schwer fahrbar. Und jetzt sollen auch noch Ersatzteile fehlen.
Williams ist ganz weit unten angekommen. Zwar nicht so weit unten wie der Versuch jener drei kleinen Teams von 2010, die mittlerweile alle nicht mehr existieren. Aber auf einem Niveau, das auf die heutige Formel 1 hochgerechnet dem von Minardi entspricht. Zwar mag deren Abstand in den frühen 2000er-Jahren noch größer gewesen sein, doch damals erlaubte das Reglement größere technische Freiheiten und man fuhr in der Regel mit einem jahrealten Motor - anders als Williams, wo die bärenstarke aktuelle Mercedes-Antriebseinheit ihren Dienst verrichtet.
Kubica genervt: Auto kaum fahrbar
Williams brachte im Albert Park den modifizierten FW42 durch die technische Kontrolle und auf die Strecke. Im Falle George Russells im ersten Freien Training mit einer kleinen technischen Panne, als der Bolide am Boxenausgang abstarb. Während der britische Rookie emsig Erfahrung sammelte, rutschte Robert Kubica von der Strecke und beschädigte sich dabei das Fahrzeug.
Das hatte Konsequenzen, wie der Pole selbst schildert: "Wir haben leider nicht viele Ersatzteile. Das hat uns gerade im zweiten Training eingeschränkt. Das Auto ist bereits schwer zu fahren. Wenn man dann auch noch mit anderen Problemen zu kämpfen hat, wird es noch schwieriger." Kubica zufolge müssen sich die Williams-Piloten von den Randsteinen fernhalten, da sonst das Auto weiter beschädigt werden würde.
Was eigentlich ein fröhliches Comeback in der Formel 1 nach acht Jahren Abstinenz hätte werden sollen, entwickelt sich für den 34-Jährigen zu einer Frustpartie. "Es ist gut, hier zu sein, selbst wenn es sich seltsam anhören mag, weil man bei so einer Langsamkeit kaum Positives finden kann", versichert er. Zeit, die zahlreichen polnischen Fans auf den Tribünen zu bewundern, hat er dabei nicht: "Wenn man so mit dem Auto darum kämpft, es überhaupt auf der Strecke zu halten, dann hat man dafür keine Zeit."
Russell guter Dinge: So schlecht ist es gar nicht
Rookie George Russell, der in der Endabrechnung 0,202 Sekunden vor Kubica landete, sieht alles ganz anders. Bei seinem ersten Formel-1-Wochenende als Stammfahrer ist die Welt noch rosarot: "Es war großartig, einfach nur zu fahren. Als ich zum ersten Mal auf Kurve 3 zugefahren bin, fühlte es sich an, als würde ich fliegen. Alles war so nah dran - das war echt ein cooles Gefühl."
Und die eigene Position im Feld? Hier bemüht der amtierende Formel-2-Meister die Mercedes-PR-Schule: "Wir sind weit hinter allen anderen, aber wir kannten unsere Lage. Wir wissen, wozu das Wochenende - oder die ersten Rennen - da ist/sind und müssen darauf aufbauen. Wir müssen schauen, dass wir im Laufe der Saison ein besseres Paket haben."
Überraschenderweise sagt der Rookie im Gegensatz zu Kubica aus, dass das Fahrzeug gut zu fahren gewesen sei: "Im vergangenen Jahr hat es Probleme mit der Fahrbarkeit gegeben, aber jetzt sieht es in dieser Hinsicht gar nicht so schlecht aus. Nur die Rundenzeiten sind nicht so toll. Die Jungs können sich jetzt rein darauf konzentrieren, mehr Abtrieb ans Auto zu bringen." Von dem kleinen Malheur im ersten Training am Boxenausgang abgesehen, erwischte der britische Youngster einen problemlosen Tag.
Wie Williams legal wurde
Williams musste vor dem Großen Preis von Australien 2019 sein Fahrzeug umbauen, weil es in zwei Teilen als nicht legal eingestuft wurde: Die gekrümmten Außenspiegel, die den Luftstrom über den Seitenkasten hinweg positiv beeinflussten, mussten einer konventionelleren Lösung weichen, die an diejenige von Toro Rosso erinnert.
Außerdem musste die Vorderradaufhängung umgebaut werden: Williams hatte hier ein dem unteren Querlenker vorgelagertes Element hinzugefügt, womit die Gesamtzahl der Aufhängungsteile an der Front sieben betrug. Im Regelwerk festgelegt sind jedoch nur deren sechs. Wie Williams einen derart klaren Passus im Reglement übersehen konnte oder umgehen wollte, ist vielen Experten ein Rätsel.
Daneben brachte Williams auch einen neuen T-Wing nach Melbourne, um mehr Grip am Heck zu erzeugen. Die Mittelsektion ist ein wenig nach unten gebogen, was zwar an dieser Stelle leichten Auftrieb erzeugt, den Luftstrom aber direkt nach unten auf die hintere Crashstruktur leitet, wo er für Abtriebszwecke genutzt werden kann. In Richtung der Außenseiten ist der T-Wing wiederum leicht nach vorne gewölbt, was ein wenig Abtrieb kreiert.