• 12. Juni 2016 · 23:57 Uhr

Duell Vettel vs. Hamilton: Deshalb scheiterte die Ferrari-Taktik

Spontan auf das Virtuelle Safety-Car zu reagieren und strategische Flexibilität zu opfern, kam Ferrari iteuer zu stehen: "Hätte das Auto fast in die Wand geschmissen"

(Motorsport-Total.com) - Ferrari scheint es mittlerweile aus eigener Kraft mit Mercedes aufnehmen zu können. Das ist eine der Lehren aus dem Kanada-Grand-Prix am Sonntag, den Lewis Hamilton erst nach zähem Kampf und einem Fernduell mit Sebastian Vettel gewann. Es war eine strategische Fehlentscheidung der Scuderia, die die Silberpfeile letztlich auf die Siegerstraße brachte und Vettel daran hinderte, aus seinem Tempo Kapital zu schlagen - auch wenn Teamchef Maurizio Arrviabene das anders sah.

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Sebastian Vettel und Lewis Hamilton lieferten sich erneut ein Duell um den Sieg Zoom Download

Der Italiener will nichts davon wissen, den ersten Erfolg der Saison in der Box liegen gelassen zu haben, obwohl er einen Patzer bei der Kalkulation einräumt: "Wir müssen aus der Geschichte nicht mehr machen als dran ist", wehrt sich Arrivabene gegen die Behauptung, der Kommandostand hätte Vettel in Montreal den ersten Platz gekostet. "Wir haben heute einen Fehler gemacht. Aber schlimm ist es erst, wenn man deshalb den Sieg verschenkt." Wir fragen: Hat Ferrari das nicht doch getan?

Nicht zur Debatte steht, dass die Truppe in Rot nach Vettels Raketenstart die falsche Entscheidung traf. Sie wollte daraus Kapital schlagen, dass das Rennen in Runde elf mit dem Virtuellen Safety-Car neutralisiert wurde - dann geht bei einem Boxenstopp weniger Zeit verloren als unter Grün. Das Problem: Um im Plan für eine Einstopp-Taktik zu bleiben, war die Restdistanz noch viel zu groß. "Wir haben uns sehr früh auf eine andere Strategie eingelassen", stellt Vettel fest.

Pflicht-Reifenmischung Soft nagelte Vettel früh fest

Hinzu kam, dass die Finesse nur rund fünf Sekunden Zeitvorteil im Vergleich zu einem Halt bei normalen Bedingungen wert war. Zu wenig. "Denn die Safety-Car-Phase war überraschend schnell wieder zu Ende", meint Vettel. Er nahm bei seinem Service Supersoft- statt der Ulrasoft-Reifen mit, womit sein zweiter Stopp unausweichlich wurde - er brauchte noch die Pflichtmischung Soft auf den Achsen. "Lewis hatte die Chance, draußen zu bleiben und abzuwarten, was mit den Reifen passiert", erklärt Vettel, wie Hamilton die Spitze übernahm und bis Runde 24 behauptete.


Fotostrecke: GP Kanada, Highlights 2016

Der Weltmeister hatte zu diesem Zeitpunkt aus zwei Gründen Sorgenfalten auf der Stirn: Erstens Vettels Tempo. "Er fuhr wie der Blitz", staunt Hamilton darüber, dass er seinen Kontrahenten auf der Strecke nicht attackieren konnte - und das, obwohl er sich in das DRS-Fenster gefahren hatte. Auf den Geraden zahlte sich Ferraris neuer Turbolader voll aus. "Ich war wirklich überrascht, weil ich dachte, wir würden jetzt die Klingen kreuzen", sagt Hamilton über den Vettel-Boxenstopp.

Zweitens waren seine eigene Pneus in keinem guten Zustand mehr: "Ich war mir nicht sicher, was den Ultrasoft betraf. Ich habe schon Körnen bemerkt, als ich hinter Sebastian war." Das war nach wenigen Runden und von Mercedes offenbar so prognostiziert worden. "Das Team hat uns gesagt, wie lange die Reifen halten würden. Ich wurde deshalb nervös, aber sie schienen es mitzumachen."

Vettels Aufholjagd: "Hätte das Auto fast in die Wand geschmissen"

Hamilton wechselte anschließend auf Soft und brannte - wieder auf dem zweiten Rang zwei - ein Feuerwerk ab. "Der Reifen war wie Butter", schwärmt er. "Es ging nur um das Gefühl. Dass der Soft lange halten würde, wussten wir vorher. Es war alles prima: Ich musste anfangs nicht zu viel Druck machen und konnte die Pneus schonen." Dass das mit Zeiten, die der Konkurrenz Angst und Bange machen sollten, gelang, spricht für Mercedes. Vettel allerdings zog seinerseits das Tempo an.

"Der Schlagabtausch mit Zeiten mit dem Kerl hat mir Spaß gemacht. Sie machen uns wirklich die Hölle heiß", beschreibt Hamilton das Fernduell bis Runde 37, als der erstarkte Vettel den zweiten Stopp einstreute und wieder zurückfiel. Der Deutsche fuhr am Limit, verpasste immer wieder die Schlussschikane, führt das aber nicht auf den Druck zurück: "Ich hatte Probleme mit Rückenwind. Ich war das ganze Rennen über dort nicht sicher. Ich habe mich dreimal ein bisschen verschätzt. Ich habe bis zum Schluss alles probiert, habe das Auto hier oder da fast in die Wand geschmissen."

Gretchenfrage: Hätte sich Vettel an der Spitze gehalten, wenn er nur einen Stopp gemacht hätte? Die Probleme beim Überholen, die im Mittelfeld Nico Rosberg mit dem Mercedes hatte, sprechen dafür. Dass die Taktik mit dem vorgezogenen Boxenstopp bei Teamkollege Kimi Räikkönen aufging, ist ein Argument dagegen. "Der Unterschied zwischen einer Ein- oder Zweistoppstrategie war nur marginal", glaubt Mercedes-Sportchef Toto Wolff, erwähnt aber das Risiko der ersten Option: "Wir waren uns bei den Reifen bis zum Ende nicht sicher."

Ferrari war sich sicher - und war auf dem Holzweg. "Sie haben besser durchgehalten, als wir das erwartet haben", räumt Vettel ein. Auch Arrivabene lässt keine zweite Meinung zu, wenn es darum geht, was die richtige Herangehensweise gewesen wäre: "Wir haben den Reifenabbau überschätzt. Deshalb haben wir ihn auch reingerufen - und es war die falsche Entscheidung."

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