Räikkönen-Hamilton-Duell: Darum ging der "Iceman" unter
Kimi Räikkönen sah wie der sichere Sieger für Ferrari in Italien aus, doch in Runde 45 endeten alle Träume: Lewis Hamilton schlug zu & holte sich den 5. Monza-Sieg
(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von Italien 2018 war an Spannung kaum zu überbieten. Hauptverantwortlich dafür waren zwei Weltmeister: Lewis Hamilton und Kimi Räikkönen lieferten sich bis Runde 45 ein erbittertes Duell. Ein Sekundenkrimi, der am Ende durch silbernen Teamgeist und schwarze Gummiblasen zugunsten von Mercedes entschieden wurde.
"Es tut mir leid, dass ich nicht gewonnen habe - nächstes Mal dann!", schrie der "Iceman" seinen zahlreichen Anhängern vom Podium in Monza zu. Der Finne sah im Heimrennen seiner Scuderia lange Zeit aus wie der sichere Sieger. Doch in Runde 45 platzten die Siegesträume der Tifosi.
Was war zuvor geschehen? Am Start konnten die Mercedes-Piloten Hamilton und Vallteri Bottas zunächst keine Attacke aus der zweiten Startreihe reiten. Allerdings wollte sich der Weltmeister nicht geschlagen geben, hin zur zweiten Schikane positionierte er sich neben dem Ferrari von Vettel. Die beiden berührten sich, infolgedessen drehte sich der Deutsche - ein erster Wendepunkt im Rennen.
"Der Kampf mit Kimi war einfach toll - echtes Racing"
"Meiner Meinung nach war Sebastian im Ferrari das schnellste Auto heute", ließ Mercedes-Teamchef Toto Wolff nach dem Rennen wissen. Der ärgste WM-Rivale war bereits nach zwei Kurven aus dem Rennen. Räikkönen an der Spitze lag nur rund eine Sekunde in Führung vor Hamilton.
Der Brite trug keinen Schaden davon, er heftete sich an Räikkönens Heck. Beim Restart nach der Safety-Car-Phase in Runde vier konnte er kurzzeitig den Windschatten-Vorteil ausnutzen und in Kurve 1 vorbeigehen. Mit einem sehenswerten Manöver hin zur zweiten Schikane holte sich der 38-Jährige die Führung aber schnell wieder zurück. Auch Hamilton muss anerkennen: "Der Kampf war einfach toll. Obwohl es nie schön ist, eine Position zu verlieren, war sein Manöver wirklich gut. Ich hatte die Hoffnung, dass ich später noch eine Chance bekommen würde, um zu kämpfen."
Als der Finne in Runde 21 schließlich an die Box kam, war auch die Mercedes-Mannschaft bereit. Doch Hamilton blieb auf der Strecke und übernahm so die Führung. Ein Bluff? "Nein, wir wollten das Gegenteil von Kimi machen. Wenn er nicht hereingekommen wäre, wären wir gekommen, um einen Undercut zu probieren", erklärt Wolff im Nachhinein. "Wenn du führst, hast du immer den Nachteil, dass du eine Entscheidung treffen musst", weiß der Wiener aus Erfahrung. Antäuschen sei das jedenfalls nicht gewesen.
Hamilton gibt zu: "Dachte, wir versuchen einen Undercut"
Hamilton bestätigt: "Eigentlich sollte ich früher reinkommen." Die Kommunikation mit dem Team habe aber einwandfrei funktioniert, deswegen konnte er auf den immer noch guten Supersofts länger draußen bleiben. "Ich war etwas überrascht, dass wir nicht vor Kimi an die Box gegangen sind. Ich dachte, wir würden einen Undercut versuchen. Aber Kimi ging dann rein und ich konnte die Pace anziehen, die folgenden Runden waren wirklich stark."
Somit öffnete sich die Tür für einen Overcut. Hamilton flog nach Runde 21 um den Kurs und markierte mehrmals die schnellste Rennrunde. Dadurch wollte er seinen Vorsprung auf Räikkönen ausbauen, um nach dem Boxenstopp vor dem Finnen zu bleiben. Jedoch konterte der Ferrari-Pilot mit ebenso schnellsten Sektorzeiten - eine kritische Phase im Rennen, da der Finne zu jenem Zeitpunkt wohl zu viel von seinem Soft verlangte.
Lag Räikkönen nach seinem Boxenstopp noch gut 23 Sekunden hinter Hamilton, konnte er durch schnelle Runden gleich danach den Rückstand auf unter 18 Sekunden drücken. Hamilton würde seine Führung nach seinem Stopp definitiv verlieren. "Daher haben wir einfach versucht, so lange wie möglich weiterzufahren. Auch als sie mich schließlich reinholten, waren die Reifen dann noch ziemlich gut."
Bottas als "Wingman": Hamilton bedankt sich
Entscheidend war in dieser Rennphase nicht nur Hamiltons Boxenstopp, der schließlich in Runde 29 folgte. Auch die Tatsache, dass Bottas dadurch die Führung erlagen und nur rund 1,5 Sekunden vor Räikkönen liegen würde, spielte den Mercedes-Strategen in die Karten. "Er holte auf Valtteri auf und die Entscheidung war wirklich wichtig und gut, zu jenem Zeitpunkt reinzugehen. Ich konnte den Rückstand dann bald wieder zufahren", schildert Hamilton. Nach dem Rennen bedankte sich der Brite extra beim Finnen: "Danke ans Team und danke auch an Valtteri."
Mit acht Runden frischeren Soft-Reifen machte der Brite Jagd auf den Ferrari, der sich zu jenem Zeitpunkt im Mercedes-Sandwich befand. Bottas erhielt per Funk die Anweisung, Räikkönen aufzuhalten, was ihm auch gelang. Innerhalb von vier Runden verkürzte Hamilton seinen Rückstand von 5,6 auf unter eine Sekunde.
"Es war in beiden Fällen die optimale Strategie für beide Autos", betont Mercedes-Teamchef Wolff. Er möchte Bottas nicht ausschließlich als "Wingman" Hamiltons verstanden wissen. Ein strategischer Vorteil für den Briten sei es dennoch allemal gewesen, muss er zugeben. Denn während Hamilton sich immer weiter an Räikkönen anschleichen konnte, ruinierte sich der Finne endgültig seine Soft-Pneus.
Problemzone linker Hinterreifen: "Konnte Reifen nicht schonen"
"Das hat nichts mit dem Set-up zu tun. Sie haben einfach nicht so lange gehalten, wie wir uns erhofft hatten", muss Räikkönen später einsehen. "Am Ende war nicht mehr viel Gummi drauf am linken Hinterreifen. Es hat nicht gerade geholfen, dass ich ein paar Runden lang hinter einem Auto gesteckt bin. In dieser Position kannst du kaum Reifen schonen."
Räikkönen befand sich in der silbernen Zange in der Zwickmühle - er musste an Bottas vorbei, sich gegen Hamilton verteidigen und gleichzeitig seine angeschlagenen Reifen schonen. "Am Ende sind mir einfach die Reifen ausgegangen und zum Glück haben sie noch bis Rennende gehalten." Denn zu Rennende wurde dem Finnen noch gefunkt, dass die Vibrationen bereits "kritisch" seien.
Das sei die endgültige Entscheidung im Duell gewesen, so Wolff. "Wir haben gesehen, dass der Reifen von Kimi total am Ende war. Möglicherweise nicht mal hält bis Rennende. Daher haben wir ihm gesagt: 'Pass' auf deine Reifen auf. Das ist die Rennentscheidung'." In Belgien litt noch Mercedes unter Blasenbildung, in Italien erwischte es Ferrari. Erklärbar sei das nicht. "Das ist ein bisschen eine Wissenschaft", meint der Österreicher.
Hamilton glaubt: "Kimi hatte einen Nachteil"
Hätte ein späterer Boxenstopp den 21. Sieg des Finnen gerettet? "Im Nachhinein ist man immer klüger. Jetzt ist es aber zu spät. Ich denke nicht, dass wir etwas falsch gemacht haben", kommentiert Räikkönen sichtlich enttäuscht. Denn der Speed seines Ferraris allein hätte zum Sieg gereicht, ist er überzeugt.
Schlussendlich bog Bottas in Runde 37 an die Box ab. Zwar hielt sich Räikkönen weiterhin an der Spitze, strauchelte aber zusehends mehr und mehr mit den Reifen. Hamilton wartete auf den richtigen Zeitpunkt und griff in Runde 45 in Kurve 1 an. Noch in derselben Runde konnte er über eine Sekunde wegfahren.
"Beim letzten Manöver hat er sich auf der Außenseite verteidigt. Dann ist er ganz leicht nach links gezogen, das hat mir aber keine Probleme bereitet. Ich habe einfach so spät es ging in Kurve 1 rein gebremst. Das war wirklich knapp. Aber Kimi war sehr fair und hat mir Platz gelassen. So sollte Racing sein", lobt Hamilton seinen Kontrahenten. Der entscheidende Faktor? Der Windschatten.
"Der Windschatten-Effekt hier ist ziemlich groß. Kimi war vorne allein und hatte dadurch einen Nachteil. Im Qualifying haben wir gesehen, dass der Windschatten auf jeder Geraden bis zu drei Zehntel bringen kann. Als ich an Kimi vorbei war, war das ein Unterschied wie Tag und Nacht", erklärt der WM-Führende. Bei freier Fahrt vergrößerte er seinen Vorsprung bis ins Ziel noch auf über acht Sekunden.
Hamilton darf sich über seinen fünften Sieg in Monza freuen und zieht damit mit Michael Schumacher gleich. Die negative Stimmung und Buhrufen im feindlichen Ferrari-Gebiet haben ihn nur zusätzlich angefeuert, erklärt er. "Ich habe versucht, etwas Positives aus dem Druck zu ziehen und die negative Energie zu nutzen. Ich habe niemals erwartet, dass ich gewinnen würde - ich habe aber gebetet."
"Wie er gestern ausgebuht wurde - wobei ich verstehe das, die Tifosi sind fantastisch hier und unterstützen Ferrari - und ich sein Gesicht gesehen habe, dachte ich mir nur: 'Macht genau so weiter'. Das ist genau das, was er braucht. Das macht ihn stärker", schildert Wolff. Mit diesem Antrieb fuhr der Brite schließlich einen souveränen Sieg ein.
Kimi Räikkönen bleibt am Ende nur der nicht enden wollende Zuspruch seiner Fans und der Trost des 100. Podestplatzes in seiner Karriere. "Es macht keinen großen Unterschied, ob es das 99. und das 100. Podium ist, das ist doch nur eine Zahl", antwortet er in typischer Manier. "Ich würde lieber den Sieg hier beim Heimrennen mitnehmen. Ich habe alles gegeben. Leider hat es sich nicht bezahlt gemacht." Es sei nicht einfach zu akzeptieren, gibt er zu. "Es ist kein Desaster, aber nicht das, was wir wollten."