Formel 1 China 2018: Ricciardo jubelt dank goldener Strategie!
Wir schlüsseln auf, wie Valtteri Bottas an Sebastian Vettel vorbeigekommen ist, und analysieren den Sieg von Daniel Ricciardo: "Der beste Überholer der Formel 1!"
(Motorsport-Total.com) - Mit einer taktischen Meisterleistung hat Red Bull beim Grand Prix von China die Gunst der Stunde genutzt und mit Daniel Ricciardo das Rennen in Schanghai gewonnen. Der Australier triumphierte vor Valtteri Bottas (Mercedes) und Kimi Räikkönen (Ferrari). Polesetter Sebastian Vettel (Ferrari) wurde nach einer Kollision mit Max Verstappen (Red Bull) Achter.
Es war die 43. Runde im Grand Prix, Vettel lag auf Medium an dritter, Verstappen mit um elf Runden frischeren Softs an vierter Stelle. "Ich glaube, dazu muss ich nichts mehr sagen", funkte Vettel, als er vom Heißsporn aus den Niederlanden umgedreht wurde.
Nach dem Rennen kam es im Parc ferme zum ersten Aufeinandertreffen der beiden. Wer einen Faustkampf erwartet hatte, wurde aber enttäuscht: Es blieb bei einer sachlichen Diskussion und einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
"Es war mein Fehler", reagiert Verstappen ungewohnt einsichtig, und Vettel nimmt die Entschuldigung ungewohnt verständnisvoll an: "Wir haben das ganze Wochenende auf der Geraden Rückenwind gehabt, das Anbremsen war schwierig. Und wenn man dann aus dem Windschatten kommt, ist es noch leichter, sich zu verschätzen."
Zwei Runden nach der Kollision war der Grand Prix entschieden, als Ricciardo sein Überholmanöver gegen Bottas trocken exekutierte. Seine Reifen waren weicher und um zwölf Runden frischer, sodass er bis zur Zieldurchfahrt nach 56 Runden noch 8,9 Sekunden Vorsprung herausholen konnte.
Den Grundstein für den Sieg hatte Red Bull mit dem zweiten Boxenstopp gelegt, als Verstappen an vierter und Ricciardo an sechster Stelle liegend zum Reifenwechsel geholt wurden. Das Rennen war wegen einer Safety-Car-Phase neutralisiert und der Vorsprung nach hinten groß genug, um "kostenlos" einen Stopp einlegen zu können. Im Finish würden dann die frischen Reifen ein Vorteil sein.
Pech für Bottas und Vettel, die zu jenem Zeitpunkt in Führung lagen: Sie waren schon an der Boxeneinfahrt vorbei, als Bernd Mayländer mit dem Safety-Car auf die Strecke ging. Hamilton (4.) und Räikkönen (6.) aber hätten genauso zum Reifenwechsel kommen können wie die Red Bulls (Verstappen P3, Ricciardo P5).
"Im Nachhinein bist du immer schlauer. Wir dachten, dass die Position auf der Strecke wichtiger sei. Wir lagen falsch, sie lagen richtig", rechtfertigt sich Mercedes-Sportchef Toto Wolff. Dabei hatte Mercedes bis dahin - auch strategisch - alles richtig gemacht.
Beim ersten (und einzigen planmäßigen) Boxenstopp von Soft auf Medium hatte Bottas trotz 3,3 Sekunden Rückstand auf Vettel, der im ersten Stint stets alles unter Kontrolle zu haben schien, die Führung übernommen. Wie, das war vielen Zuschauern zunächst ein Rätsel.
Wir lösen auf: Die In-Lap der beiden war genau gleich schnell. In der Out-Lap war Bottas um 1,2 Sekunden schneller als Vettel. Dazu nutzte er den Vorteil des "Undercuts" mit den frischeren Reifen. Das brachte weitere 2,2 Sekunden auf der einen Runde, die Vettel länger draußen blieb. Insgesamt also 3,4 - und die vermeintliche Vorentscheidung.
Es wurde noch einmal eng zwischen Bottas und Vettel, als Räikkönen (langer erster Stint) vor seinem Boxenstopp versuchte, Bottas zu irritieren, als dieser von hinten mit frischen Reifen aufschloss. Aber Bottas blieb cool - und in Führung: "Ich finde, wir hatten heute den Sieg verdient. Aber es hat nicht sollen sein."
Der Finne hatte seinen Killerinstinkt schon davor im Rennen bewiesen. Erst nutzte er am Start die Gelegenheit, die ihm Vettel ermöglichte, als er Räikkönen abdrängte. Und später überholte er den "Iceman" noch einmal. Bei dem Manöver außen in der Schneckenkurve waren zwar seine Reifen frischer, trotzdem setzte er es gnadenlos um.
Nicken bei Wolff: "Valtteris Rennen war das beste, das ich in der Formel 1 bisher von ihm gesehen habe." Dass man zumindest mit Hamilton die Chance verschlafen hat, auf zwei Stopps umzustellen, ist ihm im Nachhinein bewusst. Red Bulls Poker habe "zu dem Zeitpunkt als die schlechtere Wahl ausgeschaut. Es war aber todrichtig."
Die Story von Sieger Ricciardo liest sich wie ein Märchen: Nach dem spektakulären Motorschaden am Samstagmorgen beinahe nicht qualifiziert, in Q1 in letzter Minute rausgefahren, wegen eines Fahrfehlers in der einzigen schnellen Runde beinahe den Q2-Einzug verpasst - und am Ende belohnt mit dem sechsten Siegerpokal seiner Karriere!
Ein entscheidendes Element waren die Mechaniker. Erstens wegen des Motorwechsels in Rekordzeit am Samstag, zweitens wegen des gelungenen doppelten Doppel-Stopps im Rennen am Sonntag. "Mir scheint, dass ich keine langweiligen Rennen gewinne!", lacht Ricciardo. "Vor 24 Stunden habe ich nicht einmal gewusst, ob ich überhaupt am Qualifying teilnehmen kann."
Nach dem entscheidenden zweiten Boxenstopp lag er zunächst an sechster Stelle. Dann musste zuerst Räikkönen dran glauben. Verstappen versuchte es davor gegen Hamilton - etwas zu optimistisch auf der Außenbahn. "Max war heute etwas ungestüm", findet Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko. So war Ricciardo schon Vierter.
Ricciardo schnappte sich Hamilton am Ende der DRS-Zone, auf der allerletzten Rille. Ein Manöver, das Experte Nico Rosberg Beifall klatschen lässt: "Daniel und Max sind die besten Überholer der Formel 1. Aber Daniel macht weniger Fehler dabei." Marko schwärmt - und verknüpft das mit einem Seitenhieb gegen Bottas: "Da sieht man halt, wer überholen kann und wer nicht."
An Vettel ging Ricciardo vorbei, bevor dieser mit Verstappen kollidierte. Und kurz darauf konnte sich auch Bottas nicht mehr wehren. Die Entscheidung, ein zweites Mal zu stoppen, erwies sich als golden. Erstens, weil die Reifen um mehr als zehn Runden frischer waren. Zweitens, weil sie weicher waren. Und drittens, weil das während der Safety-Car-Phase half, die Temperatur besser zu halten.
"Die Vorderreifen sind ziemlich kalt", funkte Hamilton, als er verzweifelt zickzack fuhr. Im Finish trug der Vorjahressieger ein Fernduell gegen Verstappen (mit zehn Sekunden Strafe belegt) aus, das er um 3,5 Sekunden gewann - obwohl er hinter dem Red Bull über die Ziellinie fuhr. Aufforderungen, er möge Druck machen, quittierte Hamilton verschnupft: "Leicht gesagt, wenn sich die Reifen verabschieden."
Da kämpfte Vettel schon mit ganz anderen Sorgen. Im Zehn-Sekunden-Fenster zu Verstappen zu bleiben, war illusorisch. Hülkenberg überrumpelte ihn unmittelbar nach der Kollision. Aber als dann gegen Rennende auch noch Fernando Alonso (McLaren) vorbeizog und ihm den siebten Platz streitig machte, ärgerte er sich: "Er hat mich einfach abgedrängt!"
Vettel hatte mit zweierlei Sorgen zu kämpfen. Sein Ferrari war nach der Kollision mit Verstappen beschädigt und setzte stark auf. "Für mich war es danach Glück, überhaupt weiterfahren zu können", sagt er. Und dass er Sorgen mit dem Reifenabbau bekommen könnte, hatte schon unsere Longrun-Analyse am Freitag ergeben.
Alonso hatte seinen ersten Stint so lange wie möglich am Leben gehalten und war so ebenfalls einer der Profiteure der Safety-Car-Phase. Carlos Sainz (Renault) und Kevin Magnussen (Haas) wurden Neunter und Zehnter.
Doch die beste Mittelfeld-Performance lieferte Hülkenberg: Wie er sich nach dem Boxenstopp ganz trocken einen Gegner nach dem anderen zurechtlegte, spricht für die Form seines Lebens, wie er selbst sagt.
Sauer ist Romain Grosjean (Haas). Nicht so sehr, weil er wegen abbauender Reifen einen zusätzlichen Boxenstopp einlegen musste und 17. wurde. Sondern eher wegen der frühen Order, Magnussen im Kampf um Platz neun vorbeizulassen. "Es ist die sechste Runde", fluchte er am Boxenfunk.
Und sonst? Lance Stroll (Williams) legte einen weiteren Raketenstart hin, gewann sechs Positionen, wurde am Ende aber nur 14. Force India konnte die starke Quali-Leistung nicht wiederholen und ging leer aus - auch, weil Sergio Perez (12.) am Start sechs Positionen verlor. Und Charles Leclerc (Sauber) fuhr nach einem weiteren Dreher als 19. und Letzter über die Ziellinie.
Die Safety-Car-Phase ausgelöst haben übrigens die Toro Rossos, mit einer teaminternen Kollision. Ähnlich wie Verstappen gegen Vettel verschätzte sich auch Pierre Gasly gegen Brendon Hartley. Gasly gab in der ersten Emotion Hartley die Schuld, war damit aber auf dem Holzweg - und kassierte von der Rennleitung eine Zehn-Sekunden-Strafe.
Was die TV-Zuschauer da noch nicht wussten: Kurz zuvor hatte es die Anweisung von Toro Rosso gegeben, Plätze zu tauschen. "Ich hätte daher erwartet, dass er mir mehr Platz lässt", ärgert sich Gasly. Hartley verteidigt sich: "Er muss das Gefühl gehabt haben, dass ich ihm die Tür offen lasse. Dem war aber nicht so. Ein Missverständnis."
In der Fahrer-WM führt nach drei von 21 Rennen Vettel (54 Punkte) vor Hamilton (45), Bottas (40), Ricciardo (37) und Räikkönen (30). Bei den Konstrukteuren liegt Mercedes (85) vor Ferrari (84) und Red Bull (55). Weiter geht's in zwei Wochen, am 29. April, mit dem Grand Prix von Aserbaidschan in Baku.