Mercedes in Strategiefalle: Wie lange hält der Ultrasoft-Pneu?
Red Bull und Ferrari gehen mit einem Reifenvorteil in den Grand Prix von Österreich: Wieso Mercedes auf schlechtes Wetter hoffen muss und wie der Strategiepoker läuft
(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton startet von der Pole, doch er hat gegenüber seinen direkten Rivalen einen Nachteil: Während der Brite wie sein Teamkollege Nico Rosberg mit der Ultrasoft-Mischung losfahren muss, dürfen beide Ferrari- und beide Red-Bull-Piloten beim Start die Supersoft-Reifen aufziehen. Und die haben sich im Training als deutlich haltbarere Mischung erwiesen. "Der Ultrasoft-Reifen ist kein guter Rennreifen", ist selbst der britische Pole-Setter skeptisch. "Es wird ein Kampf, damit viele Runden zu fahren."
Der Mercedes-Pilot hofft, sich mit der weichsten Mischung zumindest in den ersten Runden ein wenig Luft zu verschaffen - Nico Hülkenberg im Force India und Jenson Button im McLaren sollen auf den Plätzen zwei und drei als Prellböcke fungieren. "Im Training haben diese Reifen bei mir gerade Mal vier Runden lang gehalten", verrät der dreimalige Weltmeister. "Nico sagt, dass es bei ihm fünf waren. Das wird ganz schön knifflig." Für WM-Leader Rosberg ist die Ausgangslage noch schwieriger: Er muss aufpassen, dass er sich von Startplatz sechs seine Ultrasoft-Reifen nicht schon nach wenigen Kilometern im Verkehr zerstört.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Mercedes in diese Strategiefalle tappte? Mercedes erkannte in Q2 zu spät, dass Ferrari und Red Bull auf der härteren Mischung unterwegs war. Als man auch umsteckte, war es schon zu spät. Der einsetzende Regen ließ keine schnelleren Runden mehr zu. Und der Reifen, mit dem man die Q2-Bestmarke fährt, muss auch im Rennen verwendet werden.
Mercedes ist auf niedrige Asphalttemperaturen angewiesen
Der Ultrasoft-Pneu ist auf eine Runde um rund vier Zehntelsekunden schneller als die Supersoft-Mischung, nach nur wenigen Runden wird sich das im Rennen aber drehen. Das Wetter wird entscheiden, wann dies der Fall ist. Das könnte die Rettung für die Silberpfeile sein. Für den Renntag werden deutlich niedriger Temperaturen prognostiziert.
"Morgen ist alles anders", prophezeit der Mercedes-Aufsichtsratsvorsitzende Niki Lauda gegenüber 'RTL' für sein Heimrennen. Der Wiener hofft auf einen wolkenverhangenen Himmel. "Es soll am Sonntag 15, 16 Grad haben - und 15 Grad weniger Asphalttemperatur als bisher. Und dann ist die große Frage: Wie viele Runden können wir mit den Ultrasoft-Reifen fahren? Wenn du am Anfang des Rennens ein, zwei Runden mehr schaffst, kannst du am Ende gewinnen. Wenn du aber schon nach vier Runden wechseln musst, ist das kaum noch möglich."
Das Blistering (der Reifen wirft Blasen), zu dem es im Freien Training unter anderem auch bei Mercedes kam, könnte am Sonntag wegen der niedrigen Temperaturen ausbleiben, die Gefahr des Grainings ist aber groß. Dazu kommt es, wenn der Reifen sich von innen nicht gut genug aufwärmt, sondern nur die Reifenoberfläche heiß wird.
Pirelli: Zwei Stopps die schnellste Strategie
Bei Pirelli schließt man nicht aus, dass man mit dem Ultrasoft-Reifen sogar bis zur zehnten Runde fahren kann. Wenn man dann auf Soft wechselt und in Runde 40 erneut die härteste Mischung aufziehen lässt, verliert man laut den Italienern im Vergleich zur optimalen Strategie (Supersoft bis zur 16. Runde, dann Soft bis zur 44. und erneut bis zum Rennende in Runde 71) nur wenige Sekunden. "Das bleibt bis in die letzte Rennrunde spannend", glaubt Ex-Formel-1-Pilot Alex Wurz gegenüber dem 'ORF', dass Teams in der Schlussphase unter großen Reifenproblemen leiden könnten.
Geheimtipp Max Verstappen
Das muss der Brite auch hoffen, denn auch seine Piloten Valtteri Bottas und Felipe Massa müssen von den Plätzen sieben und neun mit den Ultrasoft-Reifen losfahren. Als Geheimtipp gilt währenddessen Red-Bull-Youngster Max Verstappen: Der Niederländer startet zwar nur als Achter, fährt aber mit Supersoft-Reifen los und hat neben Jenson Button (Nachteil der Startmischung Ultrasoft), Fernando Alonso und Carlos Sainz als einziger Pilot zwei frische Sätze der Soft-Mischung zur Verfügung.
Dass die Reifen generell in Spielberg so am Limit sind, hängt mit dem neuen Asphalt zusammen, den Pirelli offensichtlich unterschätzt hat. "Der ältere Asphalt war ein bisschen rutschiger, da waren die Steine im Asphalt an der Oberfläche etwas runder", erklärt Wurz. "Jetzt ist er rauer, also aggressiver. Dennoch hat Pirelli die weichsten Reifen gewählt. Das war eine sehr aggressive Reifenwahl von Pirelli."
Theoretisch könnte natürlich auch alles anders kommen: Wenn es beim Rennstart regnet, was nicht ausgeschlossen ist, dann wirft das all die Rechnereien der Teams über den Haufen. Die Piloten würden dann mit Intermediates oder Regenreifen starten - Red Bull und Ferrari hätten also keinen Reifenvorteil mehr.