Vorteil Ericsson? Wehrlein holt Sauber-Punkt mit Stallregie
Mit Platz zehn in Baku holt Pascal Wehrlein zum zweiten Mal in der Saison WM-Punkte - Team schrammt haarscharf an Doppelausfall nach Stallgefährten-Crash vorbei
(Motorsport-Total.com) - Am Ende einer turbulenten Woche mit der Entlassung der bisherigen Teamchefin Monisha Kaltenborn hat das Sauber-Team beim Großen Preis von Aserbaidschan in Baku einen wichtigen Punkt geholt. Pascal Wehrlein wurde Zehnter, einen Platz vor seinem Teamkollegen Marcus Ericsson. Der Deutsche profitierte dabei von einer Anweisung der Sauber-Verantwortlichen, dass Ericsson ihn überholen lassen soll, und sicherte dem Team nach seinem achten Rang in Spanien schon zum zweiten Mal in der Formel-1-Saison 2017 wertvolle Zähler.
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Pascal Wehrlein und Marcus Ericsson kamen sich in Baku gefährlich nahe Zoom Download
Dabei wäre das Happy End beinahe ausgefallen. In der 38. Runde kam es zu einer Berührung zwischen den beiden Teamkollegen, als Wehrlein dem Schweden am Ende der Gegengeraden ins Heck knallte. Teile flogen, doch zum Glück konnten beide Piloten das Rennen fortsetzen. Drei Runden später schnappte sich der 22-Jährige mit Unterstützung von der Boxenmauer seinen Teamgefährten und fuhr am Ende 2,7 Sekunden vor ihm ins Ziel. "Ich freue mich sehr über den 10. Platz. Wir haben an diesem Wochenende das Maximum herausgeholt und waren zur Stelle, als es darauf ankam", jubelt der Deutsche nach dem Rennen.
Teamkollegen Ericsson bleibt dagegen seit 36 Grands Prix ohne Punkte in der Formel 1. Dabei erwischte der 26-Jährige einen gelungenen Start und schob sich auf Soft-Reifen von Position 17 auf 14 vor. "Ich konnte einige Positionen nach vorne rücken. Es schaute gut aus für mich", so der Skandinavier über seine Anfangsphase. Wehrlein, der am Samstag überraschend den Sprung in den zweiten Qualifying-Abschnitt schaffte, machte auf den Supersoft-Pirellis am Start zwei Plätze gut. Nach drei Runden fuhren die Sauber-Piloten unmittelbar hintereinander auf den Plätzen 13 und 14, Wehrlein wurde aber von McLaren-Pilot Fernando Alonso überholt und musste den Spanier ziehen lassen.
Wehrleins brisante Frage: "Darf ich ihn überholen?"
Insgesamt schien Ericsson in der Anfangsphase mit den härteren Reifen besser zurechtzukommen. Bis zum Boxenstopp lag er auf Position zwölf, während der Deutsche auf Rang 17 zurückfiel. Als in Baku schließlich das Safety-Car-Chaos losbrach, schafften es beide Sauber-Piloten, sich aus dem Gröbsten rauszuhalten. Bis zur Rennunterbrechung durch die Rote Flagge lag der Schwede aussichtsreich in Position elf, während Wehrlein den Neustart von Rang 15 in Angriff nahm. Zur Rennhalbzeit hatte er den Anschluss an den Schweden hergestellt und fragte über Funk bei seinem Team nach: "Darf ich ihn überholen?"
Eine Frage, die angesichts der Diskussionen der vergangenen Tage um eine vermeintliche Bevorzugung Ericssons im Team durch die Sauber-Eigentümer Longbow Finance, Brisanz barg. Doch am Sauber-Kommandostand nahm man der Debatte Wind aus den Segeln und antwortete dem Deutschen: "Wenn du schneller bist natürlich." Freie Fahrt also für die Sauber-Piloten, die in Runde 38 aber beinahe im Super-GAU geendet wäre. Nachdem er rundenlang im Heck seines Teamgefährten klebte, kam Wehrlein dem Schweden beim Anbremsen zu nahe und touchierte dessen Hinterreifen.
Nicht auszudenken, hätten sich beide Sauber-Fahrer am Ende einer turbulenten Woche mit der Demission Kaltenborns und den aufkeimenden Gerüchten um eine Bevorzugung des zumeist langsameren Schwedens gegenseitig ins Aus befördert - noch dazu mit der Aussicht auf Punkte für das kleine Team. Nun wurde es auch den Sauber-Verantwortlichen zu heikel, via Funk forderten sie Ericsson auf, Platz für den schnelleren Wehrlein zu machen. "Wir müssen Positionen tauschen, von hinten droht Gefahr", so die Ansage, der sich Ericsson zunächst widersetzte.
Ericsson beugt sich der Teamorder
"Er kann mich nicht überholen", antwortete der 26-Jährige und bekam zu hören, dass man gegebenenfalls wieder tauschen würde, sollte sich Wehrlein nicht absetzen können. "Seid ihr euch sicher", hakte der Schwede misstrauisch nach. In Runde 42 zog der Baden-Württemberger schließlich vorbei und fuhr sofort aus dem DRS-Fenster seines Kollegen, der das Rennen als Elfter außerhalb der Punkteränge beendete.
"Der Neustart des Rennens gelang gut, bis einige auf der Strecke liegende Teile von anderen Autos meinen Unterboden rechts hinten beschädigten. Dadurch bekam ich in Linkskurven Schwierigkeiten, womit meine Rundenzeiten etwas langsamer wurden", erklärt Ericsson, weshalb sein Teamkollege an ihn herankam. "Pascal war knapp hinter mir, doch hinter ihm fuhr Stoffel (Vandoorne; Anm. d. Red.) gute Rundenzeiten, sodass er zu uns aufschließen konnte. Das Team teilte mir mit, Pascal vorbeizulassen, um unseren Punktgewinn abzusichern."
Fotostrecke: GP Aserbaidschan, Highlights 2017
Verrückter geht's nicht: Daniel Ricciardo (P17 nach Bremsen-Reparaturstopp) gewinnt das Rennen in Baku vor Valtteri Bottas (nach Kollision mit Kimi Räikkönen schon überrundet) und Lance Stroll (laut Jacques Villeneuve schlechtester Rookie aller Zeiten)! Der Grand Prix von Aserbaidschan 2017 ist der Formel-1-Kracher des Jahres. Fotostrecke
Ironie der Geschichte: Konträr zu den Spekulationen der vergangenen Tage war es in Baku also Teamorder pro Wehrlein, die dem Team den wichtigen Zähler einbrachte. "Insgesamt haben wir heute ein gutes Resultat für das Team eingefahren, aber es ist dennoch eine Enttäuschung für mich, dass ich nicht in dem Auto saß, das punktete. Zumal ich im Rennen doch für einige Zeit an zehnter Stelle gelegen bin", gibt sich Ericsson im Anschluss niedergeschlagen. "Wie auch immer, ich konnte im Rennen eine mitentscheidende Rolle spielen und zum Punktgewinn beitragen, indem ich Stoffel bis zur Zielflagge hinter mir halten konnte."
Der Deutsche zeigt dagegen eine deutlich freundlichere Miene und sagt: "Wir müssen uns noch in einigen Bereichen verbessern, denn unter normalen Umständen wären wir wahrscheinlich nicht in die Punkte gefahren. Nichtsdestotrotz ist der zehnte Platz eine tolle Team-Leistung." Bleibt abzuwarten, ob nun mehr Ruhe beim Schweizer Rennstall einkehrt...