Gary Anderson: Mercedes brachte Fahrer auf Kollisionskurs
Warum Mercedes selbst daran schuld ist, dass es überhaupt zur folgenschweren Stallkollision zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton in Spielberg kam
(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von Österreich hatte von allem etwas zu bieten: Aufhängungsdefekte im Training, Regen in Q3, einen Force-India-Boliden in der ersten Startreihe und einen McLaren-Honda auf Platz drei. Und am Ende gab es durch Sebastian Vettels Reifenplatzer, der einen Crash verursachte, und dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg auch ein ereignisreiches Rennen.
Und zum Drüberstreuen gab es das Manor-Team, das durch Pascal Wehrleins zwölften Startplatz und Platz zehn im Rennen bewiesen hat, dass es ein kleines Team mit einem Spitzenfahrer durchaus mit den Großen aufnehmen kann. Der Crash zwischen Rosberg und Hamilton in der letzten Runde war dennoch das Haupt-Gesprächsthema.
Ihre bis dahin letzte Kollision hatte im Mai in Spanien stattgefunden. Für die Mechaniker war damals der große Unterschied, dass sie schon während des Rennens zusammenpacken konnten, während sie in Österreich bis zum Ende bleiben mussten.
Warum man Barcelona mit Spielberg nicht vergleichen kann
Noch etwas wichtigeres ist diesmal anders: Ein Crash in der ersten Runde ist für jeden Fahrer eine dumme Angelegenheit. Dann auch noch mit deinem Teamkollegen zusammenzukrachen, ist absolut inakzeptabel. In Barcelona habe ich Hamilton die Schuld gegeben, da er sehen konnte, was sich vor ihm anbahnte. Er hätte etwas dagegen unternehmen hätte können. In Österreich lief es aber ganz anders.
Da Hamilton von der Pole startete und Rosberg wegen seines Getriebewechsels eine Strafe ausgefasst hatte und in der Startaufstellung nur Sechster war, fuhr der Brite an der Spitze auf und davon, und alles sah nach einem weiteren Doppelerfolg für Mercedes aus. Dass dieser weggeworfen wurde, liegt am Team und an den Fahrern.
Fotostrecke: GP Österreich, Highlights 2016
Lewis Hamilton gewinnt 2016 endlich den Grand Prix von Österreich, wird auf dem Podium aber gnadenlos ausgebuht. Im Gegensatz zu 2001 (Schumacher vor Barrichello) ist diesmal keine Stallorder daran schuld. Vielmehr nehmen ihm die Fans die Kollision mit Teamkollege Nico Rosberg in der letzten Runde übel. Fotostrecke
Durch die unterschiedlichen Strategien waren die Fahrer auf Kollisionskurs. Zwei extrem konkurrenzfähige Fahrer, deren Karrieren in einer ähnlichen Phase sind, trafen in der letzten Runde aufeinander. Der eine kämpfte mit seinen Supersoft-Reifen, während der anderen auf der Soft-Mischung flott unterwegs war. Dieser Reifenunterschied führte schließlich zum Unfall.
Unterschiedliche Reifentypen als Auslöser
Warum? Rosberg holte sich in der zehnten Runde Soft-Reifen ab. Ab dem Zeitpunkt war mehr oder weniger klar, dass er auf einer Zweistoppstrategie unterwegs war. Hamilton kam in der 21. Runde herein, um ebenfalls Soft-Pneus abzuholen. Er hätte also auf eine Einstoppstrategie setzen können.
Die beiden waren nun auf der gleichen Reifenmischung unterwegs. Hamilton blieben als nur zwei Möglichkeiten: Entweder Rosberg auf der Strecke zu überholen, oder sich darauf zu verlassen, dass er noch ein zweites Mal an die Box kommt.
Der Platzer von Vettels Supersoft-Reifen, der nicht 26, sondern inklusive der drei Qualifying-Runden 29 Umläufe auf dem Konto hatte, brachte Mercedes möglicherweise zum Nachdenken, ob eine Einstoppstrategie nicht möglicherweise ein bisschen riskant ist. Hamilton hatte inzwischen die Lücke geschlossen und kam in Runde 54 erneut an die Box. Ein weiterer Soft-Reifensatz wurde aufgezogen, mit dem er nun durchfahren würde.
Warum Mercedes selber schuld ist
Rosberg kam eine Runde danach an die Box und ließ Supersoft-Reifen aufziehen. Im Gegensatz zu Hamiltons drei Sätzen hatte er vier Sätze der Mischung Supersoft für den Red-Bull-Ring nominiert, er hatte also nur einen Satz der Soft-Mischung für das Rennen übrig. Rosberg blieb nach dem Stopp in Führung, weil Hamilton auf seiner Outlap patzte und durch einen langsamen Stopp Zeit verloren hatte.
Somit sorgte das Team für einen Kampf, der wahrscheinlich böse enden würde. Man musste davon ausgehen, dass die Fahrer vor allem im WM-Kampf alles dafür tun würden, das Rennen zu gewinnen. Und Mercedes hatte die Fahrer in diese Lage gebracht. Mercedes hätte bei Rosbergs ersten Stopp die Supersoft-Mischung aufziehen können, da man ja wusste, dass er noch einmal stoppen würde. Dann hätte er im Endspurt Soft-Pneus gehabt - und damit die gleichen Reifen wie Hamilton.
Wenn ein Team einen Fahrer durch eine unterschiedliche Reifenmischung bevorteilt, dann muss man die Konsequenzen tragen. Wir haben mitbekommen, dass Hamilton hinterfragte, warum Rosberg mit der Soft-Mischung ausgestattet wurde. Seine Ingenieure haben ihm gesagt, dass seine Reifenwahl die richtige Strategie sei. Zu diesem Zeitpunkt waren sie zuversichtlich, das Rennen zu gewinnen. Dennoch gibt es 22 Fahrer da draußen - und wenn du einer von ihnen bist, dann sind 21 davon deine Gegner, unter anderem dein Teamkollege.
Warum die Radaufhängungen in Spielberg versagten
Während des Rennens gab es in Folge der zahlreichen Defekte an diesem Wochenende auch einen Funkspruch an Hamilton über die Belastung der Aufhängung. Diese Defekte werden von einer Kombination aus Reifenschwingung und der Schwingung, die durch die Randsteine bei der Aufhängung entsteht.
Die Teams verfügen über viel Erfahrung mit den klassischen rot-weißen Randsteinen, die ungefähr jeden Meter mit einer 25 Millimeter hohen Stufe versehen sind. Die neuen Randsteine, die direkt hinter den normalen Randsteinen angebracht wurden, verfügen über eine 50 Millimeter hohe Stufe. Bei gewissen Geschwindigkeiten sorgt das bei der Aufhängung für Resonanz. In Verbindung mit der Schwingung des Reifens überlastet das die Aufhängungskomponenten in den kritischen Bereichen, was dann zum Schaden führt.
Außerdem hat Pirelli den Reifendruck erhöht, damit die Pneus den durch ein aktuelles Formel-1-Auto entstehenden Kräften gewachsen sind. Das kann ebenfalls ein Faktor sein, da eine höhere Reifen-Steifigkeit auch die Schwingungsfrequenz verschiebt. Die Randsteine haben die Funktion, die Strecke abzugrenzen und beschädigen die Autos. Es ist die Verantwortung der Fahrer, ihnen stets fern zu bleiben.
Wieso die Teams für die Randsteine nicht gerüstet waren
Die Teams sammeln Unmengen von Daten, um herauszufinden, welchen Belastungen jede einzelne Aufhängungskomponenten widerstehen muss. Bei gewissen Komponenten ist das eine Last von 1.000 Kilogramm. Dann kommt noch ein Sicherheitsspielraum dazu. Wenn man sich auf seine Daten verlässt, dann kann man die Spitzenkräfte mit 1,2 multiplizieren, wodurch die Komponente 1.200 Kilogramm standhalten kann, bevor sie versagt. Wenn man kein so großes Vertrauen hat, dann multipliziert man besser mit 1,5, wodurch es sogar 1.500 Kilogramm sind.
Man hofft vor jedem Rennen, dass man für alles gerüstet ist, aber wenn es zu einem Defekt wie Rosbergs Radaufhängungsbruch kommt, dann muss man reagieren. Das bekam Mercedes sehr rasch hin. Das Team fand heraus, dass der Defekt an der Stelle aufgetreten ist, wo der obere hintere Querlenker in ein einzelnes Element übergeht und versah die Stelle mit zusätzlichem Kohlefaser-Verbundstoff. Danach festigte man diesen durch Erhitzen und umwickelte die Stelle mit Klebeband. Damit war die Sache erledigt.
Man könnte sich nun fragen, warum dies nicht schon im Designprozess passiert ist. Die Antwort ist einfach: Jede Komponente wird so leicht wie möglich gebaut. Wenn man überall dieses Zusatzgewicht anfügen würde, dann wäre das Auto sehr schnell übergewichtig. Es würde mich auch nicht überrascht, wenn diese Problem mit den Randsteinen auch Vettels Reifenschaden verursacht hat. Sein Reifen versagte beim Übergang zur äußeren Schulter des Reifens. Und wenn man etwas oft genug auf und ab bewegt, dann wird es irgendwann ermüden und versagen.
Man kann das mit einer alten Gabel ausprobieren: Wenn man sie an der gleichen Stell immer wieder vor- und zurückbiegt, dann wird sie irgendwann brechen. Mercedes hatte Glück, denn die Aufhängung hielt der Kollision zwischen Hamilton und Rosberg stand, und beide kamen ins Ziel. Obwohl die Plätze eins und vier für ein Team, das einen Doppelerfolg verloren hat, nur ein schwacher Trost. Das Team muss jetzt seine Lehren aus diesem Rennen ziehen und dafür sorgen, dass man die Fahrer nicht erneut auf Kollisionskurs bringt.