Hartleys zweite Chance: "Kam mit dem Druck nicht klar"
Warum Toro-Rosso-Debütant Brendon Hartley jetzt ein anderer Pilot ist als beim Red-Bull-Rauswurf vor sieben Jahren und wie ihm Webber und Ricciardo helfen
(Motorsport-Total.com) - Das hat es noch nie gegeben: Sieben Jahre nach seinem Red-Bull-Rauswurf und fünf Jahre, nachdem er das letzte Mal in einem Formel-1-Boliden saß, bekommt Brendon Hartley eine zweite Chance. Der 27-jährige Neuseeländer, der bei seinen bislang drei Formel-1-Tests gerade einmal drei Renndistanzen absolviert hat und dieses Wochenende für Pierre Gasly im Toro Rosso sitzt, scheint bei Red Bulls Juniorteam-Chef Helmut Marko für ein Umdenken gesorgt zu haben.
"Ich schätze, ich war damals nicht bereit für die Formel 1", gibt Hartley zu, der die vergangenen Jahre für Porsche in der Langstrecken-WM am Start war und dieses Jahr die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hat. Als Formel-Renault-Meister wurde er mit 18 zum Red-Bull-Ersatzpiloten befördert, doch dann geriet die Karriere ins Schleudern. "Ich kam mit dem Druck nicht klar", erinnert sich der als sensibel geltende Rennfahrer. "Ich habe es nicht mehr genossen, war nicht glücklich. Ich war noch sehr jung und weit weg von zuhause."
Marko zog die Konsequenzen und trennte sich von Hartley, der daraufhin bei Porsche lernte, mit der Belastung klarzukommen. "Als der Formel-1-Tram platzte, richtete ich mich wieder auf, entdeckte den Langstreckensport und habe sehr viel gelernt", erzählt er. Die Verantwortung, mit Porsche für einen weltweit agierenden Hersteller zu arbeiten, 24 Stunden funktionieren zu müssen und nicht nur für die Mannschaft, sondern auch für die Teamkollegen die Verantwortung zu tragen, hat ihn reifen lassen. "Der Druck war groß, wahrscheinlich ähnlich wie in der Formel 1. Und ich bin jetzt viel stärker als damals. Ich hoffe, dass mich Porsche gut vorbereitet hat."
With a little help from ... Ricciardo und Webber!
Hartley, der zuletzt 2012 beim Mercedes-Test in Silverstone in einem Monoposto-Rennwagen saß, führt sich mental gerüstet, auch wenn die Ausgangssituation denkbar schwierig ist: Der Sitz wurde erst am Mittwoch angepasst, auch die Gesichter bei Toro Rosso sind für ihn komplett neu. "Ich hatte ein bisschen Zeit, mit den Ingenieuren zu sprechen, wir sind die Daten durchgegangen, und ich habe ein bisschen Zeit im Simulator verbracht", schildert er seine Vorbereitungen. "Ich bin unvorbereitet, aber ich will natürlich die bestmögliche Arbeit machen." Vorgaben habe er keine: "Es gibt keine Erwartungen."
Dafür kennt er neben der auch in der WEC verwendeten Hybridtechnik auch den Circuit of The Americas gut. Beim diesjährigen WEC-Lauf feierte er in Austin sogar den Sieg. "Es ist definitiv schön, auf einer Strecke mein Formel-1-Debüt zu feiern, die ich sehr gut kenne", meint Hartley. "Ich bin hier erstmals 2013 gefahren - und seitdem fast jedes Jahr." Er glaubt aber, dass das Auto die deutlich größere Herausforderung ist als die Strecke. "Die großen Reifen, der enorme Abtrieb - da habe ich einiges vor mir", weiß Hartley.
Dazu kommt, dass Hartley einige Freunde hat, die bereits Formel-1-Erfahrung haben - zum Beispiel Ex-Porsche Kollege Mark Webber oder Daniel Ricciardo. "Ich war mit Mark heute frühstücken, und auch Daniel, der einer meiner besten Freunde ist, habe ich vor zwei Nächten gesehen", offenbart Hartley. "Ich habe versucht, so viel wie möglich aus ihm über diese Reifen herauszuquetschen."
Kwjat: Fahrradfahren verlernt man auch nicht
Nicht besonders auskunftsfreudig wird vermutlich Teamkollege Daniil Kwjat sein, der um seine Karriere kämpft. "Bei den diesjährigen Autos ist die Geschwindigkeit höher als im Vorjahr, also ist es vielleicht schwieriger, sich daran zu gewöhnen", schätzt der Russe die Lage Hartleys ein. "Es ist generell nie leicht, einfach in ein Formel-1-Auto einzusteigen, andererseits: Wenn man einmal Fahrradfahren kann, dann verlernt man es nicht." Was er generell von seinem Teamkollegen hält? "Die Tatsache, dass er jetzt hier ist, bedeutet sicher, dass er ein sehr schneller Mann ist. Die Stoppuhr wird es zeigen."
Möglicherweise wird aber nicht nur das Talent darauf einfluss haben, was die Stoppuhr am Ende anzeigt. Denn Renault bringt in Austin eine neue Ausbaustufe des Verbrennungsmotors, die rund eine Zehntelsekunde pro Runde bringen soll. Das Kreuz daran: Das Werksteam, Red Bull und Toro Rosso bekommen nur je einen Motor. Da Hartley in Austin wegen seiner mangenden Erfahrung wohl vom Ende des Feldes starten wird, würde ihn eine Rückversetzung in der Startaufstellung wohl kaum treffen.
Hartley: IndyCar-Wechsel bleibt für 2018 ein Thema
Alles deutet aber daraufhin, dass Pierre Gasly in Mexiko Kwjats Auto übernimmt und Hartley ebenfalls die Saison zu Ende fahren wird. Der Franzose soll für Toro Rosso bei den letzten Saisonrennen die Kastanien aus dem Feuer holen, also wäre es sinnvoll, ihm den besseren Motor zu geben. Man wird sehen, wie sich Teamchef Franz Tost entscheiden wird.
Apropos - was weiß Hartley selbst über seine Rolle bei den restlichen Grands Prix im Jahr 2017? "Nicht viel eigentlich", meint er. "Ich schaue jetzt mal, wie es hier läuft - und wie es dann weitergeht." Ähnlich unklar ist die Lage für die Saison 2018: Hartley verhandelte vor seinem Toro-Rosso-Engagement intensiv mit dem Ganassi-Team über einen Wechsel in die IndyCar-Serie.
Der sei auch noch nicht vom Tisch. "Ich hatte mir die IndyCar-Serie angeschaut und tue es immer noch. Es ist noch nichts bestätigt für 2018." Das gilt auch für seine Formel-1-Chancen: "Ich habe bislang nicht zu viele Fragen gestellt, sondern konzentriere mich auf dieses Wochenende. Ich muss ohnehin einige Dinge herausfinden, um gute Arbeit leisten zu können. Daher möchte ich nicht zu weit in die Zukunft denken."