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Vettels Manöver gegen Bottas: Hätte in Tränen enden können
Der Ferrari-Pilot war bei der finalen Überraschungsattacke nicht sicher, ob er noch rechtzeitig bremsen kann - Verteidigte Valtteri Bottas nicht aggressiv genug?
(Motorsport-Total.com) - Es war das Duell des Rennens: Als Sebastian Vettel fünf Runden vor Schluss an Valtteri Bottas vorbeiging, war ihm sein Sieg beim Großbritannien-Grand-Prix in Silverstone am Sonntag nicht mehr zu nehmen. Doch zuvor hatte der Ferrari-Pilot unter seinem Helm mehr als einen Schweißtropfen vergossen. Ein Strategiepoker der Mercedes-Mannschaft sowie die harten Verteidigungsmanöver des Finnen hatten einen lange Zeit sicher geglaubten Erfolg noch einmal in Gefahr geraten lassen.
Vettel, der zwei Drittel des Rennes souverän geführt und seinen Vorsprung auf Bottas kontrolliert hatte, geriet erst durch die Safety-Car-Phase nach dem Unfall Marcus Ericssons in die Bredouille. Stoppen oder nicht? Ferrari, das keinen Reifenwechsel mehr geplant hatte, entschied sich, Track-Position für frische und weichere Pneus (Soft statt Medium) zu opfern. Ein Schlusssprint also.
"Ich habe beim Reinfahren gesehen, dass die Mercedes-Crew schon bereit war. Wenn wir es nicht hätten, hätten sie es getan", meint Vettel. Will heißen: Ohne eigenen Stopp wäre er der Gejagte gewesen. Tatsächlich wollten die Silberpfeile es als Verfolger ausnutzen, auf der Taktik der Scuderia reagieren zu können. Es war klar, dass sie mit gleicher Strategie nicht würden gewinnen können.
Mercedes-Sportchef Toto Wolff verweist darauf, dass sein Auto am Sonntag schonender mit den Reifen umging. "Darum haben wir versucht, sie unter Druck zu setzen", erklärt er das Vorgehen gegen Ferrari. "Wir wären sonst vermutlich nicht an Sebastian vorbeigekommen. Dafür waren die Unterschiede zu gering." Für Bottas begann also die Abwehrschlacht - und er eröffnete sie gekonnt.
Als das Rennen wieder freigeben wurde, ließ er Vettel keine Chance, an seinem Heck zu bleiben. "Den ersten Restart habe ich nicht wirklich verpennt, aber ein bisschen durchdrehende Räder gehabt", erklärt der Deutsche. Als kurz nach der ersten eine zweite Safety-Car-Phase ausgelöst wurde, spielte das Bottas und Hamilton in die Karten. Das Rennende rückte durch die Neutralisation näher.
Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene räumt ein: "Da habe ich mir Sorgen gemacht." Schließlich verstand Bottas es erneut, sich an der Spitze zu behaupten, indem er zunächst beschleunigte, dann aber wieder abbremste, als er sah, dass Vettel gut reagiert hatte und ihm im Getriebe hing. Die Lücke riss wieder auf. "Und danach war es nicht einfach, direkt dahinter zu bleiben", stöhnt Vettel.
Es waren nur noch zehn Runden zu fahren. Vettel attackierte Bottas - selbst, als das DRS zunächst nicht aktiviert werden durfte. Er wusste: Umso länger er hinter seinem Konkurrenten bleibt, desto kleiner wird sein Reifenvorteil, desto eher kommen Bottas' Medium-Pneus nach er langen Neutralisation auf Temperatur. Es war Eile geboten, doch es führte kein Weg vorbei am beißenden Finnen.
"Gerade hier mit den ganzen schnellen Kurven ist es nicht einfach, auch wenn ich mehr Grip hatte", beschreibt Vettel ein gewohntes Dilemma auf Bahnen wie Silverstone, wo die Piloten Abstand nehmen müssen, um durch die Luftverwirbelungen des Vorausfahrenden nicht ins Rutschen zu geraten. Hinzu kam, dass der Mercedes immer anfangs der Geraden sehr schnell war und ein Stück wegzog.
Sein Schützling habe "gekämpft wie ein Löwe", lobt Wolff. Immer wieder wehrte Bottas vor Brooklands Vettel-Angriffe erst auf der Innen-, dann auf der Außenbahn ab. Er bremste auch vor Stowe so spät, dass sich der Ferrari nicht neben ihn setzen konnte. "Ich musste Qualifying-Runden fahren, um vorn zu bleiben", sagt er. "Dann gingen die Reifen ein. Ich habe einfach mein Bestes versucht."
Fünf Runden vor Schluss war die Abwehrschlacht für Bottas aber verloren: Vettel - bei dieser Gelegenheit weiter weg als zuvor - tauchte vor Brooklands auf die Innenbahn, nachdem er es in der Runde zuvor außen probiert hatte. Er zwängte sich zwischen Grünstreifen und Mercedes durch.
"Natürlich hatte ich den Reifenvorteil, aber es war nicht einfach, da vorbeizukommen", sagt Vettel. "Ich habe ihn einfach überrascht." Es war ein risikoreiches Manöver und Vettel sich nicht sicher, ob er die Kurve bekommen würde. Es klappte - anders als noch im April in Baku, als er ein ähnliches Manöver gegen Bottas mit einem Bremsplatten und dem Verlust des Podiums bezahlte.
'RTL'-Experte Nico Rosberg wundert sich: "Was seltsam war: Bottas war die Runden davor so aggressiv und dann hat er die Tür einfach aufgelassen. Ich fand es überraschend, dass er da nicht noch einmal zugemacht hat." Wahrscheinlich war er aber zu überrumpelt, weil Vettel a) einmal mehr die Seite wechselte und b) aus einer Position kam, aus der er zuvor nichts riskiert hatte.
Vom Chef gibt es keinen Vorwurf. Auch wenn Toto Wolff meint, dass es möglich gewesen wäre, mit einer Verzweiflungstat erneut die Tür zuzuschlagen, stellt er mit Blick auf Bottas' 31-Runden-Stint fest: "Die Reifen waren einfach komplett am Ende." Und in der darauffolgenden Runde wäre ohnehin Hopfen und Malz verloren gewesen. Vettel freute sich über seinen hart erkämpften Sieg - nachdem es zunächst nach einer Spazierfahrt ausgesehen hatte: "So bedeutet er mir ein bisschen mehr."
Übrigens: Vettels Nackenschmerzen, die ihn fast seine Teilnahme am Qualifying gekostet hätten, spielten seiner eigenen Aussage zufolge keine Rolle mehr. Schon nach dem Aufwachen hätte er kaum noch Beschwerden verspürt. Er ließ sich kinesiologische Tapes aufkleben, zusätzliche Polsterungen an seinem Auto aber entfernen. "Ich war mir vor dem Rennen nicht sicher", sagt er über seine gesundheitliche Verfassung, "mit dem ganzen Adrenalin war es dann in Ordnung. Wahrscheinlich merke ich es heute Abend, aber egal!" Interessant: Arrivabene spricht von "großen Schmerzen" und meint, dass auch sein Fahrer an diesem Nachmittag gekämpft hätte wie ein Löwe.