Zitterpartie zum Sieg: So erging es Verstappen in den letzten Runden
Mit nur drei Stunden Schlaf feiert Max Verstappen einen überzeugenden Sieg und treibt Christian Horner in Superlative - Doch nach Ricciardos Ausfall fuhr die Angst mit
(Motorsport-Total.com) - Die Wut war groß nach der verpassten Pole-Position am Samstag. Max Verstappen reagierte auf seine ganz eigene Art und trat entschlossener denn je an, den Großen Preis von Mexiko 2018 zu gewinnen. Und so klappte es fast wie aus dem Lehrbuch: Beim Start Daniel Ricciardo abgekocht, dann Lewis Hamilton auf der Außenbahn verhungern lassen, anschließend das Rennen kontrolliert. "Das war die logische Fortsetzung von Austin. Er ist ein unglaubliches Rennen gefahren!", jubelt Teamchef Christian Horner. "Dieser Sieg war auf höchstem Niveau."
Dennoch fuhr in den letzten Runden die große Angst mit. Nachdem Daniel Ricciardo mit ausgerollt war, ging das große Zittern am Red-Bull-Kommandostand los. Verstappen hatte am Freitag ebenfalls einen technischen Defekt. "Ich habe meinen Jungs sofort gesagt, dass sie den Motor runterdrehen sollen", antwortet er auf die Frage, was in ihm vorgegangen sei, als Ricciardo plötzlich am Wegesrand stand. Darüber hinaus hatte Verstappen zuvor schon das Aus von Renault-Pilot Carlos Sainz aus erster Hand erlebt. Er war gerade dabei, den Spanier zu überrunden, als dieser mit seinem Renault auf die Seite fuhr.
Also, alles am Renault-Motor sofort in den Sicherheitsmodus. "Wir haben die Benzinzufuhr gedrosselt und sind mit weniger Drehzahl gefahren", beschreibt Horner die Maßnahmen, die zur Verfügung standen. "Somit wird der Motor nicht so stark belastet, wie er es würde, wenn man mit voller Leistung fährt. Wir haben alles runtergedreht, so weit wir konnten. Aber wir können natürlich nicht alles zu weit runterkühlen, sonst gibt es wieder Probleme - zum Beispiel bei den Bremsen."
Aus Frust wird unbändiger Erfolgswille
Die sportliche Entscheidung war schon wesentlich früher gefallen. "Der Start war der Schlüssel", erinnert sich Verstappen. Während Ricciardos Gasfuß zu nervös war und der Australier seine Pole-Position mit zu viel Wheelspin verspielte, legte Verstappen einen blitzsauberen Start hin. Für Horner kein Zufall: "Man konnte diesen Willen in seinen Augen sehen, seit er heute Morgen an die Strecke gekommen ist. Wir haben diverse Szenarien durchgesprochen, aber sein Fokus lag komplett auf dem Start. Und den hat er perfekt auf den Punkt gebracht."
Lewis Hamilton kam zwar noch ein Stückchen besser weg, doch Verstappen hatte für Kurve 1 die Innenbahn. Und Hamilton konnte angesichts des bevorstehenden Titels kein Risiko eingehen - er steckte zurück. "Danach hatte Lewis nicht die nötige Pace, um mich zu attackieren, weil er Reifenprobleme hatte", erinnert sich der 21-Jährige. "So konnte ich mich an seinem Tempo orientieren und auf meine Reifen aufpassen. Ich bin nie wirklich über das Limit gegangen." (Verstappen: Im Mercedes könnte ich auch Weltmeister werden)
So sieht es auch sein Teamchef, der sich vor Lobeshymnen nicht mehr einkriegte: "Heute ging es um Reifenmanagement. Die Reifen waren extrem sensibel. Aber er hat sie auf brillante Weise gemanagt. Wir konnten das sehen, als sie beim zweiten Stopp runter gekommen sind: Da steckte noch viel Leben in ihnen. Das hat uns erst den Optimismus gegeben, die Einstoppstrategie bei Daniel zu versuchen und [mit ihm] bis zum Ende durchzufahren."
Die Situation änderte sich noch einmal, als Sebastian Vettel die zweite Position übernahm und mit starken Rundenzeiten aufzuholen begann. Als er an die Box kam, ging auch Verstappen rein - er konnte es sich leisten. "Wir haben ihn einfach gecovert und haben nochmal Supersoft aufgeschnallt. Ein hervorragender Job des Teams. Wir hatten die richtigen Reifen zur Auswahl und das Auto hat wirklich gut funktioniert." Da Vettel fortan hinter Ricciardo festhing, lief der Angriff ins Leere.
Reifenflüsterer hin oder her: Verstappen gesteht, dass auch Red Bull einen derartigen Verschleiß wie an diesem Wochenende nicht erwartet hätte. "Das war schon ein bisschen unerwartet, wie sie sich verhalten haben", gibt er zu. "Ich denke, niemand hat das so erwartet. Mit dem Hyper vielleicht noch, aber niemals mit dem Ultra. Es war an diesem Wochenende ziemlich schnell klar, dass der Super ein sehr starker Reifen sein würde und glücklicherweise hatte ich zwei davon. Ich habe sie im Training nicht benutzt und für das Rennen aufgespart."
Tischtuch mit Renault unwiederbringlich zerschnitten
Nach der zehnründigen Zitterpartie war es dann amtlich: Verstappen wurde als Sieger im Autodromo Hermanos Rodriguez abgewinkt. Für ihn persönlich eine Genugtuung: "Heute hatte ich nur eine Option: Gewinnen. Nichts anderes hatte ich in meinem Kopf. Nicht, Zweiter oder Dritter werden." Dabei spielte auch die Frustration vom Vortag eine Rolle. Verstappen gibt an, nur drei Stunden geschlafen zu haben. Zerfressen vom Ehrgeiz kehrte er an die Strecke zurück und war nicht mehr zu bremsen. Immerhin - einen Rekord hat er nun: Die meisten Siege (fünf), ohne jemals eine Pole-Position geholt zu haben.
Trotzdem hat er den Frust ob des verpassten Altersrekords noch nicht ganz verdaut: "Die Frustration rührt daher, dass ich kein optimales Paket hatte. Ich hatte nie eine faire Chance auf die Pole." Das stachelt auch seine Privatfehde mit Renault an. "Das Auto war nicht schuld", berichtigt er einen Journalisten, der meinte, sein Auto habe im Qualifying nicht richtig funktioniert. "Der Motor war es." Verstappen klagte am Samstag über blockierende Hinterräder aufgrund eines fehlerhaften Mappings bei der Motorbremse.
Während sogar Christian Horner Renault ein Lob aussprach ("Heute haben sie uns das Werkzeug gegeben, das wir gebraucht haben, um einen guten Job zu machen"), bringt Verstappen nicht einmal auf Anfrage ein lobendes Wort über den Noch-Motorenpartner über die Lippen. Ob der Renault-Motor ihm zum Sieg verholfen habe? Die Antwort fällt kurz aus: "Nein."
Nur eines wird Max Verstappen nicht: Feiern. "Nein, ich fliege sofort nach Hause", antwortet er auf die Frage, ob noch eine Fiesta mit dem Team anstehe. Und er weiß auch genau, was er auf dem Flug machen wird: "Schlafen."