Red Bull: Wird Daniel Ricciardos Set-up-Fehlgriff zum Joker?
Wieso Red Bull im Le-Castellet-Qualifying nicht um die Pole mitfuhr, Ricciardo beim Set-up danebengriff und wie sich das im Rennen zur Trumpfkarte entwickeln könnte
(Motorsport-Total.com) - Nach dem Qualifying und den Startplätzen vier und fünf für Max Verstappen (+0,676) und Daniel Ricciardo (+0,866) ist man bei Red Bull sicher: Gegen Mercedes ist in Le Castellet (Formel 1 2018 live im Ticker) unter normalen Umständen kein Kraut gewachsen. "Mercedes ist in diesem Rennen über alle Berge, solange sie es nicht selbst verhauen", meint Teamchef Christian Horner. "Diese Reifen passen auf diesem Belag perfekt zu ihrem Auto."
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Kann Daniel Ricciardo am Sonntag sogar die übermächtigen Mercedes attackieren? Zoom Download
Vor allem Ricciardo stimmt nach der Session ein Klagelied an: Nachdem Red Bull am Freitag den "Aussie" mit einem Set-up für viel Abtrieb ins Training schickte und bei Verstappen auf wenig Abtrieb setzte, wollte Ricciardo am Freitag-Morgen den Weg des Niederländers gehen. Doch dann kam der Regen.
"Wir konnten es also nicht ausprobieren und sind wieder zu dem zurückgegangen, was wir kannten", erklärt Ricciardo. "Und dann habe ich schon gegen Ende von Q1 so viel Frontflügel benutzt wie möglich - und wir hatten immer noch Untersteuern. Mir waren also die Hände gebunden, und ich war nur Passagier. Im Nachhinein hätten wir wohl das andere Set-up nehmen sollen, denn so werde ich es morgen auf den Geraden schwer haben."
Wetter bestimmt Ricciardos Le-Castellet-Schicksal
Doch womöglich werden Ricciardos Mundwinkel am Sonntag nach dem Rennen wieder einmal steil nach oben zeigen, denn sein ungeliebtes Set-up könnte zur Trumpfkarte werden: Dann nämlich, wenn es am Sonntagnachmittag regnen sollte. "Wenn es regnet, könnte ich der Glückspilz sein", erkennt er auch selbst, dass die Ausgangslage nicht hoffnungslos ist. "Dann können wir es auf das Podest schaffen."
Und da der Red-Bull-Bolide traditionell ein gutes Regenauto ist, wäre sogar der dritte Saisonsieg Ricciardos möglich. Die Regenwahrscheinlichkeit für den Sonntag beträgt derzeit 30 Prozent. Am Nachmittag ist sie am höchsten. Was Ricciardo gar nicht brauchen kann, ist aber ein kühler Sommertag ohne Niederschläge.
"Wenn es so kalt wie jetzt ist, dann ist es wahrscheinlich am schlechtesten, denn dann halten die Hinterreifen gut und wir bekommen immer mehr Untersteuern", erklärt er. "Außerdem würde das Ferrari helfen." Das liegt daran, dass die Scuderia als einziges Topteam als Startreifen auf die Ultrasoft-Pneus setzt, während die Red-Bull- und Mercedes-Piloten mit den etwas härteren Supersoft-Reifen losfahren werden.
Red Bull: Vettel über die Strategie schlagbar
Und dann wäre es für Ricciardo gut, wenn die Reifen an Sebastian Vettels Boliden schon nach wenigen Runden schmelzen und der Qualifying-Dritte Mühe hat, mit einem Stopp durchzukommen. Das weiß auch Horner, der seine Piloten wegen des härteren Reifens nur beim Start im Nachteil sieht: "Ich glaube, dass wir eine Chance gegen Ferrari haben. Sie haben einen Vorteil von acht Metern beim Start, aber dafür mehr Abbau. Ich hoffe, dass uns das mehr Möglichkeiten und Gelegenheiten im Rennen geben wird. Es wird sehr schwierig, hier zu überholen, also muss man das über die Strategie machen."
Der Brite hofft darauf, dass die langgezogenen Rechtskurven in Le Castellet vor allem die linken Vorderreifen der Ferrari-Piloten rasch in die Knie zwingen werden: "Sie müssen lange mit ihm über die Runden kommen, und das wird ihn ziemlich malträtieren." Ricciardo glaubt, dass Red Bull abgesehen von einem möglichen Regenrennen nur dann eine Chance gegen Vettel hat, wenn die Scuderia in Reifenprobleme schlittert.
"Ich werde versuchen, Kimi beim Start hinter mir zu behalten", verspricht der Qualifying-Fünfte. "Bei Seb wird es davon abhängen, ob er mit dem Ultrasoft-Reifen Probleme bekommt. Wenn nicht und Seb beim Start vor uns bleibt, wird es schwierig für uns, sein Tempo in der Endphase des Rennens mit dem gleichen Reifen zu halten, wenn wir alle die Soft-Mischung wählen, was glaube ich der Fall sein wird." Sein Prognose: "Dieses Rennen kann eine Lotterie oder eine Prozession werden. Ich hoffe auf Zweiteres."
Verstappen: Warum die Qualifying-Probleme verschwinden
Interessant ist, dass Ricciardo seine Probleme mit dem Untersteuern auf eine falsche Set-up-Entscheidung schiebt - dabei hatte Teamkollege Verstappen, der in Q3 um rund zwei Zehntel schneller war, ähnliche Schwierigkeiten. "Ich hatte auch Untersteuern", bestätigt der Niederländer.
"Das ist generell unsere Schwäche hier. Ich weiß nicht, woran es liegt, denn dann hätten wir es geändert, aber wir hatten einfach zu viel Untersteuern, um durch all diese langgezogenen Kurven schneller zu sein. Die Vorderreifen haben keinen Grip aufgebaut, und man kann dann beim Kurveneingang nicht pushen und muss warten, bis die Vorderachse greift."
Dennoch glaubt der 20-Jährige nicht, dass ihn dieses Problem auch im Rennen dermaßen behindern wird. "Und zwar, weil man im Rennen normalerweise die Reifen nicht so hart pusht", erklärt Verstappen, der ebenfalls auf Strategieglück hofft. "Es ist für alle eine neue Strecke. Das ist sicher schwieriger als sonst."
Wieso Verstappen auf weniger Abtrieb setzt
Dass Red Bull in Le Castellet weiter zurückliegt als bei den vergangenen Qualifyings, möchte Verstappen nicht überbewerten: "Wenn wir keinen guten Tag haben, was die Balance angeht, dann ist das ganz normal, denn wir brauchen ein perfektes Set-up, um Mercedes nahe zu kommen, weil wir ja den Nachteil auf den Geraden haben."
Und der wirkt sich auf der Power-Strecke in Südfrankreich besonders aus. "Max fährt mit einer Spur weniger Abtrieb als Daniel, also ungefähr mit dem Abtriebsniveau von Spa-Francorchamps", erklärt Teamchef Horner. "Leider verlieren wir dennoch sieben Zehntel auf den Geraden." Also im Grunde den gesamten Abstand zu Pole-Setter Lewis Hamilton.
Aber wie ist es dazu gekommen, dass Verstappen auf weniger Abtrieb setzt als Ricciardo? Das hat offenbar mit seinem Felgenproblem im ersten Freien Training zu tun. "Max hatte am Freitagmorgen noch mehr Abtrieb als ich, aber er hatte ein Problem, und deswegen hat man gesagt: Lasst es uns mit wenig Abtrieb probieren", verrät Ricciardo.