• 01. Oktober 2018 · 08:28 Uhr

Mercedes-Bummeltempo: Das muss Ferrari Angst machen!

Sebastian Vettel klammert sich an einen Strohhalm, wenn er glaubt, dass der Ferrari in Sotschi ein ebenbürtiger Gegner für den Mercedes war

(Motorsport-Total.com) - 50 Punkte Rückstand bei fünf noch zu fahrenden Rennen sind per se schon mal keine gute Nachricht für Sebastian Vettel. Aber der Grand Prix von Russland in Sotschi hat noch eine viel besorgniserregendere Entwicklung unterstrichen: Hatte Ferrari im Sommer noch einen Performance-Vorteil, so scheint Mercedes derzeit wieder an die Dominanz vergangener Jahre anzuknüpfen.

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Sebastian Vettel sieht die Silberpfeile momentan meistens von hinten Zoom Download

Im Endergebnis hatte Vettel zwar nur 7,5 Sekunden Rückstand auf Sieger Lewis Hamilton. Das entspricht einem Schnitt von 0,14 Sekunden pro Runde. Aber in Wahrheit war der Tempo-Unterschied zwischen den beiden Autos in Sotschi viel größer. Mindestens im Bereich der halben Sekunde aus dem Qualifying.

"Wir hatten im Rennen noch viel Luft nach oben", sagt Valtteri Bottas. Dass er in Runde 50 (von 53) die schnellste Rennrunde gefahren ist, hätte er gar nicht bemerkt: "Wirklich? Ich war im motorenschonenden Modus. Fühlte sich ziemlich nach Cruisen an. Wir hätten viel schneller fahren können. Den ganzen zweiten Stint lang, als ich hinter Lewis festsaß."

Es gibt viele Indizien, die dafür sprechen, dass Mercedes seine Karten im Rennen nie ganz ausgespielt hat. Laut Force-India-Teamchef Otmar Szafnauer muss man in Sotschi um eine Sekunde schneller sein als der Vordermann, um überhaupt überholen zu können. Aber als Hamilton nach seinem Boxenstopp plötzlich hinter Vettel lag, machte er mit dem Ferrari sofort kurzen Prozess.

Ricciardo versteht Mercedes' Bummel-Taktik

Daniel Ricciardo versteht, dass Mercedes im motorenschonenden Bummeltempo zum Doppelsieg gecruist ist und nicht alle Karten aufgedeckt hat: "Brauchen sie doch gar nicht. Warum auch die Karten auf den Tisch legen? In Sebastians Situation ist Lewis kaum noch zu schlagen", vermutet der Red-Bull-Pilot.

Wenn Vettel sagt, dass "wir alle ungefähr gleich schnell waren", dann liegt das entweder daran, dass er unmittelbar nach dem Rennen noch keine Gelegenheit für eine tiefergehende Analyse hatte. Oder an seinem Zweckoptimismus. Die Chance mag winzig klein sein, aber sie ist noch vorhanden. Und in seiner Position muss er sich an jeden Strohhalm klammern.

"Das Tempo war recht identisch. Ich glaube, wir hatten eine kleine Chance, vor Lewis zu landen", sagt er. "Wir hatten heute einen guten Speed im Rennen. Gerade auf den Hypersoft-Reifen hinten raus waren wir ziemlich gut unterwegs und konnten die Lücke schließen, sodass wir überhaupt was probieren konnten. Auf den Softs waren wir ziemlich auf Augenhöhe."

"Der Speed war in gewisser Weise da. Aber nicht genug, um zu attackieren", räumt er ein. "Dahinter ist es immer schwierig, denn je näher man kommt, desto schwerer tut man sich, gerade in den letzten zwei Ecken." Und der letzte Sektor war ohnehin schon das ganze Wochenende die Achillesferse von Ferrari.

"Wichtig war, dass wir im Rennen einen besseren Speed hatten als im Qualifying. Wir waren mehr oder weniger in den gleichen paar Zehnteln. Aber hier zu überholen, ist halt schwierig."

Wie eng war's im Finish wirklich?

In der 39. Runde hatte Vettel 2,6 Sekunden Rückstand auf Bottas. Dann liefen die Top 3 auf Max Verstappen auf, der seine Reifen noch nicht gewechselt hatte, und so konnte er sich bis in Runde 43 sogar in DRS-Nähe herankämpfen.

"Wir haben am Schluss nochmal alles probiert, ich war gegen Valtteri sogar nochmal im DRS. Aber dann hatte ich ein überrundetes Auto vor mir, das mich sehr viel Zeit gekostet hat", beschwert sich Vettel.

"Immer dann, wenn es brenzlig wurde, konnte Mercedes das Tempo aufdrehen."
"War einfach unglücklich getroffen, zur falschen Stelle auf der Strecke. Dann war gleich wieder mehr als zwei, drei Sekunden Luft dazwischen. Das kann ich dann in drei Runden nicht zufahren, wenn du nur ein, zwei Zehntel schneller bist."

Wahr ist, dass Vettel im DRS-Fenster war. Wahr ist aber auch, dass ihn Bottas aus diesem schon wieder abgeschüttelt hatte, lange bevor die nächsten Überrundungen anstanden. Immer dann, wenn es brenzlig wurde, konnte Mercedes das Tempo aufdrehen.

Vettel betont die positiven Aspekte, die ihm in Sotschi aufgefallen sind: "Wir sind besser mit den Reifen umgegangen", hält er fest. Und: "Wir waren näher dran als gestern. Trotzdem ist das nicht das Ergebnis, das wir uns versprochen hatten."

Räikkönen vermutet: Mercedes hat was gefunden

Teamkollege Kimi Räikkönen schätzt die Lage etwas nüchterner ein: "Wir fuhren, so schnell wir konnten, aber sie waren einfach schneller. Sind sie wirklich so schnell gefahren, wie sie konnten? Wahrscheinlich nicht", befürchtet er. "Sie haben gerade so viel Gas gegeben, wie nötig war, um uns hinter sich zu halten. Es fehlt uns an Speed. Das Auto fühlte sich im Rennen okay an, aber es muss schneller werden."

Seit Mercedes nach der Sommerpause die neue Motorenspezifikation eingeführt hat, wechselt das Momentum von Vettel zu Hamilton. In Monza wirkte Ferrari stärker, schaffte es aber nicht auf die Pole und erlebte dann ein vermurkstes Rennen. In Singapur lief bis zum Qualifying alles nach Plan, ehe Hamilton seine Extraklasse auspackte. Aber in Sotschi war Mercedes einfach schneller. Punkt.


Grand Prix von Russland - Technik

"Das waren sie schon in den letzten paar Rennen. Wer weiß, was sie gebracht haben?", fragt sich Räikkönen. Sicher dokumentiert ist ein überarbeiteter Frontflügel. Aber große Sprünge sind wie immer in der Formel 1 eine Ansammlung vieler kleiner Details. Räikkönen: "Mal sehen, wie es in Suzuka ist. Vor einer Weile war es noch andersrum. Sie müssen irgendwas gefunden haben."

Sogar Vettel muss nach Sotschi zugeben: "Wenn man realistisch ist, sieht man, dass wir uns dieses Wochenende ein bisschen schwer getan haben und nicht ganz auf Augenhöhe waren. Aber das tut nichts zur Sache. Wir werden weiter alles geben. Klar ist der Abstand nicht kleiner geworden. Das weiß ich auch. Aber die Möglichkeit ist nach wie vor da. Wer weiß, was die nächsten Rennen bringen?"

Progressive Reifenwahl für Suzuka

Auf jeden Fall mehr Risiko auf Ferrari-Seite. Für Suzuka hat Vettel zehn Supersoft-Reifensätze nominiert. Hamilton nur sieben. "Wir müssen attackieren", begründet Vettel. "Wir werden sehen, ob wir richtig liegen oder nicht. Aber in den letzten Rennen war unsere Reifenauswahl eigentlich immer ganz gut."

"Wir verlieren Wochenende für Wochenende Punkte. Das hilft nicht", seufzt er. "Aber wir haben einen Plan. Es kommen noch Teile und Fortschritte sind geplant. Zumindest beim Auto."

"Was den Antrieb betrifft, ist die Sache gelaufen. Wir haben schon drei Antriebe genutzt und es wird keinen weiteren geben. Hoffentlich gelingen uns aber noch ein paar Fortschritte. Die nächsten Strecken spielen uns mehr in die Karten. Abwarten, bis es soweit ist."

"Ich glaube noch an unsere Chancen. Die werden nicht größer, aber es braucht nur einen Ausfall - idealerweise zwei - und die Sache sieht wieder ganz anders aus. Ich wünsche Lewis das nicht. Aber man weiß nie, was passiert. Wir müssen nur unser Maximum ausschöpfen, was uns dieses Wochenende vielleicht nicht ganz gelungen ist. Und sicherstellen, dass wir uns darauf konzentrieren, die letzten Rennen zu gewinnen", sagt Vettel.

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