Formel 1 Baku 2017: Verrückter geht's nicht mehr!
Das WM-Duell 2017 eskaliert: Hamilton und Vettel geraten in Baku aneinander und ermöglichen damit ein sensationelles Ergebnis - Stroll erstmals auf dem Podium
(Motorsport-Total.com) - Nach einem Langeweiler-Rennen im vergangenen Jahr war der Grand Prix von Aserbaidschan in Baku diesmal das vielleicht Aufregendste, was die Formel-1-Saison 2017 bisher zu bieten hatte. Während es zur ersten heißblütigen Auseinandersetzung zwischen den großen WM-Rivalen Lewis Hamilton (Mercedes) und Sebastian Vettel (Ferrari) kam, siegte Daniel Ricciardo (Red Bull) sensationell vor Valtteri Bottas (Mercedes) und Lance Stroll (Williams).
Die Geschichte der Top 3 hätte verrückter gar nicht sein können: Ricciardo kam nach Crash in Q3 vom zehnten Startplatz, musste zu Beginn des Rennens wegen verunreinigter Bremsen einen zusätzlichen Boxenstopp einlegen, lag nur noch an 17. Stelle. Bottas hatte nach einer Kollision mit Kimi Räikkönen (Ferrari) schon eine Runde Rückstand. Und Stroll wurde noch vor zwei Wochen von Jacques Villeneuve als schlechtester Formel-1-Rookie aller Zeiten geschmäht.
Aber die heißesten Diskussionen löste der böswillige Rammstoß von Vettel gegen Hamilton aus. Kurz vor dem zweiten Safety-Car-Restart des turbulenten Rennens ging Hamilton gerade vom Gas, um Abstand zu nehmen - und prompt knallte ihm Vettel, der möglichst nah dranbleiben wollte, von hinten drauf. Das Mercedes-Heck wurde dabei am Diffusor beschädigt, der Ferrari verlor einige Flügelsplitter - und Vettel völlig die Nerven!
"Er ist auf die Bremse gestiegen. Das war einfach unnötig, für uns beide", findet Vettel. Seine Reaktion darauf: Er setzte sich, wild mit den Händen fuchtelnd, links neben den Mercedes - und zog mit voller Absicht in Hamilton rein! "Es war klar, dass ich nicht zufrieden war mit der Art und Weise, wie er gefahren ist. Ich bin dann daneben gefahren und habe ihm das auch gezeigt", streitet er ein absichtliches Handeln gar nicht erst ab.
Das Rennen wurde nur kurz neu gestartet, ehe wegen Wrackteilen auf der Strecke rote Flaggen gezeigt wurden. In der Boxengasse konnten sich die Gemüter beruhigen. Aber: "Jetzt ist Krieg zwischen den beiden", glaubt Formel-1-Experte Marc Surer. Als neu gestartet wurde, entschieden die Stewards: zehn Sekunden Stop & Go für Vettel. "Wenn er nur zehn Sekunden dafür bekommt, weiß ich nicht, was ich sagen soll", regt sich Hamilton, um seine diplomatische Fassung bemüht, auf.
Vettel sieht sich in der Rolle des Opfers: "Wenn ich dafür bestraft werde, sollte er auch bestraft werden." Aber bei vielen werden Erinnerungen etwa an Jerez 1997 wach, als Michael Schumacher auch einem Gegner absichtlich ins Auto gefahren ist und dafür von der WM nachträglich ausgeschlossen wurde. Damon Hill findet: "So etwas darf im Sport keinen Platz haben und erlaubt sein. Das geht einfach nicht."
Hamilton sah auch nach dem Restart wie der sichere Sieger aus, konnte sich sofort wieder vom zweitplatzierten Vettel absetzen. Aber dann wurde plötzlich seine Cockpit-Kopfstütze locker. Anfangs versuchte er noch, diesen mit eigenen Händen festzuhalten - aber einhändig bei Tempo 340, da schaute die FIA nicht lange zu. Der Boxenstopp warf ihn auf den achten Platz zurück. "Menschen arbeiten, Menschen machen Fehler", nimmt Niki Lauda das Mercedes-Team in Schutz.
Die Schlussphase hätte dann spannender nicht sein können. Während Bottas innerhalb von elf Runden 13,6 Sekunden Rückstand auf Stroll wettmachte, sodass es in der letzten Runde zum Showdown kam, rückten von hinten auch Vettel und Hamilton näher. Vettel konnte Hamilton gerade noch in Schach halten, Stroll wurde aber praktisch auf der Ziellinie überholt. "Das muss eines der engsten Ergebnisse aller Zeiten sein", seufzt er.
Der Jubel bei Williams war trotzdem riesengroß. Stroll hatte beim letzten Restart zuerst seinen Teamkollegen Felipe Massa überholt, der wenig später mit einem kaputten Stoßdämpfer ausschied. Und als sich Hamilton und Vettel selbst eliminierten, fuhr er plötzlich auf Podiumskurs. Und wer weiß, wie das Rennen ausgegangen wäre, wenn Massa beim Restart nicht geschlafen hätte, sodass Ricciardo innen vor Kurve 1 an beiden Williams vorbeigehen konnte?
Stattdessen fuhr Ricciardo den Sieg relativ sicher nach Hause, mit letztendlich 3,9 Sekunden Vorsprung. Seine Renngeschichte liest sich wie ein Hollywood-Krimi: Nach dem Start Neunter, dann wegen des Bremsen-Boxenstopps nur noch 17., ein cleverer Wechsel auf Supersofts während der Safety-Car-Phase, dann das tolle Manöver beim Restart - und am Ende Sieger mit einem Aufblitzen des Speeds, den Red Bull am Freitag angedeutet hatte.
Dabei war Max Verstappen an diesem Wochenende eigentlich der schnellere Red-Bull-Pilot, aber der Niederländer musste seinen vierten Ausfall in den letzten sechs Rennen verzeichnen. Er lag hinter Sergio Perez (Force India) an vierter Stelle, als ihn ein technischer Defekt außer Gefecht setzte. "Problem mit dem Motor!", funkte er, fuhr zunächst aber noch weiter. Eine Runde später war dann Schluss: "Here we go again", seufzte Verstappen frustriert.
Der turbulente Grand Prix von Aserbaidschan war das Rennen der tragischen Helden. Fernando Alonso (McLaren) etwa glaubt, dass er gewinnen hätte können. Er wurde Neunter. Nico Hülkenberg (Renault) lag während der Unterbrechung noch unmittelbar hinter Ricciardo, krachte kurz darauf aber in die Mauer. Und die beiden Force Indias hätten locker einen Doppelsieg einfahren können, wenn sie sich nicht gegenseitig in die Karre gefahren wären.
Kevin Magnussen (Haas) lag auch lange auf Podiumskurs, wurde dann aber noch auf Platz sieben durchgereicht. Und Pascal Wehrlein und Marcus Ericsson (Sauber) hätten beinahe einen weiteren WM-Punkt für ihr Team aufs Spiel gesetzt, als sie sich gegenseitig ins Auto fuhren. Bemerkenswerte Randnotiz: Zu einem Zeitpunkt im Rennen erkundigte sich Wehrlein, ob er Ericsson überholen darf. Antwort: "Natürlich! Wenn du schnell genug bist."
Kimi Räikkönen hätte auch einer der Profiteure des kuriosen Rennverlaufs sein können, aber er geriet in der zweiten Kurve gleich nach dem Start wieder einmal mit Landsmann Bottas aneinander. Räikkönen probierte es außen, war schon vorne, aber: "Ich hatte keinen Platz, musste über den Randstein fahren - und da hebt das Auto halt ab. Ich würde sagen, es war ein Rennunfall", verteidigt sich Bottas.
Sein Rennen war ebenfalls verrückt: Nach dem langen Reparaturstopp hatte er schon eine Runde Rückstand, durfte sich aber während der Safety-Car-Phase zurückrunden. Während der Unterbrechung hatte das Mercedes-Team dann auch noch Zeit, den Schaden am Auto zu beheben - und so kämpfte er am Ende wieder mit scharfen Waffen. Räikkönen hingegen erlebte danach einen Nachmittag zum Vergessen und wurde 14.
Viele Themen des Rennens würden den Rahmen dieses Rennberichts sprengen. Etwa Massa, der drauf und dran war, Vettel zu überholen - und sich später an der Boxenmauer zumindest einen tröstenden Applaus abholte. Oder Hamilton, der am Boxenfunk kritisierte: "Charlie, kannst du nicht sehen, dass das Safety-Car gefährlich ist?" Weil bei dem verlangsamten Tempo die Reifentemperaturen in den Keller fielen.
Und dann ist da noch die kuriose Geschichte der beiden Toro Rossos: Carlos Sainz drehte sich gleich in der ersten Kurve, weil er von einem Konkurrenten irritiert wurde, der gerade aus dem Notausgang retour kam - und das war ausgerechnet sein Teamkollege Daniil Kwjat. Trotzdem holte Sainz am Ende des Baku-Thrillers, allerbeste Werbung für das Red-Bull-Heimrennen in zwei Wochen in Österreich, als Achter vier Punkte.