Ricciardos Märchen: Vom Trümmersauger zum Shoey-Leerer
Daniel Ricciardo hatte auf Rang 17 liegend schon mit dem Sieg abgeschlossen, doch die weiteren Umstände spülen den Baku-Sieger noch unverhofft nach vorne
(Motorsport-Total.com) - Am Ende eines verrückten Rennens ging auch bei Daniel Ricciardo noch etwas schief. Statt seine eigene Kappe auf dem Podium zu haben, hatte er die von Teamkollege Max Verstappen bekommen. Doch das dürfte dem Sieger des Chaos-Grand-Prix von Baku herzlich egal gewesen sein. Während sich die Konkurrenz gegenseitig eliminierte, fuhr der Red-Bull-Pilot heimlich still und leise zu seinem fünften Formel-1-Erfolg.
"Auf der Auslaufrunde habe ich einfach wie ein kleiner Schuljunge gekichert", berichtet ein sprachloser Ricciardo, der selbst nicht mit dem heutigen Sieg gerechnet hatte, denn zunächst schien alles gegen ihn zu laufen. Im Qualifying machte er im entscheidenden letzten Abschnitt einen Fahrfehler und fuhr in die Wand, weswegen er nur von Rang zehn losfahren durfte. "Gestern war ich über den Fehler enttäuscht. Ich wusste, dass es heute anders ausgehen würde", so der Australier.
"Ich habe gestern gesagt, dass wir uns aus dem Trouble heraushalten müssen, und das hat sich ausbezahlt." Doch zunächst schien sich das Rennen für ihn in die falsche Richtung zu entwickeln. Ricciardo fing sich in der turbulenten Startphase Trümmerteile ein, die in seine Bremsschächte gerieten. Aus diesem Grund musste er schon nach fünf Runden an die Box kommen, um die Bremsen säubern zu lassen. Zwar wechselte man bei dieser Gelegenheit gleich auf Soft-Reifen, doch der Australier war plötzlich nur noch 17.
Glücksfall Safety-Car-Phase
"Habe ich da gedacht, dass ich heute gewinnen würde? Auf keinen Fall!", lacht der Red-Bull-Pilot. "Ich hätte all mein Geld darauf gesetzt, dass es sehr unwahrscheinlich ist." Auch am Kommandostand war man zu diesem Zeitpunkt etwas ernüchtert: "Es sah so aus, als würde ihn das aus dem Kreis der Sieganwärter herausnehmen", erzählt Teamchef Christian Horner. Weil wenig später auch Max Verstappen mit einem Motorschaden ausfiel, schien der Tag für die Bullen gelaufen.
"Dann kam Daniel aber wieder." Ihm half die erste Safety-Car-Phase, bei der alle Piloten um ihn herum auf Softreifen wechselten. Zwar ging auch Ricciardo noch einmal an die Box, doch weil er schon vorher Softreifen aufgezogen hatte, konnte er nun wieder Supersofts nehmen und von Rang zehn aus gut nach vorne fahren. "Auf den Supersoftreifen hat er Fortschritte gemacht, er hatte tolle Restarts und großartige Überholmanöver", lobt Horner.
Zum Zeitpunkt der Roten Flagge lag er schon auf Rang fünf hinter Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und den beiden Williams. Doch dass die Konkurrenz bei der Neutralisation die Reifen wechseln durfte, passte Red Bull gar nicht: "Wir waren etwas enttäuscht, weil wir dachten, dass wir auf dem richtigen Reifen sind, der uns schneller ins Ziel bringt", erklärt Horner. Nun hatten alle Piloten die Supersofts und Ricciardo keinen Vorteil mehr.
Schon bei Abbruch mit Vettel-Strafe gerechnet
Trotzdem war er wieder überzeugt, dass es noch ein gutes Ergebnis geben kann: "Wir wussten nach dem Re-Start, dass es eine Chance auf das Podium geben könnte", sagt Ricciardo - und aus der Podestchance sollte schließlich eine Siegchance werden. Der Australier schnappte sich schnell Felipe Massa und Lance Stroll und lag nur noch hinter Hamilton und Vettel. "Und dann haben die zwei Herren vorne sich missverstanden. Das haben wir natürlich liebend gerne ausgenutzt", schmunzelt Motorsportberater Helmut Marko.
Weil Vettel nach der Kollision mit seinem Rivalen eine Strafe bekam und auch Hamilton mit loser Kopfstütze an die Box musste, lag Ricciardo plötzlich in Front. Dass etwas passieren würde, hatte sich schon zum Zeitpunkt der Neutralisation angekündigt, wie der Australier verrät: "Als wir bei der Unterbrechung aus dem Auto waren, habe ich die Replays gesehen. Ich war ziemlich sicher, dass Seb eine Strafe bekommen würde - ich wusste nur nicht, wie stark sie ausfallen würde", sagt er.
"Ich dachte, wenn sie eine Zehn-Sekunden-Strafe bekommen würden, dann hätten sie vermutlich genügend Pace, um die Lücke aufzufahren. Aber dann haben sie Zehn-Sekunden-Stop-and-Go gesagt, und ich dachte: 'gut'. Und als dann die Kopfstütze von Lewis lose wurde, dachte ich: 'Das ist unwirklich. Ich führe das Rennen an, und es liegt in meinen Händen.'
"Es zeigt, dass im Motorsport alles passieren kann"
Hinter ihm befand sich Lance Stroll, den er aber langsam abhängen konnte. So musste der Red-Bull-Pilot seinen Wagen nur noch fehlerfrei ins Ziel tragen. "In den letzten Runden war er sehr konstant. Er hat all seine Drücke im richtigen Fenster gehalten und hat das Rennen gut kontrolliert. Er hat einen guten Rhythmus gefunden und konnte das Rennen nach Hause bringen", lobt Horner.
Der Brite war übrigens wieder einmal bekannt nervös, als es in die letzten Runden ging: "Ich bin ungefähr um zehn Jahre gealtert. Es gab Fußwippen, Fluchen, Jubel - alle möglichen Emotionen, die man sich vorstellen kann", lacht er. Doch es ging gut. Ricciardo fuhr als Sieger über die Ziellinie und holte somit seinen fünften Erfolg in der Formel 1 - und den vierten Podestplatz in Folge.
"Es war ein verrücktes Rennen", atmet er durch. "Das war das Rennen, das wir im vergangenen Jahr erwartet hatten. Das ganze Chaos und die Safety-Car-Phasen haben wir in diesem Jahr bekommen." Und das hat Red Bull zu einem unerwarteten Sieg geführt. "Es zeigt, dass im Motorsport alles passieren kann", freut sich Teamchef Horner. Und Helmut Marko ist ebenfalls im Freudentaumel: "Unverhofft kommt oft", so sein Motto.
Und was sagt der Sieger selbst zu dem heutigen Rennen? "Es hat Spaß gemacht. Selbst beim Abbruch habe ich über Funk gesagt: 'Das macht Spaß. Das ist ein gutes Rennen.'", lacht er. "Ich hatte schon auf Rang fünf liegend Spaß, und jetzt habe ich das Rennen gewonnen. Ihr könnt euch vorstellen, wie ich mich fühle." Der bekannte Shoey nach dem Grand Prix dürfte sicher besonders süß geschmeckt haben.