"Baguette-Randsteine": 113.000 Euro Schaden bei Red Bull
Die aggressiven Abweiser in Spielberg stoßen auf Kritik, haben aber auch Fans - Reifenmischungen variieren nicht genug und kommen nicht auf Temperatur
(Motorsport-Total.com) - Nach dem Abflug des Toro-Rosso-Piloten Pierre Gasly sind die sogenannten "Baguette-Randsteine" beim Österreich-Grand-Prix in Spielberg (Formel 1 2018 live im Ticker!) erneut Gesprächsthema. Kritik kommt kurioserweise aus den Reihen Streckenbesitzers, nämlich Red Bull. Wie Teamchef Christian Horner erklärt, hätten die aggressiven Abweiser an den Autos von Daniel Ricciardo und Max Verstappen in den Freitagstrainings für Schäden in Höhe von rund 113.000 Euro gesorgt.
© Sutton
Pierre Gasly gehörte zu denjenigen, die die Opfer der Spielberg-Randsteine wurden Zoom Download
Bei der Konkurrenz sieht man die Sache gelassen und glaubt, dass die Piloten es in der Hand hätten, Unfälle zu vermeiden. "Solange man sie nicht überfährt, sind sie kein Problem", meint Sebastian Vettel. Ähnlich argumentierte FIA-Rennleiter Charlie Whiting in der Fahrerbesprechung - schließlich befinden sich die "Baguettes" jenseits der Strecke und der Track-Limits, wo ohnehin nicht gefahren werden soll. Auf einem Stadtkurs wäre ein Übeltäter längst in die Mauer gekracht.
Deshalb sympathisiert Renault-Pilot Nico Hülkenberg mit den gelben Baguettes als "natürliches Limit" und erinnert sich ungern an die Zeit, als es sie in Spielberg nicht gab: "Da war die Regel: Wer mit allen vier Rädern über die Linie fährt, bekommt die Runde aberkannt. Das ist keine saubere Lösung. So weiß jeder, wenn's dorthin geht, dann tut's weh oder das Auto ist kaputt." Es erübrigt sich auch die leidige Debatte um die Track-Limits. "Aber es kann böse ausgehen", weiß Hülkenberg.
Beispiel: Ex-Toro-Rosso-Fahrer Daniil Kwjat, der 2016 in Österreich nach dem Überfahren der Randsteine wie Gasly einen Aufhängungsbruch erlitt und in die Reifenstapel knallte. Schon damals wurde heftig über die Baguettes gezankt, doch sie blieben. "Ausgangs Kurve 9 und 10 sind wir brutal schnell mit 250 km/h unterwegs. Das Auto ist fast auf dem Boden", warnt Hülkenberg vor dem Schlusssektor, wo die Abweiser lauern. "Wenn man da draufkommt, knallst natürlich ordentlich."
Vettel findet, dass es nicht darum gehen sollte, Fahrfehler mit Schäden am Auto zu bestrafen, hält es jedoch für möglich, den kleinen Sprungschanzen aus dem Weg zu gehen. Anders Crashpilot Gasly, der auch von drei kaputten Nasen bei Toro Rosso berichtet und sich darüber aufregt, dass Whiting ihm verklickert hätte, dass sein Team doch einfach stabilere Frontflügel bauen sollte. "Da liegt Rundenzeit und als Fahrer will man alles herausholen. Natürlich fährt man also dorthin", moniert er.
Weiteres Gesprächsthema in Spielberg: die Pirelli-Reifen. Lautester Kläger ist erneut Red Bull in Person von Motorsport-Berater Helmut Marko, der sich nicht erklären kann, warum seine Piloten die Pneus nicht auf Temperatur bekommen, aber den Asphalt im Verdacht hat. "Der Belag hier ist speziell", weiß er. "Er wurde so kreiert, dass die Drainage gut funktioniert, was sie aber nicht tut."
Abhilfe könnte eine neue Abstimmung schaffen - oder das Wetter, denn am Samstag und Sonntag soll es um bis zu acht Grad Celsius wärmer werden als während der Freien Trainings am Freitag. Erstaunlicherweise hat aber nicht jede Mannschaft derartige Probleme. Vettel zuckt nur mit den Schultern und spricht von normalen Bedingungen, was die Reifen betrifft. Haas-Fahrer Romain Grosjean hat sich an unberechenbare Pirellis gewöhnt: "Was für eine Überraschung!", ulkt er.
Auch Mercedes-Star Lewis Hamilton ist mit der aktuellen Situation nicht glücklich - allerdings aus einem anderen Grund. Bei ihm war härteste Mischung, nämlich der Soft, die schnellste, was bedeuten würde, dass die Silberpfeile nicht so viel Steigerungspotenzial besitzen wie viele befürchten.
Trotzdem: Die Arithmetik ist eine andere, als sie sein sollte. "Die Reifen sind das größte Problem", so Hamilton. "Nach all den Rennen sind sie eine Unbekannte. Sie sind einfach überall anders und haben ein sehr kleines Arbeitsfenster." Er hält die Situation für "verwirrend". Verstappen schätzt den Unterschied zwischen den Mischungen auf nur ein bis zwei Zehntelsekunden pro Runde.
Pirelli-Manager Mario Isola kann sich das Chaos erklären: Ultrasoft körnt in Spielberg stark und früh im Stint, was die Leistung negativ beeinflusst. Den Soft betrifft das aber gar nicht. Dazu führt das sogenannte "Graining" besonders an der Hinterachse zu höherem Verschleiß. Ein Teufelskreis.
Es wäre keine Überraschung, würden die Topteams versuchen, auf Supersoft das Q3 zu erreichen, um das Rennen mit einem Reifenwechsel auf Soft zu bestreiten - und Ultrasoft nicht nutzen. Diese Prämissen erlauben nur wenige strategische Möglichkeiten (und Überholchancen), was nicht in Pirellis Interesse sein kann. Warum entschied man sich nicht per se für weichere Mischungen?
Isola meint: Weil Pirelli sich a) früh festlegen musste und die Situation nicht ausreichend vorhersehen konnte und b) der Hypersoft zu Bläschenbildung tendiert. Das war in den vergangenen Jahren immer ein Problem auf dem Red-Bull-Ring. Die Italiener wollten dem einen Riegel vorschieben.