• 22. Oktober 2017 · 22:41 Uhr

Formel 1 USA 2017: Diskussionen nach Hamilton-Triumph

Lewis Hamilton hat die WM nach dem Sieg in Austin fast in der Tasche, überschattet wird das Rennen aber von Diskussionen um Max Verstappen

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton bleibt in Amerika eine Macht: Der Mercedes-Fahrer hat den Grand Prix der USA bei seinem siebten Antreten zum sechsten Mal gewonnen und damit den wahrscheinlich entscheidenden Schritt in Richtung WM-Titel 2017 gemacht. Daran konnte auch eine Ferrari-Stallorder, die Sebastian Vettel noch an Kimi Räikkönen vorbei auf Platz zwei brachte, nichts mehr ändern.

66 Punkte Vorsprung hat Hamilton nun, 75 sind in den letzten drei Saisonrennen noch zu vergeben. Trotzdem sagt Mercedes-Sportchef Toto Wolff: "Ich bleibe lieber am Boden. Ein Ausfall geht schnell." Drei Ausfälle allerdings nicht. Insofern räumt er ein: "Normalerweise sollte das gut gehen." Und sogar Vettel gratuliert indirekt schon, wenn er sagt: "Heute überwiegt die Enttäuschung. Wir sind einfach noch nicht gut genug."

Dabei hatte für ihn alles so gut angefangen: Er gewann den Start, bog innen vor Hamilton in die erste Kurve ein. Nach einer Runde hatte er den Silberpfeil aus der DRS-Sekunde abgeschüttelt. Aber in der sechsten Runde eroberte Hamilton die Führung zurück ("Bin überrascht, dass er sich nicht mehr gewehrt hat") und begann sich abzusetzen. Als Vettel fünf Runden später auch noch Blasenbildung links vorne meldete, war die Luft vorerst draußen.

"Wir waren heute nicht schnell genug", räumt er ein. "Unsere Reifen haben ziemlich schnell abgebaut. Ich hatte im ersten Stint ein paar Blasen am linken Vorderreifen. Wir mussten relativ früh reagieren. Dann wurde es beim ersten Stopp noch einmal eng. Im Idealfall wären wir natürlich lieber vorne gewesen und hätten das Rennen von dort diktiert, aber der Speed war einfach nicht da. Die Chance zu gewinnen war da, aber wir waren nicht schnell genug."

In Runde 16 kam Vettel an die Box, um von Ultrasoft auf Soft zu wechseln - in der Intention, bis zum Ende durchzufahren. In Runde 17 fuhr Vettel 1:39.7 gegen Hamiltons 1:41.3 Minuten. Drei Runden später kam dann auch Hamilton an die Box - und blieb knapp vorne. Allerdings hatte er seine 5,6 Sekunden Vorsprung quasi gegen um drei Runden frischere Reifen "eingetauscht".

Vettel schien von da an einem sicheren zweiten Platz entgegenzufahren, bis ihm im Cockpit eine Schnapsidee kam: "Denkt mal über Plan B nach", funkte er angesichts abbauender Reifen. Der Kommandostand riet ihm davon ab: "Verstanden. Die beste Option ist, bis zum Ende durchzufahren." Aber als sich Max Verstappen (Red Bull) entschied, noch einmal zu wechseln, ließ sich auch Vettel dazu verleiten.

Vettel kam knapp vor dem Niederländer an vierter Stelle liegend wieder auf die Strecke, hatte plötzlich 26,8 Sekunden Rückstand auf den vor ihm liegenden Räikkönen. Aber der schnappte sich wenig später den an zweiter Stelle liegenden Valtteri Bottas (Mercedes), der wegen seiner älteren Reifen ruck-zuck auch Vettel im Rückspiegel hatte.

Vettels Überholmanöver in Runde 51 war dann absolute Weltklasse: Vor Kurve 1 saugte er sich an, Bottas zog nach innen und deckte die Kurve vermeintlich ab - aber Vettel entschied sich für die Außenbahn, wich geschickt dem verdutzten Nachzügler-McLaren von Stoffel Vandoorne aus und gewann das Beschleunigungsduell dank der besseren Traktion.

Von da an war klar, dass er Zweiter werden würde, denn nur Sekunden später hörte Räikkönen am Boxenfunk: "Sebastian ist nun das Auto hinter dir." Der "Iceman" blieb cool, ging vom Gas - und musste sich plötzlich gegen den von hinten drängenden Verstappen wehren. Obwohl Vettel bemüht war, seinem Teamkollegen Windschatten zu spendieren, ging Verstappen in der letzten Runde doch noch an Räikkönen vorbei - und schien damit Dritter zu sein.

Trotzdem stand Räikkönen auf dem Podium. "Solche Entscheidungen zerstören den Sport", tobt Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko. Denn die FIA-Rennkommissare fanden, dass Verstappen bei seinem wirklich atemberaubenden Manöver in einer der letzten Kurven mit allen vier Rädern die Strecke verlassen hatte. Was Marko besonders ärgert: "Es wurde niemand angehört, nichts. Wenn man Paragrafen reiten will, bitte, das ist gelungen."

Bitter: Gegen die Fünf-Sekunden-Strafe, die Verstappen vom dritten auf den vierten Platz zurückwarf, kann kein Protest eingelegt werden. "Mit diesen dummen Entscheidungen machen sie den Sport kaputt", ärgert sich der 20-Jährige. "Bottas war auch neben der Strecke, als er sich gegen mich verteidigt hat. Da wurde nichts unternommen."

Zu dem Zeitpunkt, als Verstappen sein ebenso spektakuläres wie umstrittenes Manöver gegen Räikkönen setzte, stand Hamilton schon als Sieger fest. Nach 56 Runden fuhr er mit 10,1 Sekunden Vorsprung auf Vettel über die Ziellinie. "Eines der unterhaltsamsten Rennen seit langem", strahlt der angehende Vierfach-Champion und ergänzt: "Hat mich ein bisschen an 2012 erinnert, als ich Seb vor mir sah. Und ich habe ihn genau wie 2012 überholt!"

Einer der unbelohnten Helden eines von tollen Zweikämpfen geprägten Rennens war Daniel Ricciardo. Der Red-Bull-Pilot hätte schon am Start um ein Haar Bottas geschnappt, bremste den Mercedes in der zweiten und vierten Runde in Kurve 1 sehenswert aus - verlor aber jeweils das Beschleunigungsduell.

Dieses harte Racing hatte seinen Preis: "Die Vorderreifen sind ziemlich hinüber. Die 'dirty air' hilft nicht", funkte Ricciardo früh im Rennen - und war dann in Runde 12 der erste Topfahrer, der an die Box kam. Nach dem Undercut fuhr er die schnellsten Rundenzeiten. Formel-1-Experte Marc Surer ist überzeugt: "Er wäre nach Vettels Boxenstopp vor Vettel gelegen."

Red-Bull-Teamchef Christian Horner glaubt: "Daniel wäre heute auf das Podium gefahren." Doch daraus wurde nichts. Nach 14 Runden gab wieder einmal ein Renault-Motor den Geist auf. "Ich habe kurz vor dem Ende schon bemerkt, dass der Motor Aussetzer hat", seufzt Ricciardo. "Wir haben noch versucht, es in den Griff zu bekommen, aber dann war der Öldruck weg."

Damit war aus Red-Bull-Sicht die Bühne frei für die große Verstappen-Show. In der ersten Kurve hatte er noch Glück, nicht von Lance Stroll (Williams) abgeschossen zu werden, aber schon aus der ersten Runde kam er als Zwölfter (nach Motorwechsel von P16 gestartet) zurück. Nach zehn Runden war er Siebter. Und ab Runde 20 lag er dank seines langen ersten Stints sogar kurzzeitig in Führung.

Verstappen versuchte noch, sich gegen den mit frischeren Reifen ausgestatteten Hamilton zu wehren, aber das gelang ihm nicht. Also wechselte er ebenfalls auf den zweiten Reifensatz. Später zeigte er ein tolles Manöver gegen Bottas. Auch wenn es nur der vierte Platz wurde: Im Rennspeed war Red Bull einmal mehr auf Augenhöhe mit Mercedes und Ferrari.

"Best of the Rest" wurde Esteban Ocon. Der Force-India-Pilot, im Qualifying Migräne-geschwächt, rückte in den Fokus, als er und sein Teamkollege Sergio Perez auf Williams-Routinier Felipe Massa aufliefen, der sich mit völlig abgefahrenen Pirellis breit machte. Von hinten drohte den Force Indias Gefahr durch Renault-Neuzugang Carlos Sainz, weshalb Perez um einen Platztausch bat.

Dieser Wunsch wurde ihm aber nicht erfüllt: "Checo, wir müssen mehr auf die Reifen achten. Esteban tut das schon." Wenig später schon war Sainz am Mexikaner vorbei, mit einem herzerfrischenden Manöver, das Alain Prost an der Renault-Box begeistert Beifall klatschen ließ. Ocon konnte den sechsten Platz bis ins Ziel verteidigen. Massas langer Stint wurde mit zwei Punkten belohnt, Zehnter wurde Daniil Kwjat (Toro Rosso).

Brendon Hartley (Toro Rosso) beendete seinen ersten Grand Prix mit einer Runde Rückstand als 13. Dass er phasenweise Stroll (11.) unter Druck setzen konnte, sah zwar optisch gut aus; faktisch konnte er den Speed von Teamkollege Kwjat aber zu keinem Zeitpunkt gehen. Ebenso wenig wie Stoffel Vandoorne (McLaren), der heute Zwölfter wurde.

Fernando Alonso fuhr nämlich ein furioses Rennen: "Das hätten acht oder sechs Punkte werden können", ärgert er sich über den erneuten Honda-Defekt: "Ich glaube, es ist ein Motorschaden", funkte der Spanier, der sich zu Beginn beinhart gegen Sainz durchgesetzt hatte. Nico Hülkenberg (Renault) stellte früh an der Box ab, und auch Pascal Wehrleins Arbeitstag dauerte nur fünf Runden.

Der Sauber-Pilot wurde von Kevin Magnussen (Haas) abgeschossen. "Magnussen hat einfach die Kurve nicht gekriegt und ist mir komplett in die Seite reingefahren. Danach war mein ganzer Unterboden beschädigt. Es gibt Fahrer, die denken, in der ersten Runde entscheidet sich das ganze Rennen", ärgert sich Wehrlein. Ironie des Schicksals: Magnussen kollidierte später im Rennen in der gleichen Kurve mit Marcus Ericsson, wofür dann der Sauber-Fahrer eine Strafe kassierte ...

Die wesentlichen Entscheidungen in der Formel-1-WM 2017 sind damit gefallen. Mercedes steht bereits als Konstrukteurs-Weltmeister fest - zum vierten Mal hintereinander. Hamiltons Fahrertitel wird zweifellos bald folgen. Vielleicht schon in einer Woche, beim Grand Prix von Mexiko. Danach stehen nur noch Brasilien und das Saisonfinale in Abu Dhabi auf dem Programm.

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