• 11. November 2018 · 19:41 Uhr

Formel 1 Brasilien 2018: Rauferei überschattet Mercedes' Triumph!

Lewis Hamilton macht Mercedes mit dem Sieg in Interlagos zum Konstrukteurs-Weltmeister, aber alle reden nur von der Rauferei zwischen Verstappen und Ocon

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton (Mercedes) hat den Grand Prix von Brasilien in Interlagos, Sao Paulo, gewonnen. Moralischer Sieger war aber nicht der frischgebackene Weltmeister, sondern Max Verstappen (Red Bull). Denn der 21-Jährige sah wie der sichere Sieger aus, bis er in der 44. von 71 Runden beim Überrunden ausgerechnet mit Mercedes-Junior Esteban Ocon (Force India) kollidierte.

Verstappen, davor mit 2,9 Sekunden Vorsprung in Führung, hatte plötzlich wieder 5,4 Sekunden Rückstand auf Hamilton. Die waren mit "50 Punkte weniger Downforce" (Helmut Marko) nicht mehr aufzuholen. Am Ende kam er zwar noch bis auf 1,5 Sekunden heran, doch es reichte nicht für eine Attacke - obwohl Hamilton die härteren (Medium vs. Soft) und älteren (um 16 Runden) Reifen hatte.

Verstappen schimpfte Ocon in einer ersten Reaktion einen "Idioten" und zeigte ihm den Stinkefinger. Rückendeckung erhält er von Motorsportkonsulent Marko: "Unglaublich, ich habe so etwas noch nie gesehen", stört sich Red Bulls Motorsportkonsulent besonders an der Tatsache, dass ein Mercedes-Junior das Rennen zugunsten von Mercedes entschieden hat. Das sei "lächerlich" und "idiotisch".

Das Gespräch mit Ocon werde er nicht suchen: "Ich rede mit dem Idioten gar nicht." Eine Einstellung, die auch Verstappen gut getan hätte. Der Heißsporn nahm sich Ocon nämlich noch vor der Siegerehrung auf der FIA-Waage zur Brust, schubste den Franzosen mehrmals weg und wurde handgreiflich. Eine Situation, die ein Nachspiel haben könnte. Artikel 151.c lässt grüßen ...

Verstappen handgreiflich, schimpft Ocon eine "Pussy"

Aber wenn, dann nur durch die FIA. Teamchef Christian Horner stellt sich nämlich trotz der Handgreiflichkeiten hinter Verstappen: "Ich finde, Max hatte sich noch ganz gut im Griff. Er hat einen Sieg verloren, ohne dass er selbst was falsch gemacht hat." Gut im Griff? Bei der FIA-Pressekonferenz schimpfte Verstappen Ocon dann nochmal eine "Pussy" ...

Bis dahin hatte Red Bull den Grand Prix von Brasilien völlig überraschend dominiert. Verstappen überholte in der dritten Runde Kimi Räikkönen und in der vierten Sebastian Vettel ("Das war sehr optimistisch"). In Runde zehn war dann Valtteri Bottas (Mercedes) dran, der die Innenseite "nicht konsequent genug" verteidigt hat, wie 'ORF'-Experte Alexander Wurz findet.

Verstappen, nun hinter Polesetter Hamilton schon an zweiter Stelle, fiel auf: "Mir kommt vor, er rutscht ein bisschen mehr als ich." Und Daniel Ricciardos Renningenieur Simon Rennie stellte fest: "Die Mercedes sind im Moment nicht besonders schnell." In Runde 18 und 19 mussten beide Mercedes-Fahrer zum Boxenstopp kommen. Lange vor allen anderen.

Welche Rolle spielen die Mercedes-Felgen?

Das bringt ein (aus Mercedes-Sicht) leidiges Thema auf: Kaum sind die Löcher an den Felgen zu, wie das schon in Austin und Mexiko der Fall war, hat Mercedes Reifenprobleme. Auch wenn Hamilton behauptet: "Wir hatten Probleme mit dem Motor." Was insofern logisch klingt, als kurz vor dem Start noch wegen eines Öl-Lecks Panik geherrscht hatte. Aber Experte Wurz findet: "Die Hinterreifen am Mercedes haben nicht gut ausgesehen."

Im Nachhinein findet Hamilton, dass ihn Mercedes ein paar Runden zu früh an die Box geholt hat. Verstappen blieb 16 Runden länger draußen. Weitere vier Runden später war der Red-Bull-Pilot auch schon vorbei - gegen frische Softs und DRS war bei Start und Ziel kein Kraut gewachsen: "Ich konnte nichts dagegen tun!" Bis Ocon seien Sieg rettete ...

Hamilton berichtet von technischen Problemen

Die Motorprobleme hätten "ein paar Zehntel" gekostet, sagt Hamilton, und das "jede Runde". Umso schwieriger war die Schlussphase, als Verstappen noch einmal näher kam: "Ich musste jede Runde Vollgas fahren." Mit Reifen, die zu dem Zeitpunkt absolut am Limit waren, kein einfaches Unterfangen. Der Lohn: Mercedes hat nun auch den Konstrukteurstitel sicher.

In Runde 44, als Verstappen und Ocon kollidierten, überschlugen sich auch weiter hinten die Ereignisse. Zuerst ging Räikkönen an Bottas vorbei und lag damit auf Podiumskurs, und fast gleichzeitig schnappte sich Ricciardo Vettel. Der Red Bull, das war nicht zu übersehen, hatte von allen drei Topautos das beste Reifenmanagement.

Vettel hingegen war so chancenlos, dass er, an sechster Stelle liegend, im Finish einen zusätzlichen Boxenstopp einlegte - in der Hoffnung, mit frischen Reifen für Furore sorgen zu können, falls noch ein Safety-Car kommen sollte. Trotzdem war es, auch wegen der verlorenen Konstrukteurs-WM, "kein guter Tag für uns", seufzt der Ferrari-Star: "Mein Rennen hat schlecht angefangen und schlecht aufgehört."

Vettel: Eingeklemmt im Mercedes-Sandwich

Vom zweiten Platz kommend hatte er am Start mit den etwas härteren Reifen wie befürchtet einen kleinen Nachteil. So zog Bottas außen an ihm vorbei. "Valtteri und Lewis", lobt er die Silberpfeile, "haben gut zusammengearbeitet und mir keinen Platz gelassen."

In der vierten Runde schlüpfte nach einem leichten Fahrfehler auch noch Räikkönen durch. Den Finnen schnappte Vettel zwar durch die Boxenstrategie wieder. Aber weil der Ferrari-Kommandostand diesmal bei Räikkönen den besseren Speed ortete, wurde eine Stallorder gegen Vettel angeordnet - und ohne Widerrede exekutiert.

Letztendlich wurde Vettel Sechster, 4,1 Sekunden hinter Bottas, der ebenfalls noch einen späten Boxenstopp einlegte, als Ricciardo einmal an ihm vorbei war. Der Finne liegt nun an vierter Stelle der Fahrer-WM, 14 Punkte hinter Landsmann Räikkönen, drei Punkte vor Pechvogel Verstappen - ein Dreikampf, der bis zum Saisonfinale in Abu Dhabi spannend bleibt.

Tolles Duell der beiden Renault-Fahrer

Angesichts der dramatischen Ereignisse an der Spitze ging das Rennen dahinter fast völlig unter. Dabei bot auch das Mittelfeld einiges an Action. Zum Beispiel das sehenswerte Rad-an-Rad-Duell zwischen den Renault-Kollegen Nico Hülkenberg und Carlos Sainz in der zweiten Runde, das sich über mehrere Kurven erstreckte und letztendlich von Hülkenberg gewonnen wurde, trotz grenzwertiger Schlussattacke von Sainz vor der letzten Kurve.

30 Runden später war Hülkenbergs Arbeitstag dann gelaufen, als er wegen erhöhter Motortemperaturen abstellen musste. Sainz wurde letztendlich Zwölfter. "Best of the Rest" war diesmal Charles Leclerc (Sauber), der mit einer routinierten Leistung Platz sieben ins Ziel brachte, 7,0 Sekunden vor Romain Grosjean und weitere 1,6 Sekunden vor Kevin Magnussen (beide Haas).

Der zweite Sauber-Pilot, Marcus Ericsson, erlebte hingegen ein Rennen zum Vergessen. Die Freude über den besten schwedischen Startplatz seit Stefan Johansson 1986 (damals auf Ferrari) überlebte nicht einmal den Start, bei dem er zwei Positionen verlor. In Runde 13 stellte er sich dann im Senna-S so ungeschickt an, dass vier Gegner auf einmal durchschlüpften.

Alonso grantelt am Boxenfunk

In Runde 21 folgte ein Dreher. Ericsson kam an die Box und beendete sein vorletztes Formel-1-Rennen mit einer Riesenenttäuschung. Ähnlich wie McLaren - beide Fahrer kassierten wegen Ignorierens blauer Flaggen eine Fünf-Sekunden-Strafe. Übrigens: Fernando Alonso hatte schon vor Rennhalbzeit keine Lust mehr und "bat" seinen Renningenieur, er möge ihn bitte nicht mehr anfunken.

Was nach dem packenden Grand Prix von Brasilien stehen bleibt: Hamilton kann endlich auch als Weltmeister Formel-1-Rennen gewinnen (zum ersten Mal in seiner Karriere). Der Brite hat nun mehr als 50 Prozent aller Hybrid-Grands-Prix seit 2014 gewonnen, nämlich 50 von 99. Und Räikkönen stellt mit dem zwölften Podium der Saison seinen persönlichen Rekord von 2005 und 2007 ein.

Die Formel-1-Saison 2018 endet mit dem Grand Prix von Abu Dhabi. Das Finale auf dem Yas Marina Circuit findet am 25. November statt.

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