Probleme mit Chassis & Motor: Red Bull sucht halbe Sekunde
Red Bull ist nach dem Grand Prix von Australien nur dritte Kraft - Schwächen vor allem im Qualifying, Rennpace gibt Hoffnung - Dem RB13 fehlt "Grip und Power"
(Motorsport-Total.com) - Nach den Wintertests in Barcelona stellte sich die Formel 1 in der Saison 2017 auf einen Dreikampf ein. Der Mercedes-Vorsprung war geschmolzen, Ferrari konnte deutlich aufholen. Doch wie würde es um Red Bull stehen? Viele Experten erwarteten ein großes Update schon zum ersten Rennen, doch der schlichte RB13 sollte nur wenige neue Teile im Albert Park präsentieren. Nach dem Qualifying am Samstag dann die Gewissheit: Red Bull kann in den Spitzenkampf (noch) nicht eingreifen. Teamchef Christian Horner wusste in Melbourne bereits: "Wir haben das drittschnellste Auto." Doch was bedeutet der mäßige Saisonauftakt für den weiteren Verlauf?
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Verstappen konnte in Australien den Kampf gegen Ferrari nicht aufnehmen Zoom Download
Der fünfte Platz von Max Verstappen war, nach dem desaströsen Rennverlauf von Daniel Ricciardo, das Maximum für die Österreicher in Australien. Der Red-Bull-Junior verlor im Qualifying bereits 1,2 Sekunden auf die Pole-Position. Im Vergleich zum Vorjahr gelang ihm (damals fuhr er noch für Toro Rosso und holte auch den fünften Platz) eine leichte Verbesserung, der besser platzierte Red Bull (Daniel Ricciardo) verlor 2016 satte 1,7 Sekunden. Trotzdem vergrößerte sich der Abstand zur roten und silbernen Konkurrenz, wenn man die Abstände der letzten Testwoche hernimmt. Da fehlten Verstappen nur 0,8 Sekunden auf die Spitze.
"Wir müssen am Qualifying arbeiten", weiß Helmut Marko. Zu dem Respektabstand trug vor allem Verwirrung bei der Set-up-Arbeit bei. Nachdem man sich im ersten Freien Training noch auf 0,6 Sekunden an Mercedes annähern konnte, nahm man bei der Abstimmung Änderungen vor. "Die haben unseren Fahrern nicht gefallen", wusste Horner bereits am Freitagnachmittag. Denn plötzlich klaffte im zweiten Freien Training eine Lücke von einer Sekunde auf. Auch Ricciardo bestätigte den Eindruck, dass es ab Freitagvormittag immer weiter nach hinten ging für Red Bull. Verstappen konnte den Rückstand dank positiver Änderungen vor dem Qualifying in Grenzen halten. "Im Training hatten wir Probleme. Zum Glück konnten wir für das Qualifying die richtigen Änderungen vornehmen."
Problemzone Chassis: "Ganz schwierig abzustimmen"
Hinter diesen Aussagen steckt ein Kernproblem des 2017er Red Bull: das Chassis. Eigentlich war dieser Bereich des Autos immer eine Stärke der Truppe aus Milton Keynes, doch bisher konnte Adrian Newey die aerodynamischen Reglementänderungen nicht optimal umsetzen. Marko versucht zu erklären: "Wir haben ein Chassis, das ganz schwer abzustimmen ist. Wir machen kleine Änderungen, aber die Auswirkungen sind drastisch - plötzlich fahren wir eineinhalb Sekunden schneller. Das müssen wir verstehen lernen. Wir müssen die richtigen aerodynamischen Teile zueinander fügen." Schaffen will man dieses Kunststück bereits bis zum Rennen in Russland.
"Die Regularien sind noch sehr unausgereift. Wir haben uns für ein anderes Konzept entschieden", versucht Horner den unüblichen Schwachpunkt zu erklären. "Wir haben sehr gutes Entwicklungspotenzial mit diesem Konzept." Die Lücke möchte man schnell schließen. Das Problem sei das schmale Arbeitsfenster, in dem die Abstimmung optimal funktioniert - das müsse man ausweiten. "Zumindest reagiert das Auto auf Veränderungen", findet der Brite auch noch einen positiven Aspekt.
Auch Verstappen ist das sensible Chassis ein Dorn im Auge. Der Niederländer erklärt: "Es ändert sich nicht plötzlich von einer Kurve zur nächsten", sondern nur wenn man am Set-up umbaut. "Es wird sich vielleicht von der einen auf die andere Strecke etwas verbessern. Vielleicht um ein oder zwei Zehntel", schätzt er. Das ist aber nicht genug, um die Konkurrenz abzufangen.
Verstappen: "Es fehlt Grip und Power!"
"Zu gleichen Teilen" wie das Chassis ist aber auch der Renault-Antrieb ein Schwachpunkt am RB13. Denn vergleicht man die Topspeed-Werte aus 2016 und 2017, so stellt man fest, dass Verstappen um nur 0,4 km/h schneller war. 2016 fuhr Ricciardo im Red Bull einen Topspeed von 309,7 km/h, Verstappen ein Jahr später 315,3 km/h - allerdings stiegen die Werte insgesamt um 5,2 km/h an (Kwjat 2017: 320,8 km/h; Rosberg 2016: 315,6 km/h).
"Ich glaube, dass Mercedes und Ferrari im Motorsektor deutlich mehr zugelegt haben als Renault. Wir müssen doch einige Zeit warten, bis die nächste Ausbaustufe kommt", ärgert sich Marko. Eigentlich sollte die Ausbaustufe pünktlich zum Europa-Auftakt in Spanien bereit sein, nun könnte man erst in Kanada in den Genuss kommen. Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda trübt die Freude bei seinen Landsleuten außerdem, indem er das Red-Bull-Problem analysiert: "Es ist wohl eine Kombination aus Auto und Motor. Das dauert schon ein bisschen. Das kann man nicht in 14 Tagen lösen." Red Bull sei laut dem dreimaligen Weltmeister "nicht auf dem gleichen Niveau wie Ferrari und Mercedes".
Fotostrecke: GP Australien, Highlights 2017
Das erste Siegerfoto der Saison 2017: Sebastian Vettel gewinnt erstmals seit Singapur 2015 wieder einen Grand Prix - und das mit einem Ferrari, der dem höher eingeschätzten Mercedes-Silberpfeil mindestens ebenbürtig ist. Die neue Formel 1 hat das, was der alten jahrelang gefehlt hat: Spannung an der Spitze. Fotostrecke
Verstappen fasst zusammen: "Wir sind hinten. Uns fehlt Grip und Power. Wir müssen am Auto arbeiten. Wir brauchen einfach mehr Abtrieb und Topspeed fehlt uns auch." Marko ergänzt: "Wir haben Nachholbedarf beim Chassis als auch beim Motor." Der Antrieb liegt jedoch nicht im Kontrollbereich von Red Bull. Der 19-Jährige macht deshalb Druck auf Renault: "Es ist immer noch nicht genug. Es war an diesem Wochenende vielleicht ein bisschen besser, das ist schwierig zu sagen. Wir müssen uns auch da verbessern. Ich will auch nicht alles auf das Chassis schieben, es ist eine Kombination."
Erinnerungen an 2015 werden wach
"Wenn dir Power fehlt, versuchst du ein effizienteres Auto zu bauen. Du kannst daher nicht so viel Abtrieb fahren wie die anderen Teams. Man kann sehen, dass wir nicht so viele Teile auf der Seite angebracht haben. Wir suchen einen Kompromiss. Im Moment bekommen wir nicht genügend Grip, da müssen wir nach einer Lösung suchen." Denn fährt Red Bull mit mehr Abtrieb, würde das den Speed auf den Geraden noch weiter verringern. In den Kurven fehlt ihnen aber genau dieser Grip, der Abflug von Ricciardo im Qualifying hat das bewiesen.
Ricciardo führt die schwächelnde Vorstellung seines Teams bei seinem Heim-Grand-Prix auf zu wenig Zeit im Auto zurück. "Bei den Tests gab es hier und da Probleme. Wir hatten vielleicht zwei oder drei wirklich gute Tage." Auch am Freitag konnte Verstappen nicht viel fahren. Zumindest gelangen ihm 25 Runden im Rennen, in denen er wertvolle Informationen sammeln konnte. Ricciardo schöpfte auch Hoffnung aus der Rennpace von Verstappen.
Der Niederländer konnte fast das gesamte Rennen über die gleiche Pace fahren wie Kimi Räikkönen im langsameren Ferrari, was ihn sogar selbst überraschte. "Max hat Kimi das gesamte Rennen hart gepusht. Wir hatten dann aber einfach nicht die Pace von Vettel und Hamilton", weiß Horner. Trotzdem ein positives Zeichen in sonst stürmischen Zeiten. "Nach dem Boxenstopp war unser Speed sehr gut, auch bei Ricciardo", wirft Red-Bull-Berater Marko ein. In Runde 25 fuhr Verstappen an die Box und steckte von Ultrasoft auf Supersoft um. Auf dem roten Pneu konnte er in Runde 43 sogar seine persönlich schnellste Rennrunde drehen - 0,4 Sekunden langsamer als die absolut schnellste Rennrunde von Kimi Räikkönen.
Enttäuscht ist der Überflieger des Vorjahres mit seiner Leistung und jener des Teams jedenfalls nicht. Denn schon bei den Testfahrten hat sich das Kräfteverhältnis abgezeichnet. "Ich bin nicht enttäuscht. Ich habe mich keinen Illusionen hingegeben. Ich habe nicht geträumt, dass wir besser werden, weil man es nicht weiß. Ich bin mit einer neutralen Haltung in die Saison gestartet", betont der 19-Jährige seine Reife. Schon bei den Tests in Barcelona habe er gesehen, dass Red Bull derzeit nicht die nötige Pace habe, um ganz vorne mitkämpfen zu können. "Für mich war also schon recht früh klar, dass wir am Saisonbeginn nicht so konkurrenzfähig sein werden."
Horner glaubt: "Sind nicht so weit weg von Mercedes"
Ricciardo wollte sich ebenfalls keinen Illusionen hingeben: "Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, das Wort 'Erwartung' zu missachten", lacht er. "Als wir in Australien ankamen, dachten wir, dass wir innerhalb einer halben Sekunde liegen würden. Das wäre okay. Wir waren aber mehr als eine Sekunde weg", muss er sich eingestehen. Aus der Sicht des "Local Hero" habe man auch im Qualifying nicht viel verschenkt. "Wir lassen nicht viel liegen. Es ist schwierig. Natürlich sind Ferrari und Mercedes im Moment schneller."
Er hat einen entscheidenden Unterschied bei der Konkurrenz beobachten können: "Ich habe mir die Onbord-Aufnahmen von Ferrari und Mercedes angesehen, das Heck sah bei ihnen viel stabiler aus. Es scheint, als hätten sie ein bisschen mehr Abtrieb. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns." Das große Problem ist derzeit: Man kennt die Ursache der Probleme nicht. "Eine Sekunde ist schon viel", muss Verstappen gestehen. "Zum Glück verhält es sich bei diesen Autos so, dass man mit einer guten Balance viel Zeit gutmachen kann. Wenn du plötzlich mehr Grip hast, kannst du schneller durch die Kurve fahren und das macht viel Unterschied." Nur genau das fehlt dem RB13 derzeit noch.
Teamchef Horner ist nicht ganz so pessimistisch gestimmt. Im Renntrimm würde Red Bull eine halbe Sekunde auf die beiden vorderen Teams fehlen, analysiert er. "Um ehrlich zu sein, sind wir nicht so weit weg von Mercedes. Wir müssen vielleicht eine halbe Sekunde finden." Er streut außerdem ein, dass man in Australien traditionell nicht so gut abschneidet. Beeindruckend fand der Brite vor allem die Leistung von Ferrari. Er geht sogar so weit, dass er behauptet, der SF17-H sei das schnellste Auto. "Ferrari hat sowohl beim Chassis als auch beim Motor einen guten Job gemacht, sie hatten einen starken Winter."
"Wunderaufhängung" kein Thema mehr
Horner erwartet ein Entwicklungsrennen in dieser Saison. Das Regulativ sei noch "sehr unausgereift", daher könnten sich die Kräfteverhältnisse schneller verschieben. "Wir werden uns während der Saison in eine konkurrenzfähige Ausgangssituation bringen", ist er überzeugt. Er prophezeit außerdem, dass an jedem Rennwochenende neue Entwicklungsteile zu sehen sein werden. "Wir werden uns die Notizen von Adrian genau ansehen, die er an diesem Wochenende gemacht hat. Er wird die Designabteilung beschäftigen."
Eine Ursache der vielen Red-Bull-Probleme scheint jedenfalls ausgeräumt zu sein: die Radaufhängung. Im Vorfeld der Saison gab es viele Diskussionen, weil Red Bull und Mercedes angebliche "Wunderaufhängungen" entwickelt haben, dabei handelt es sich um hydraulisch vernetzte Fahrwerke. Horner gibt sogar zu, dass Red Bull daran gearbeitet hat - nun musste man jedoch auf Anordnung der FIA umbauen. "Am Aufhängungssystem, das nun verboten wurde, haben wir über den Winter entwickelt. Selbst wenn es erlaubt gewesen wäre, hätten wir aufgrund des Gewichts keine Verwendung gehabt."
Verstappen glaubt ebenfalls nicht, dass es eine Auswirkung hatte: "Das hat keinen Unterschied gemacht. Die Aufhängung hat sich nicht verändert, wir fahren mit der gleichen wie bei den Wintertests." Und Ricciardo wirft ein: "Würde Ferrari dominieren und Mercedes zurückfallen, dann hätten wir sagen können, dass das einen großen Unterschied ausgemacht hat. Da Mercedes immer noch schnell ist, kann man das nicht sagen." Die Fehlersuche bei Red Bull geht also bis zum Grand Prix in China in zwei Wochen weiter.