Hamilton am Boden zerstört, aber sicher: "Bin nicht langsam"
Die Reifenprobleme des Superstars sind Mercedes ein Rätsel - Auto ist "eine Diva", Temperaturen scheinbar willkürlich - Hamilton will im Rennen "Risiken eingehen"
(Motorsport-Total.com) - Die Mercedes-Mannschaft steht nach dem Qualifying zum Monaco-Grand-Prix vor einem Mysterium. "Eine große Unbekannte" nennt Lewis Hamilton die Gründe dafür, warum er mit den Reifen seit Set-up-Änderungen im zweiten Freien Training nicht mehr in das richtige Temperaturfenster gelangt. Nur eine Erklärung schließt der dreimalige Weltmeister aus, obwohl es bei Teamkollege Valtteri Bottas besser läuft: "Ich fahre das Auto nicht schlecht. Ich bin nicht langsam", insistiert Hamilton.
Der Brite betont, dass er bereit sei, sich auf Ratschläge der Ingenieure einzulassen - wenn es etwa um das Tempo in der Aufwärmrunde geht: "Ich frage mein Team danach, was ich anders machen könnte", meint Hamilton mit Ratlosigkeit in der Stimme und stellt verwundert fest: "Ich fahre nun schon so lange Rennen und hatte nie Probleme mit Reifen." Heißt im Klartext: Es muss am Wagen liegen. Sportchef Toto Wolff kann der Theorie etwas abgewinnen. Er kennt den launischen W08.
Der Österreicher sagt: "Ein Auto hat eine DNS. Unseres kann in Qualifikation und Rennen schnell sein. Aber es ist ein bisschen eine Diva." Dass der Silberpfeil empfindlich auf Modifikationen der Abstimmung reagiert, ist nicht neu. Doch dass Hamilton und Bottas mit dem gleichen Set-up komplett unterschiedliche Auswirkungen und Resultate verspüren, gab es zuvor nicht. Hinzu kommt, dass sich keine Wirkungsmechanismen oder Muster feststellen lassen. Der Bolide tut, was er will.
Russland 2017 und Singapur 2015 liefern keine Anhaltspunkte
Und der W08 lässt Hamilton hadern: "Es ist merkwürdig. Ich mache genau das Gleiche, wenn ich aus der Box fahre. Es ist nicht vorne oder hinten. Es ist mal der eine, mal der andere Reifen. Dann sind plötzlich alle nicht im Temperaturfenster", schüttelt der 32-Jährige den Kopf. "Ich weiß nicht, ob es Problem oder Zustand ist. Andere bekommen die Reifen zum Arbeiten." Allen voran Bottas.
Zwar beklagte der Finne nach der Qualifikation ebenfalls Unregelmäßigkeiten, jedoch kam er auf Rundenzeiten, die reichten, um an der Spitze mitzumischen. "Man denkt: 'Warum ging es bei mir nicht?' Das ist enttäuschend", lässt Hamilton seinem Frust freien Lauf. Die Worte erinnern an die, die er vor vier Wochen beim Russland-Grand-Prix fand. Auch in Sotschi funktionierte der W08 nicht, doch Rennsieger Bottas holte aus dem Paket mehr heraus als der Vierte Hamilton.
Alle Hoffnung ruhen auf Chefstratege James Volwes
Eine Blaupause? Mitnichten, findet Hamilton. Er verweist darauf, dass seine Pneus damals chronisch acht Grad Celsius kälter gewesen wären. "Da waren die Reifentemperaturen unterschiedlich. Hier verstehen wir es nicht." Auch das Mercedes-Debakel von Singapur 2015 liefert keine Anhaltspunkte. "Etwas ganz Anderes, was wir verstanden haben", deutet Wolff eine andere Ursache für die Schlappe vor zwei Jahren an. Schnelle Lösungen sind rar. Deshalb hofft er, dass Mercedes aus Erfahrung klug wird: "Umso mehr Kilometer wir fahren, umso besser werden wir es verstehen."
Hamiltons Konzentration gilt ohnehin zunächst dem Monaco-Rennen, auch wenn er eine dicke Enttäuschung überwinden muss: "Ich komme schnell über Dinge hinweg. Aber nach der Session war ich am Boden zerstört", sagt er auf die Szene nach seinem Ausscheiden in Q2, in der er lange im Cockpit sitzen blieb, angesprochen. Er fühlte völlige Leere: "Es fließen so viel Energie und Arbeit in so ein Wochenende. Vom ganzen Team. Wenn man nicht in Q3 kommt, ist es gelaufen."
Zumindest fast. Denn Hamilton baut auf James Vowles, der ihn in Spanien aus scheinbar auswegloser Situation mit einem Geniestreich zum Rennsieg taktierte. "Wir müssen wohl ein paar Risiken eingehen. Wir haben den besten Strategen im Paddock. Er macht das im Schlaf." Jedoch braucht auch der Vordenker am Kommandostand ein schnelles Auto. Wolff bezweifelt indes, ob das von Mercedes wirklich so gut war wie es Bottas' Resultat vermuten lässt: "Ich denke nicht, dass unser Tempo nahe an dem Ferraris gewesen wäre. Sie hätten schneller sein können", räumt er ein.