Toro Rosso im Antriebs-Pech: "Wie beim Oldtimer-Handel"
Antriebssorgen im ersten Freien Training, viel Arbeit im zweiten Durchgang in Brasilien 2017: Pierre Gasly und Brendon Hartley in Nöten - Probleme hausgemacht?
(Motorsport-Total.com) - Toro Rosso ist mit viel Pech in das Formel-1-Grand-Prix-Wochenende 2017 in Brasilien gestartet. Die Italiener litten im ersten Freien Training in Sao Paulo unter erheblichen Problemen mit den Renault-Antrieben. Um die Sorgen des "Red-Bull-B-Teams" einmal klar aufzuzeigen: Brendon Hartley und Pierre Gasly schafften mit ihren Fahrzeugen zusammen am Vormittag gerade einmal die Strecke von 30 Kilometern - das Hotel der Piloten dürfte weiter von der Strecke entfernt sein ...
© Sutton
Der Toro Rosso als Nebelkerze: Brendon Hartley hatte im ersten Training Probleme Zoom Download
Nachdem das Team aufgrund eines Wechsels der MGU-H bei beiden Fahrzeugen Startplatzstrafen erhalten hatte, mussten am Fahrzeug von Pierre Gasly weitere Teile ausgetauscht werden. Neben dem Turbolader wurde eine weitere neue MGU-H verbaut - die bereits neunte in der aktuellen Saison. Während Brendon Hartley am Sonntag zum Rennstart um zehn Plätze versetzt wird, muss Gasly sogar 25 Plätze nach hinten.
Im ersten Freien Training konnte Gasly gerade einmal fünf Umläufen abstellen. Hartley parkte sein Auto hingegen nach nur zwei Runden mit qualmendem Heck an der Strecke. Die Strafen und Schwierigkeiten bereiten dem Team große Sorgen, da Toro Rosso in der Meisterschaft nur fünf Punkte vor Renault und sechs Zähler vor Haas liegt. Sollte das Team aus Faenza beide Plätze verlieren, würde der Rennstall auf rund 7,3 Millionen Euro Preisgeld verzichten müssen.
Warum verschleißt Toro Rosso so viele Antriebsteile?
"Es macht uns große Sorgen", sagt Teamchef Franz Tost gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Seit Beginn des Jahres wurde nichts verändert." Das Chassis hätte keinerlei Auswirkung auf die MGU-H und könne daher nicht der Grund für die Schwierigkeiten sein. "Wir können nichts machen, außer schauen, welche Teile und welche Motoren wir bekommen." Mit etwas Argwohn betrachtet man das Renault-Werksteam, das ohne Antriebsprobleme über die Runden kam.
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Renault-Sportchef Cyril Abiteboul sagt, der Hersteller sei mit der Situation nicht zufrieden. Es sei jedoch ein Schneeball-Effekt, da das Werk mit der großen Nachfrage an Teilen nicht gerechnet habe und daher Komponenten zum Einsatz kommen, die eigentlich für einen anderen Gebrauch gedacht waren. Gegenüber 'Motorsport-Total.com' sagt er: "Wir nehmen die Situation sehr ernst. Toro Rosso hatte in den vergangenen Rennen mehr Schwierigkeiten als die anderen Teams. Grund dafür sind die Regeln, die Verfügbarkeit von Teilen und die Produktionszeit."
Renault habe nicht damit gerechnet, so viele Teile zur Verfügung stellen zu müssen, erklärt der Sportchef den Engpass. "Seit dem Rennen in Mexiko sind erst zwei Wochen vergangen. Wir haben die Teile nach Viry geschickt und haben so hart wie möglich gearbeitet, die Komponenten zu identifizieren, die die Probleme verursachen." Aufgrund der Logistik und des Zeitdrucks sei der Hersteller in seinen Handlungen und in der Versorgung mit neuen Teilen stark limitiert.
Was können Gasly und Hartley sportlich noch ausrichten?
"Es ist ein Schnellball-Effekt", so Abiteboul. "Wenn der Ball einmal zu rollen beginnt, ist es schwierig, ihn zu stoppen." Warum Renault mit so großen Engpässen zu kämpfen hat, will der Hersteller noch herausfinden. Tost erklärt hingegen: "Wir haben einige Sorgen, wie der Motor in unserem Fahrzeug funktioniert. Das könnte erklären, warum gerade Toro Rosso so viele Probleme in der aktuellen Saison hat." Angeblich soll die Mannschaft die Vorgaben für den Betrieb der Turbolader womöglich nicht eingehalten haben.
Rein sportlich konnte sich Toro Rosso im zweiten Freien Training erheblich besser darstellen - und vor allem stabiler. Brendon Hartley war mit 54 Umläufen (232,7 Kilometer) der fleißigste Mann des Durchgangs am Nachmittag. Auch Pierre Gasly (44 Runden) konnte viel Arbeit verrichten. Allerdings reihte man sich im Vergleich der schnellsten Rundenzeiten hinter der direkten Konkurrenz von Renault und Haas ein. Gasly (1:11.422 Minuten) und Hartley (1:11.821) belegten nur die Ränge 16 und 17.
"Lasst uns lieber über das Wetter sprechen", sagt Gasly auf die Frage, wie der Freitag in Sao Paulo gelaufen sei. "Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir hier in den Trainings viel fahren können, damit ich auch die Strecke kennenlernen kann. Aber was passiert? Ich steige ein und nach einer Runde muss ich abstellen - dazu dann auch noch eine zusätzliche Strafe von 15 Plätzen. Der Morgen hätte schöner sein können. Im zweiten Training war es schön, endlich mal ein echtes Programm fahren zu können."
Hartley und Wechsel von Formel 1 in LMP1 und wieder zurück
"Ich würde jetzt nicht sagen, dass wir super konkurrenzfähig sind, aber nachdem wir im zweiten Training viel fahren konnten, haben wir wenigstens Ideen, wie wir bis morgen schneller werden können", meint Hartley, der am Nachmittag nach eigener Aussage erst einmal "ein paar Runden brauchte", um sich vom Porsche LMP1 wieder zurück an den Formel-1-Wagen zu gewöhnen. Am Morgen blies der Hartley-Toro-Rosso viel Qualm in die Luft. "Sah schlimmer aus als es war", sagt Chef-Renningenieur Jonatham Eddolls.
Selbst wenn das Renntempo der beiden Toro Rossos als solide bezeichnet werden darf: Die Aussichten für das Rennen sind düster - nicht nur wegen der Startpositionen ganz hinten. In den Boxen des Teams "sieht es aus wie in einem Ersatzteillager eines Oldtimer-Handels", bringt Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko die Situation gewohnt kernig im Gespräch mit 'auto motor und sport' auf den Punkt. Bezüglich Ersatzteilversorgung geht Toro Rosso auf dem Zahnfleisch. Mehr darf nicht passieren.
"Wir müssen einfach sauber durchkommen", meint Gasly. "Es ist so dermaßen eng im Kampf um die Positionen in der WM. Wir wollen auf Rang sechs bleiben, aber wir haben nur ein minimales Punktepolster. Hier oder in Abu Dhabi auf Platz zehn zu kommen, kann enorm wichtig sein, Ein einziger Zähler kann am Ende den Unterschied ausmachen. Es geht dabei um viel Geld. Wenn wir Sechster bleiben, gibt es mehr Geld. Dann wird das Auto für 2018 vielleicht ein bisschen besser."