Rennvorschau Silverstone: Rosberg in der Höhle des Löwen
Nach dem Pfeifkonzert für Lewis Hamilton droht Nico Rosberg nun bei dessen Heimspiel ein frostiger Empfang: Warum es in Silverstone enger zugehen sollte
(Motorsport-Total.com) - Die Stimmung im Lager der Silberpfeile ist aufgeheizt: Nach der erneuten Stallkollision in Österreich und den Pfiffen für Sieger Lewis Hamilton steht nun der Heim-Grand-Prix für den Briten an. Für WM-Leader Nico Rosberg, der in Spielberg endgültig bewiesen hat, dass er nicht mehr klein bei gibt, wird es also aller Voraussicht nach eine frostige Begrüßung geben.
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Ausgerechnet jetzt muss sich Rosberg Hamilton bei dessen Heimspiel stellen Zoom Download
Während der Red-Bull-Ring trotz des Hamilton-Sieges als klare Rosberg-Strecke gilt, sieht es vor der 50. Ausgabe des Grand Prix von Großbritannien auf dem ehemaligen Flugplatz der Royal Air Force anders aus: Hamilton triumphierte in den vergangenen beiden Jahren, während Rosberg 2013 siegte. Doch selbst damals hätte Hamilton ohne seinen Reifenplatzer wahrscheinlich gewonnen.
Fakt ist, dass die Mercedes-Bosse Toto Wolff und Niki Lauda den beiden Piloten schon mal die Rute ins Fenster gestellt haben: Wenn es nach Barcelona, Montreal und Spielberg noch einmal krachen sollte, droht man mit Stallorder. "Die Meisterschaft muss ohne Unfälle gewonnen werden. Das muss machbar sein", fordert Lauda. Genau das wird man den Piloten am Donnerstag bei der Teamsitzung mitteilen.
Vier Heimsiege: Hamilton attackiert Mansell-Rekord
Man darf also vor allem gespannt sein, wie Rosberg auf den Rückschlag von Spielberg reagieren wird. Der Wiesbadener, der nach einem perfekten Saisonstart seit dem Europaauftakt in Spanien etwas außer Tritt geraten ist, hat nur noch elf WM-Punkte Vorsprung auf seinen Stallrivalen. Sein Vorteil ist, dass Hamilton irgendwann in dieser Saison eine Gridstrafe absitzen wird müssen - aber ein beruhigendes Polster sieht anders aus.
Und Hamilton wird nun besonders motiviert sein, da er beim Heimrennen einen Rekord egalisieren könnte: Mit einem weiteren Sieg würde er nicht nur den WM-Rückstand auf höchstens vier Punkte reduzieren, sondern auch mit Legende Nigel Mansell gleichziehen, der vier Mal in der Heimat gewonnen hat - und das vor vollen Rängen. Eine Szenerie, wie geschaffen für den Superstar.
Kann Red Bull Mercedes attackieren?
Die Konkurrenz sollte aber in Silverstone deutlich stärker sein als zuletzt in Spielberg: Dafür könnte das Wetter - bei niedrigen Temperaturen wird der Mercedes-Vorsprung kleiner - und das Streckenlayout sorgen. Vor allem Red Bull gilt als Spezialist für die schnellen Kurven, da der RB12 in derartigen Passagen die beste aerodynamische Stabilität aller Boliden aufweist. Im Vorjahr hat Williams bewiesen, dass man Mercedes mit einem guten Start (oder einem starken Qualifying) auf der überholfeindlichen Strecke durchaus Paroli bieten kann, wenn man auf die richtige Strategie setzt, was sich beim Team aus Grove am Ende als Problem herausstellte.
Die schnellen Kurven sollten auch Ferrari entgegenkommen. Die Roten aus Maranello haben mit dem Motorenupdate in Kanada an Potenzial zugelegt, konnten dieses aber wegen des vom Wetter bestimmen Qualifyings auch in Spielberg nicht so recht zeigen. Vielleicht ergibt sich in Silverstone die Gelegenheit für Sebastian Vettel. Dafür sollte man aber endlich die Strategie hinkriegen.
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Großbritannien
Der allererste Grand Prix der allerersten Formel-1-Weltmeisterschaft wird am 13. Mai 1950 in Silverstone ausgetragen. Die Strecke wird nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem ehemaligen Militär-Flughafen errichtet. Ehrenhalber wird dieser erste Event einer Formel-1-WM auch als Grand Prix von Europa bezeichnet und sogar die Königsfamilie ist zu Besuch da. Fotostrecke
Apropos Strategie: Pirelli bringt dieses Jahr durch die dritte Reifenmischung weichere Reifen zum Grand Prix von Großbritannien. Während es in den Vorjahren die härtesten Mischungen waren, bieten die Italiener nun Soft, Medium und Hard an. Das könnte die optimale Strategie von einem auf zwei Stopps verschieben.
Pirelli erwartet mehr Stopps als im Vorjahr
Damit rechnet auch Pirellis Motorsportchef Paul Hembery. "Bei der Mehrzahl der Teams ist die Nachfrage nach Reifensätzen mit der weichsten der drei pro Rennen nominierten Slick-Mischung am höchsten", fällt dem Briten auf. "Das deutet auf die Absicht vieler Fahrer hin, eine eher aggressive Rennstrategie zu planen." Auf einer Strecke wie Silverstone, wo die seitlichen Kräfte, die auf den Reifen einwirken, am höchsten sind, "kann das zu zahlreichen Stopps führen".
Vor allem Ferrari setzt in Silverstone auf Risiko: Vettel und Teamkollege Kimi Räikkönen haben für das Großbritannien-Wochenende acht Sätze der Soft-Mischung nominiert, dafür aber nur drei Sätze der Medium-Pneus. Bei Mercedes sind es sieben Soft- und fünf Medium-Sätze. Am aggressivsten geht Sauber in das Wochenende: Dort sicherte man sich gleich neun Soft-Sätze.
Auch die Regenreifen könnten dieses Wochenende zum Einsatz kommen: Während sich die Temperaturen im niedrigen Bereich knapp unter 20 Grad einpendeln sollten, wird für den Samstag und für den Sonntag rund 50 Prozent Regenwahrscheinlichkeit prognostiziert. Doch auch wenn der Himmel seine Schleusen nicht öffnen sollte, sorgt das Wetter in Silverstone stets für Überraschungen.
Regen? Niedrige Temperaturen? Wetter als Unsicherheitsfaktor
"Es kann sich zwischen Qualifying und Rennen stark ändern", erzählt Haas-Pilot Romain Grosjean. "Und dann sogar während des Rennens. Oft liegt das Auto im Qualifying gut, aber im Rennen passt die Balance nicht mehr perfekt." Das ist neben der ständigen Möglichkeit eines Chaos-Regenrennens für den Franzosen auch der Grund, warum in den vergangenen 18 Jahren der Pole-Setter auch tatsächlich das Rennen gewonnen hat.
Ferrari: Gemischte Strategien in Silverstone
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Die Wahrscheinlichkeit, dass Williams seine tolle Vorjahresshow mit der Doppelführung in der Anfangsphase wiederholen wird können, scheint nach dem Spielberg-Wochenende eher gering. Die britische Truppe geriet ausgerechnet vor dem Heimspiel auf der Paradestrecke in Österreich, wo man in den vergangenen Jahren noch um den Sieg kämpfte, ordentlich unter die Räder: Valtteri Bottas wurde nur Neunter, weil er die Reifen nicht auf Temperatur brachte.
Williams: Nach Vorjahres-Highlight droht nun Debakel
Da in Silverstone ähnliche Temperaturen wie in Spielberg zu erwarten sind, könnte es auch zuhause eine Schmach geben. "Wir müssen also unbedingt rasch unsere Lehren ziehen", forderte ein etwas verzweifelter Bottas nach dem Rennen Konsequenzen, während Teamberater Alex Wurz ungeschönt zugab: "Es ist eine Tatsache, dass wir zurückfallen."
Kleine Fortschritte könnte es währenddessen am Ende des Feldes geben: Die Ferrari-Kundenteams Haas und Sauber kommen nun erstmals in den Genuss des Ferrari-Antriebsupdates, mit dem die Scuderia schon seit Kanada unterwegs ist. Durch den neuen Turbolader kann man mehr Leistung freimachen und somit konkurrenzfähiger sein.
Gerade für die gebeutelten Schweizer ist das vielleicht überlebenswichtig, denn durch Pascal Wehrleins sensationellen WM-Punkt ist man in der Konstrukteurs-WM auf den letzten Platz zurückgefallen - und für den gibt es keine TV-Gelder von Bernie Ecclestone.