Carlos Sainz: Slick-Start gegen den Willen der Ingenieure
Toro-Rosso-Pilot Carlos Sainz bewies mit seiner Reifenwahl beim Grand Prix von China viel Mut und wurde dafür mit Platz sieben belohnt
(Motorsport-Total.com) - Ein Bolide schien beim Start des Grand Prix von China gar nicht wegzukommen. Der Toro Rosso von Carlos Sainz fiel von Startplatz elf aus immer weiter zurück und man musste befürchtet, dass das Rennen für ihn schon gelaufen war. Aber der findige Spanier hatte diesen Rückschlag einkalkuliert und konnte mit einer Meister-Strategie zurückschlagen - auch wenn sein Team anfangs skeptisch war. Denn Sainz war in der Startaufstellung der einzige Pilot mit Trockenreifen.
"Als ich am Anfang alle auf Intermediates sah, dachte ich natürlich, es wäre die falsche Entscheidung gewesen", räumt er nach dem Rennen ein. "Man hätte mal die Gesichter meiner Ingenieure, das von Franz (Tost, Teamchef; Anm. d. Red.) oder Helmut Marko sehen müssen als ich ihnen gesagt habe, dass ich den superweichen Reifen will. Sie dachte ich wäre total verrückt geworden. Jetzt ist das lustig, aber in dem Moment war ich aber selbst noch nicht so überzeugt davon." Seine Belohnung war Platz sieben und sechs Punkte aus Schanghai.
Und so wurde aus dem Benachteiligten, der Glückliche: Das zweite Rennen der Formel-1-Saison 2017 startete auf noch feuchter Strecke von den verregneten Bedingungen über Nacht. Bereits in Runde zwei kam es zu einer virtuellen-Safety-Car-Phase. Zwei runden später, kam das reale Safety-Car auf die Strecke. Da war Sainz schon von ganz hinten auf den siebten Platz vorgerückt - obwohl er einen Ausritt zu verkraften hatte.
"Dann dachte ich: Jetzt sehe ich nicht mehr so dumm aus"
"Ich wusste, dass die ersten vier Kurven hart werden würden", erklärt Sainz. "Aber von Kurve sechs an war die Strecke trocken und kam mir entgegen. Ich konnte auf das Feld aufschließen. Nach Kurve neun dachte ich: Jetzt sehe ich nicht mehr so dumm aus. Jeder ging an die Box und ich fand mich auf Platz fünf wieder. Ich denke, das Risiko hat sich gelohnt."
Eine Schrecksekunde konnte er hingegen nicht vermeiden. Bei seinem Ausritt hinter dem Safety-Car beschädigte er sich den STR 12 sogar leicht. "Ich hatte mir ein paar Bremsmarken aus den ersten Runden eingefahren", erklärt er seinen Fauxpas. "Nachdem wir hinter dem Safety-Car dreimal durch die Boxengasse gefahren sind, kühlten meine Reifen auf 50 Grad herunter - was sehr, sehr kalt ist. Ich habe die Kontrolle über das Auto kurz verloren und auch die Mauer berührt. Das Auto hat danach ein wenig nach links gezogen, das hat das Rennen über Bremsprobleme verursacht. Aber es war okay."
Schließlich hagelte es von ihm sogar schnellste Rennrunden. "Als das Safety-Car rein kam waren wir auf den superweichen Reifen schneller als Ferrari und Red Bull", schüttelt er ungläubig den Kopf. "Das konnte ich selbst nicht glauben - gestern waren sie noch zwei Sekunde schneller. Es war ein großartiges Gefühl, zeigen zu können, zu was wir unter solchen Bedingungen in der Lage sind."
Wie Sainz den Anschluss an die Spitze hielt
Sainz kam nur einmal regulär, in Runde 28, zum Reifenwechsel auf die weichen Pirellis an die Box. In Runde zehn fuhr er noch auf Rang sechs mit einem Abstand von lediglich 6,9 Sekunden auf die Spitze. Das Valtteri Bottas im Mercedes noch an ihm vorbeizog, konnte er nicht verhindern. Dafür schnappte er sich noch sehenswert Landsmann und Idol Fernando Alonso im McLaren. "Es war ein guter Kampf und natürlich nicht leicht - das ist es nie mit Fernando", sagt er.
Am Ende kam er 24 Sekunden hinter Bottas ins Ziel, sicherte sich den Titel "Best of the Rest" und wurde als einzige aus dem Mittelfeld nicht überrundet. "Als das Safety-Car rein kam dachte ich, sie würden mir davon fahren und ich mache meinen Rennen mit dem Mittelfeld", sucht er nach einer Erklärung dafür, dass er den Anschluss zur Spitze halten konnte.
"Heutzutage besteht da eigentlich immer ein Nachteil von mindestens 1,5 Sekunden. Ich dachte, ich würde sie erst wiedersehen, wenn sie mich überrunden. Und dann konnte ich plötzlich sogar aufholen."
Teamchef: "Carlos hätte Besseres verdient"
Dass er den Nachteil seiner Renault-Antriebseinheit auf dem anspruchsvollen Kurs in Schanghai wettmachen konnte, erklärt er sich so: "Man fährt weniger Vollgas, weil es weniger Grip und mehr Benzin an Bord gibt. Aber ich hatte auch einfach mehr Selbstbewusstsein - auch auf den noch feuchten Teilen der Strecke. Wenn sich eine solch heikle Entscheidung als richtig erweist, glaubt man viel mehr an sich selbst."
Fotostrecke: GP China, Highlights 2017
"In your face!" Lewis Hamilton schlägt nach der Niederlage gegen Sebastian Vettel beim Saisonauftakt in Australien zurück und gewinnt den Grand Prix von China. Aber die wichtigste Erkenntnis in Schanghai ist: Ferrari hat 2017 ein Siegerauto - und diese beiden Herren fighten um den WM-Titel. Fotostrecke
Den größten Applaus für diesen Clou gab es vom Team. "Ich muss Carlos für seine riskante Entscheidung gratulieren", so Teamchef Tost. "Ohne das Safety-Car hätte er sogar ein noch besseres Ergebnis einfahren können. Das hätte er auf jeden Fall verdient gehabt."
Sainz winkt bei so viel Lob sogar ab: "Es war ein Bauchgefühl aber für mich auch logisch. Ich wusste, dass ein Safety-Car wahrscheinlich war, dass die Strecke ab Kurve sechs trocken ist und die anderen einen Abstand von 26 Sekunden herausfahren müssten, um ihre Strategie aufgehen zu lassen. Da dachte ich mir, das können sie nie schaffe - selbst wenn sie am Start alle an mir vorbeiziehen. Wenn man dann im Ziel einen Abstand von 35 Sekunden auf den Rest des Mittelfelds hat, dann ist das schon ein fast perfektes Rennen."
Hydraulikproblem bei Kwjat
Weniger perfekt lief es hingegen für seinen Teamkollegen Daniil Kwjat. Der Russe startete zwar als Neunter vor Sainz, zog aber die konservative Strategie auf weichen Reifen vor und schied schließlich in Runde 18 mit einem Hydraulikproblem aus.
Toro Rosso reist nun mit insgesamt 12 WM-Punkten als viertbestes Team zum dritten Rennen. Dabei haben sie aber vor allem einen mental gestärkten Carlos Sainz an Bord, der verkündet: "Wenn man so eine mutige Entscheidung trifft und merkt, dass dir das Team bedingungslos vertraut, dann können wir alle davon viel lernen und diesen Fortschritt auch mit nach Bahrain nehmen."