Vettel wehrt sich nach Suzuka-Kritik: "Dann kann ich gleich Experte werden"
Wie sich Sebastian Vettel gegen die Kritik der Experten an seinem Manöver gegen Max Verstappen wehrt und wie ihm Rivale Lewis Hamilton unerwartet zur Hilfe eilt
(Motorsport-Total.com) - Nach der heftigen Kritik an dem missglückten Überholversuch gegen Max Verstappen in Suzuka erhielt Sebastian Vettel aus unerwarteter Richtung Deckung. Ausgerechnet WM-Rivale Lewis Hamilton stellt sich schützend vor den Ferrari-Piloten. "Die Medien sollten ein bisschen Respekt vor Sebastian zeigen", fordert der Brite auf 'Instagram'. "Ihr könnt euch einfach nicht vorstellen, wie schwierig es ist, auf unserem Niveau aktiv zu sein - und das gilt für jeden Athleten, der sich auf dem Höhepunkt befindet."
Als Mensch sei es ganz natürlich, Fehler zu machen, "aber es zählt, wie wir damit umgehen". Eine klare Reaktion auf die mediale Schelte nach dem Japan-Wochenende, die Vettel über sich ergehen lassen musste. Denn auch die Experten waren sich einig, dass sich der Ferrari-Pilot, der diese Saison bereits mehrmals in unglückliche Zwischenfälle verwickelt war, die Attacke auf den Red-Bull-Piloten hätte sparen können.
Jetzt wehrt sich der Ferrari-Pilot und geht mit seinen Kritikern ins Gericht: "Die sitzen auch schön vorm Fernseher. Und da sieht es immer ein bisschen anders aus." Vettel verteidigt seine Entscheidung, auch wenn er nach der Kollision auf den letzten Platz zurückfiel und am Ende nur Sechster wurde: "Meiner Meinung nach war die Lücke da. Wenn ich da nicht reinfahre, kann ich gleich auf dem Sofa sitzen oder Experte werden."
Was Vettel vorgeworfen wird
Doch was genau wurde Vettel nach dem Japan-Grand-Prix vorgeworfen? Alex Wurz bezeichnete das Manöver als "überaggressiv", Anthony Davidson sieht die Spoon-Kurve nicht als Ort, wo man überholen kann. Damon Hill bezeichnet das Manöver als "Verzweiflungstat" und kritisiert Vettel gegenüber 'Sky Sports F1' für seine "unbeholfene Fehleinschätzung, die eine Strafe verdient hätte".
Und Surer meint in der aktuellen Ausgabe des Formel-1-Podcasts 'Starting Grid', Vettel hätte wissen müssen, dass Verstappen in so einer Passage nicht nachgibt: "Das konnte eigentlich von Anfang an nicht gutgehen." Zudem hätte er "später mit dem schnelleren Ferrari und DRS auf der Geraden eh die Chance gehabt, zu überholen".
Nun reagiert Vettel auf die Vorwürfe. "Ich haben danach auch ein paar andere Autos an der Stelle gekriegt", widerlegt er das Argument, vor der Spoon-Kurve könne man nicht überholen und spielt auf sein Manöver gegen Haas-Piloten Romain Grosjean an. Das Problem sei vielmehr Verstappen: "Auch gegen Kimi hält er dagegen, wo man nicht mehr dagegenhalten sollte. Jeder darf machen, was er will. Tja."
Aus Vettels Sicht: Warum er die Chance nutzen musste
Aber wie sah er die Situation selbst und warum traf er die Entscheidung, das Risiko einzugehen? "Ich spürte, dass ich schneller kann", schildert Vettel den Zwischenfall in der achten Runde, unmittelbar nach dem Ende der Safety-Car-Phase. "Dranbleiben ist schwierig. Wenn man einmal dran ist, ergibt sich die Chance nicht jede Runde. Das verkennt man von außen. Es ist unheimlich schwer, nahe hinterherzufahren, und das Safety-Car hilft natürlich ein bisschen."
Da er vor der Spoon-Kurve direkt hinter Verstappens Red-Bull-Bolide steckte, überlegte Vettel ein Manöver - auch wegen der Konsequenzen: "So nah, wie ich dran war, hätte ich durch Spoon deutlich an Grip verloren und wäre dann sehr weit weg gewesen." Dann sah der Ferrari-Pilot, dass sich eine Lücke öffnet, die er nutzen konnte: "Ich habe gesehen, dass seine Batterie aufhört zu schieben, und habe genau das Gegenteil bei mir gemacht."
Vettel will Gespräch mit Verstappen suchen
Das war nur möglich, weil Vettel seine Batterie davor in der Bergaufpassage nach den S-Kurven geschont hatte, "um gegen Ende der Runde anzugreifen. Ich hatte den Überschuss." Dass er bei seinem überraschenden Überholversuch von Verstappen übersehen wurde, schließt er aus: "Er hat mich gesehen, sonst hätte er nicht zugemacht. Er hat verteidigt. Das ist okay. Aber irgendwann muss man halt auch zurückstecken, und das hat er nicht gemacht. Dann kann ich mich nicht in Luft auflösen."
Nun wolle er sich keinen medialen Schlagabtausch mit Verstappen liefern, sondern die Sache im direkten Gespräch klären: "Ich werde mit ihm zum richtigen Zeitpunkt sprechen." Klar sei aber, dass die Art und Weise, wie sich der Red-Bull-Pilot verteidigt hat, "weder ihm noch mir geholfen hat. Er hatte Glück, dass er weiterfahren konnte."
Wolff sieht Schuld nicht bei Vettel
Doch wie sehen die Teamchefs den Zwischenfall? Interessanterweise erhält Vettel von Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff Rückendeckung: "Ich bin nicht sicher, ob das ein Fehler von Sebastian war. Er ist am Anfang gut nach vorne gekommen und in dieser Situation muss man sich als Rennfahrer entscheiden, ob man es probiert oder nicht. Die Tür sah offen aus, und er hat es probiert. Dann hat ihn ein Rennunfall ganz nach hinten zurückgeworfen."
Tatsache ist, dass Vettel zu diesem Zeitpunkt die Chance roch, die beiden Mercedes-Piloten noch zu besiegen - was in Anbetracht des WM-Rückstands auch notwendig gewesen wäre, um sich im Titelrennen wieder zurückzumelden. Hätte er die Chance auf einen Überraschungsangriff verstreichen lassen, hätte er möglicherweise zu viel Zeit hinter dem Red-Bull-Piloten liegengelassen, um im Kampf um den Sieg noch mitreden zu können.
Auch für Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene war Vettels Manöver keine Verzweiflungstat. "Das war es nicht, es war ein Überholmanöver", sagt der Italiener. "Sebastian hat einfach seine Arbeit gemacht, und sein Auto war neben Max. Die Bezeichnung Rennunfall würde ich aber akzeptieren."