Ein Bernd ist nicht genug: Bakus böse Safety-Car-Mischung
Wenn Bernd Mayländer in Baku ausrücken muss, dann stehen die Chancen auf einen weiteren Einsatz gut: Kalte Reifen, ein Fahrerpack und die Gerade als böse Mischung
(Motorsport-Total.com) - "Caution breeds caution" heißt es im amerikanischen Motorsport so treffend. Auf Deutsch lässt sich das ungefähr so beschreiben: "Eine Gelbphase bedingt die nächste." Was das heißt, konnte man gestern beim Formel-1-Rennen in Baku gut beobachten. Der Lauf in Aserbaidschan ging seinen Gang, bis das Safety-Car das Geschehen neutralisierte. Kurz darauf folgte eine weitere Safety-Car-Phase und kurz darauf sogar eine Rennunterbrechung.
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Zwar gibt es nur eins, doch das Safety-Car scheint in Baku ein Herdentier zu sein Zoom Download
Kommt das Safety-Car, ist die Chance hoch, dass das nächste nicht weit ist. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist das Feld natürlich wieder dicht beisammen, was speziell auf Stadtkursen wie Baku die Unfallchance drastisch erhöht. Gleichzeitig verlieren die Reifen an Temperatur, was eine höhere Fehlerquote zur Folge hat. Und drittens sorgt auch die Streckencharakteristik in Baku für Chaospotenzial.
Über den ersten Punkt gibt es wohl kaum etwas zu erklären. Das Feld war nach dem Safety-Car wieder eng beisammen, was beim Restart für packende Überholmanöver, aber auch für Kollisionen gesorgt hat - man muss nur einmal in die Garage von Force India schauen. Ohne das Safety-Car wären Sergio Perez und Esteban Ocon wohl kaum so nah aneinandergeraten. Klarer Fall.
Fahrer verlieren Reifentemperatur
Doch das Thema Reifen sorgt für Gefahr. Immer wieder forderte Leader Lewis Hamilton Bernd Mayländer auf, sein Gefährt schneller um den Kurs zu bewegen. Natürlich war der Deutsche am Limit und hätte nicht schneller fahren können. Doch in einem Formel-1-Boliden kommt einem das Tempo unheimlich langsam vor - ungefähr als würde man eilig zur Geburt seines Kindes ins Krankenhaus wollen, doch auf der engen, unübersichtlichen Landstraße tuckert ein Auto vor einem her, das sich nicht ganz an die Geschwindigkeitsbegrenzung herantraut.
Neben der Geduld der Piloten werden vor allem die Reifen strapaziert. Sie verlieren bei der langsamen Fahrt deutlich an Temperatur und somit Grip. Wenn die Piloten dann im Pack auf die erste Kurve zuschießen, steigt das Crashpotenzial. "Die Reifen scheinen aus irgendeinem Grund Probleme zu haben, wenn wir langsam fahren", hat auch Kimi Räikkönen erkannt. "Das war in einigen Rennen in diesem Jahr der Fall."
Zwar ist das Problem natürlich kein Phänomen, das erst jetzt auftritt, doch in diesem Jahr scheint es noch eine größere Rolle zu spielen. Die Fahrer beschweren sich regelmäßig über die zu harten Reifen. In Baku hätten sich viele Piloten beispielsweise den Ultrasoft gewünscht, der Hard wurde derweil für 2017 komplett aus dem Sortiment geworfen. Hinzu kommt, dass das richtige Arbeitsfenster ziemlich klein ist.
Restart: Streitpunkt Zeitpunkt
In Baku gibt es zum ein Problem mit der Streckencharakteristik. Die Start- und Zielgerade ist mit 2,2 Kilometern so lang, dass im Windschatten ein großer Knäuel an Fahrern entsteht, die gedrängt und mit hoher Geschwindigkeit auf die erste Kurve zurasen - und dann gilt es mit kalten Reifen und kalten Bremsen den richtigen Bremspunkt zu finden. Carbonabsplitterungen und erneute Safety-Car-Phasen sind da fast vorprogrammiert.
Das Problem beginnt jedoch schon früher. Nämlich wenn der Führende das Tempo bestimmen darf, wann es losgeht. Weil die Gerade so lang ist, will der Leader nicht vorzeitig losfahren, weil er sonst im Windschatten ein leichtes Opfer ist. Außerdem ist das Safety-Car dann möglicherweise noch nicht in der Box verschwunden. Bei Lewis Hamilton war es am Sonntag knapp, im GP2-Rennen im Vorjahr wurde Bernd Mayländer sogar eingeholt, weswegen der Führende vom Gas gehen musste und noch mehr Chaos verursachte.
Von daher wird meist bis zur Safety-Car-Linie gewartet, doch das ist für die Hinterherfahrenden ein Problem, wie Carlos Sainz erklärt: "Für mich war es der wohl gefährlichste Teil des Rennens. Beim Restart haben die Führenden bis zur Safety-Car-Linie gewartet. Sie sind immer schnell und langsam gefahren. Die Fahrer hinten sind immer noch in der Kurve, und wir können durch die Mauern nichts sehen. Wir sind Vollgas im sechsten oder siebten Gang gefahren, und sie haben wieder gebremst. Für mich war das gefährlich", so der Spanier.
Muss man auf Stadtkursen damit leben?
"Man kann auf so einer langen Gerade nicht immer wieder Start-Stopp machen, wenn die Leute hinten denken, dass es losgeht", mahnt er und würde sich wünschen, dass es für das kommende Jahr eine Regelanpassung gibt. "Es sollte eine Regel geben, dass der Führende vor Kurve 16 starten muss." Dann würde aber wieder das vorherige Problem eintreten. Darum macht er Lewis Hamilton auch keinen Vorwurf: "Wenn ich der Führende wäre, hätte ich aber vermutlich dasselbe gemacht. Man muss den maximal möglichen Windschatten vermeiden."
Im Hinterfeld kam es dadurch jedoch zu kleineren Kollisionen und einigen Trümmerteilen. Weil diese auch durch die andere Scharmützel breit über die Strecke verteilt waren, musste man irgendwann sogar die Rote Flagge zeigen, um Aufwirbelung der Teile oder Reifenschäden zu vermeiden. "Ich weiß nicht, ob es irgendeine Lösung gibt, um das besser zu machen", sagt Valtteri Bottas. "Auf Stadtkursen hat man nunmal mehr Kolllisionen und mehr Trümmer." In Baku muss man wohl damit leben.