• 17. September 2017 · 16:08 Uhr

Formel 1 Singapur 2017: Hamilton gewinnt nach Vettel-Crash!

Die Rennanalyse aus Singapur: Warum Daniel Ricciardo nicht mehr Gegenwehr leisten konnte und wer als Schuldiger für den Startcrash ausgemacht wird

(Motorsport-Total.com) - Der Hattrick ist perfekt: Lewis Hamilton (Mercedes) gewinnt nach Spa und Monza auch den Grand Prix von Singapur und baut seinen Vorsprung auf Sebastian Vettel in der Formel-1-WM 2017 auf 28 Punkte aus. Während Hamilton in einem Rennen mit drei Safety-Car-Phasen brillierte und sein Sieg zu keinem Zeitpunkt gefährdet war, erlebte das Ferrari-Team einen rabenschwarzen Sonntag.

Für Polesetter Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen war Singapur 2017 nämlich schon nach wenigen Metern vorbei. Vettel gewann zwar zunächst den Start und auch Räikkönen kam sehr gut weg, doch weil sich Vettel vor dem Anbremsen verteidigen wollte, ging Max Verstappen (Red Bull) zwischen den beiden Ferraris der Platz aus. Verstappen kollidierte mit Räikkönen, die beiden kreiselten sich ein - und räumten in weiterer Folge Vettel ab!

Der Deutsche konnte noch ein paar Kurven weiter fahren, doch ohne Bewusstsein für auslaufendes Kühlwasser kam er in Führung liegend vor Hamilton ins Rutschen. Nun war auch noch die Nase des Ferrari ab - und das Rennen gelaufen. Noch mit dem Helm auf dem Kopf trabte er enttäuscht in Richtung Box zurück.

Als sich Vettel - bereits umgezogen in frischen Shorts - den Reportern stellte, wirkte er erstaunlich gelassen: "Echt blöd gelaufen, weil Kimi und ich draußen sind. Aber das Leben geht weiter. Ist natürlich doof jetzt, aber was soll man machen? Kacke gelaufen. Es ist kein Weltuntergang. Natürlich hilft es nicht, aber es ist jetzt so."

Eine mögliche Erklärung für seine Gelassenheit, die den meisten Reportern nicht bewusst war: Vettel hatte nach seinem Crash am Boxenfunk bereits seine Schuld eingestanden. "Sorry, Jungs", entschuldigte er sich bei seiner Ferrari-Crew, nachdem er das Auto weggeschmissen hatte. Auch wenn der Schaden von der Startkarambolage sicher nicht geholfen hat: "Der Kühler war hinüber."

Wer an der Startkollision schuld ist? "Hauptsächlich Sebastian", meint Verstappen - und findet für seine Meinung Zuspruch bei Experte Marc Surer: "Verstappen hat richtig reagiert und zurückgezogen. Aber zwischen den Ferraris hatte er keinen Platz mehr." FIA-Urteil gibt es noch keins. Die drei betroffenen Fahrer wurden erst nach der Zieldurchfahrt zur Anhörung bei den Rennkommissaren erwartet.

Verstappen ist jedenfalls sauer: "Sebastian hat drei Autos rausgenommen. Vielleicht hat er Kimi links nicht gesehen, aber das ist keine Ausrede. Wenn man um die WM kämpft, sollte man kein solches Risiko eingehen." Räikkönen sieht sich jedenfalls aus dem Schneider: "Ich finde nicht, dass ich es verhindern hätte können."

Kollateralschaden der Startkollision war Fernando Alonso, der in der ersten Kurve schon fast auf Höhe von Hamilton war, als er von Räikkönen und Verstappen abgeräumt wurde. Mit einem stark lädierten McLaren quälte er sich zwar noch ein paar Runden durch Singapur, aber letztendlich stellte er sein Auto frustriert ab.

Das tut doppelt weh, weil das Rennen die goldene Chance auf das bisher beste Ergebnis seiner zweiten McLaren-Ära gewesen wäre: "Hamilton führt, und wir waren in Kurve 1 vor ihm. Wir könnten das Rennen anführen", seufzt Alonso. Auf dem Podium wäre er demnach "hundertprozentig" gelandet: "Ich glaube eher, wir hätten um den Sieg gekämpft!"

Das tat diesmal nur Hamilton, denn der Mercedes-Star fuhr in Abwesenheit dreier Hauptgegner ein einsames Rennen. Trotz dreier Safety-Car-Phasen geriet er nie in Gefahr, er gewann alle Restarts souverän, meisterte eine kritische Phase, als Daniel Ricciardo (Red Bull) die frischeren Reifen hatte - und konnte sich in der trockenen Schlussphase auf Ultrasofts sogar einen Fahrfehler im dritten Sektor erlauben, ohne dafür bestraft zu werden.

"Ich könnte gar nicht glücklicher sein", strahlt Hamilton. "Gestern taten wir uns schwer, und wir hatten keinen Plan, wie das heute ausgehen würde. Mit den Ferraris hatten wir am Anfang Riesenglück. Gott hat uns da sicher ein bisschen geholfen. Ich habe von dem Unfall profitiert. Wer weiß, wie das Rennen sonst ausgegangen wäre?"

Dass er von Ricciardo nicht mehr Gegenwehr erhielt, war nach den starken Red-Bull-Longruns am Freitag eine Überraschung. Erst nach dem Rennen wurde bekannt: Der Australier kämpfte mit Getriebeproblemen, musste früh hochschalten und verlor deshalb Leistung. "Wir waren nicht so schnell wie am Freitag. Insofern bin ich ein bisschen enttäuscht", lässt er die Technik nicht als Ausrede gelten - und ärgert sich: "Ich kann dieses blöde Ding einfach nicht gewinnen!"

Dritter wurde Valtteri Bottas (Mercedes), der nach farblosen Trainingsleistungen auch im Rennen keine Glanzlichter setzen konnte. Ein Tiefpunkt war, als er zu Beginn des Rennens (auf noch nasser Strecke) sogar von Jolyon Palmer (6./Renault) überholt wurde, zugegeben mit dem Nachteil von Intermediates gegen Full-Wets. Aber für Hamilton und Ricciardo war Bottas zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr.

Das Feld schob sich durch die drei Safety-Car-Phasen zwar immer wieder zusammen, aber entscheidende Verschiebungen ergaben sich dadurch nicht. Zum ersten Mal musste Bernd Mayländer nach dem Startcrash auf die Strecke. Der zweite Übeltäter war Daniil Kwjat, als er seinen Toro Rosso crashte. Und ein drittes Mal wurde neutralisiert, als Marcus Ericsson (Sauber) auf der Anderson-Bridge entgegen der Fahrtrichtung stand.

Eigentlich also ein klassisches Chaosrennen mit Chancen für Fahrer, die sonst nicht so weit vorne stehen. Einer dieser unbelohnten Helden der Nacht von Singapur ist Nico Hülkenberg. Der Renault-Pilot ist nun seit 129 Grands Prix ohne Podestplatz - und damit endgültig alleiniger Halter eines traurigen Formel-1-Rekords.

Dabei hätte er den Bann heute um ein Haar gebrochen. Nach der chaotischen Anfangsphase lag Hülkenberg sensationell an dritter Stelle, doch durch einen unglücklich getimten ersten Boxenstopp fiel er hinter Bottas und Carlos Sainz (Toro Rosso) auf P5 zurück. Sainz kriegte er wieder, als er eine Runde später als der Spanier Reifen wechselte.

Doch dann sollte ihm der letzte geplante Boxenstopp zum Verhängnis werden: Hülkenberg stand viel zu lang, während seine Mechaniker Hydraulikflüssigkeit nachfüllten, fiel vom vierten auf den zehnten Platz zurück und musste wenig später ganz abstellen. So erbte Sainz den vierten Platz - das bisher beste Ergebnis seiner Formel-1-Karriere.

Der Spanier hatte nach der Zieldurchfahrt in einem seiner letzten Rennen für Toro Rosso Mühe, seine Emotionen im Zaum zu halten. Am Boxenfunk schaltete sich sogar Teamchef Franz Tost höchstpersönlich ein: "Grandios gemacht, Carlos! Du wirst bei uns bleiben - wir lassen dich nicht gehen!" Zumindest nicht vor 2018, denn dann ist der Wechsel zu Renault unausweichlich.

Stoffel Vandoorne (McLaren), Lance Stroll (Williams), Romain Grosjean (Haas) und Esteban Ocon (Force India) holten die verbleibenden Punkteränge in einem Rennen, in dem nur zwölf Autos die Zielflagge sahen. Pascal Wehrlein (Sauber) fuhr am Anfang extrem lang auf Full-Wets, war hoffnungslos unterlegen und wurde mit zwei Runden Rückstand Letzter.

Der Grand Prix war gespickt von kleineren Zwischenfällen und heißen Zweikämpfen. Sehenswert zum Beispiel das Duell zwischen Kevin Magnussen (out/Haas) und Felipe Massa (11./Williams), bei dem es zur einen oder anderen Berührung kam. Dass Massa phasenweise unkonzentriert wirkte und Williams sich in Sachen Boxenstrategie nicht mit Ruhm bekleckerte, ist ein anderes Thema.

Weiter geht die Formel-1-WM 2017 in zwei Wochen mit dem Grand Prix von Malaysia in Sepang. Rechnerisch haben jetzt noch fünf Fahrer Titelchancen; praktisch spitzt sich aber alles auf ein Duell Hamilton (263) gegen Vettel (235) zu. Denn Bottas (212) driftet bei Mercedes zunehmend in die Rolle des Hamilton-Edeldomestiken ab.

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