Keine Daten: Set-up-Poker als Chance für die kleinen Teams?
Trotz Vabanquespiel ohne Training: Bessere Simulationen, Spitzenfahrer am Volant und der riesige Vorsprung sorgen dafür, dass die Favoriten solche bleiben
(Motorsport-Total.com) - Die Verkürzung des ersten und die Absage des zweiten Freien Trainings zum China-Grand-Prix am Freitag könnte den kleinen Formel-1-Teams die Chance eröffnen, sich in Schanghai in Szene zu setzen - besonders, wenn es am Sonntag regnen sollte. Schließlich fehlt es den Platzhirschen Ferrari, Mercedes und Red Bull an Zeit, um eine optimale Abstimmung für ihre Rennautos zu finden, was im Zuge der Regelnovelle im vergangenen Winter kniffliger und zum Vabanquespiel geworden ist.
Einem Außenseiter könnte ein Glücksgriff beim Set-up gelingen - würden dann zwei der Topmannschaften patzen, wäre für Williams, Force India und Co. sogar der Weg auf das Podium frei. "Für die, die es richtig erwischen, ist es natürlich optimal", sagt Red-Bull-Berater Helmut Marko über das Pokerspiel mit der Abstimmung, bei dem Fortuna mit am Tisch sitzt. "Es ist sicher Zockerei dabei. Rein auf Datenbasis wird man nicht die optimale Sache hinstellen können", bemerkt Marko.
Allen Ingenieuren fehlt es vor dem zweiten Grand Prix mit den neuen Boliden an Erfahrungswerten, was sie zwingt, von ihren Routinen abzuweichen. "Sie entscheiden grundsätzlich nicht gerne aus dem Bauch heraus, sondern auf Basis der Daten", meint Mercedes-Sportchef Toto Wolff über seine Techniker. "Mit diesen Autos ist alles anders. Die Reifen sind völlig anders. Es wurde neu asphaltiert, insofern ändert sich das Verhalten. Es gibt viele Fragezeichen, das macht es spannend."
Insbesondere Abbau und Verschleiß der Pneus stehen im Fokus, nachdem sich die Pirelli-Gummis in Melbourne als sehr haltbar entpuppt hatten. "Zum Beispiel wissen wir nicht, wie lange die Reifen halten und welcher Performance-Unterschied zwischen den Mischungen besteht. Diese Daten sind die Grundlage für unsere Rennstrategie", erklärt Mercedes-Technikchef James Allison, merkt aber auch an, dass Fahrpraxis nicht alles ist, was zuletzt diverse Trainings im Nassen gezeigt hätten.
Sauber denkt über "ein bisschen mehr Risiko" nach
Kaum jemand geht auf die Bahn, weil das Risiko von Unfällen höher ist als das eines falschen Set-ups. "Heutzutage kommen wir mit einer recht guten Balance an die Strecke", betont Allison den Stellenwert der Simulationsarbeit - die beherrschen Topteams besser als alle anderen. Da sie auch noch über die besten Piloten verfügen, schmälern sich ihre Chancen nicht, wenn das Können am Volant beim ersten Einsatz von Regenreifen zur entscheidenden Variable wird. "Und das klassische Set-up-Spiel für Regenbedingungen gibt es schon länger nicht mehr", ergänzt Sebastian Vettel.
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in China
Premierensieger im Jahr 2004: Rubens Barrichello (Ferrari) vor Jenson Button (BAR), der trotz eines Boxenstopps weniger am Ende den Kürzeren zieht, und Kimi Räikkönen (McLaren). Fotostrecke
Der Vorsprung der drei Topteams (in Australien waren sie im Qualifying zwischen 0,6 und 1,8 Sekunden vor der Konkurrenz) lässt vermuten, dass sich im Kampf um den Sieg aller Turbulenzen zum Trotz nicht viel tun wird. "Ein bisschen mehr Risiko vielleicht", sinniert Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn verhalten über eine angepasste Strategie ihrer Truppe, die bei trockenen Bedingungen chancenlos ist und selbst mangelnde Praxis beklagt: "Es nicht gut für die Vorbereitung des Wochenendes", klagt Kaltenborn. Und Vettel sagt: "Auch im Regen braucht man ein gutes Auto."
Wenn überhaupt, wird wohl nur die Hackordnung zwischen Mercedes, Ferrari und Red Bull beeinflusst. "Hoffentlich haben wir sofort das richtige Set-up", meint Vettel, der sich nach dem dritten Freien Training am Samstag rasch für eine Variante wird entscheiden müssen. "Wir verlieren die Möglichkeit, über Nacht etwas zu machen", weiß der Heppenheimer, der normalerweise freitags Daten sammelt und die gefundene Abstimmung in der letzten Session vor dem Qualifying verifiziert. Der Ablauf wird komprimiert, was zu Kompromissen zwingt. Den einen möglicherweise mehr als den anderen.