Hamilton vs. Ricciardo: Alles sauber in der Hafenschikane?
Red Bull übt nur zaghafte Kritik an Hamilton, doch es stellen sich zwei Fragen: War das Abkürzen ein Vorteil und war das anschließende Verteidigen zu hart?
(Motorsport-Total.com) - Dass ein Formel-1-Rennen über ein Überholmanöver auf der Strecke entschieden wird, ist zu einer Rarität geworden. Beim Monaco-Grand-Prix am Sonntag wäre es fast wieder soweit gewesen - als Lewis Hamilton in Runde 37 in der Hafenschikane die Spitze gegen den heranstürmenden Daniel Ricciardo verteidigte. Doch war das brachiale Manöver auch legal? Die Rennleitung kam nach einer Untersuchung zu diesem Schluss, doch die Antwort auf zwei Streitfragen variiert mit dem Auge des Betrachters.
Strittig sind zwei Punkte. Erstens: Verschaffte Hamilton sich mit dem Abkürzen der Schikane einen Vorteil? Zweitens: War das anschließende Verteidigungsmanöver zu hart? Obwohl die FIA ihn längst freigesprochen hatte, zog es der Mercedes-Pilot in der Pressekonferenz zunächst vor, leisezutreten. "Ich kann mich kaum genau erinnern", sagt Hamilton, um kurz darauf doch dezidiert zu beschreiben, was sich in der besagten Szene zutrug. Ricciardo tat das Gleiche - und zog andere Schlüsse.
Der Weltmeister lässt die Situation, in der er mit Ultrasoft-Reifen, die sich kaum aufwärmen ließen, in arge Bedrängnis durch den schnelleren Ricciardo geriet. "Ich steckte hinter einem Hinterbänkler, hatte schlechte Traktion am Ausgang der Kurve 8 und Daniel war direkt hinter mir", beschreibt er den Weg in die Portier-Kurve und in den Tunnel, wo sich der Red Bull im Windschatten ansaugte, um auf der Bremse vor der Hafenschikane zu attackieren. Hamilton machte auf feuchter Innenbahn die Tür zu.
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Der Bann ist gebrochen: Lewis Hamilton gewinnt nach acht sieglosen Rennen wieder einen Grand Prix, seinen ersten in Monaco seit 2008. Daniel Ricciardo fühlt sich "gefickt", weil ihm Red Bull den zweiten Sieg hintereinander kostet. Und Sergio Perez strahlt: "Ich wusste, dass Monaco im Regen eine Gelegenheit ist, mein Talent zu zeigen." Fotostrecke
"Ich verbremste mich und verpasste die Kurve um ein Haar", erinnert er sich an das Überfahren des Randsteins innen. Zuvor hatte er die Lenkung aufgemacht, um quer über den Abweiser zu fliegen. Ricciardo behauptet, gar nicht im Angriffsmodus gewesen zu sein: "Ich habe es in der Schikane gar nicht probiert, weil Lewis sich verteidigt hat. Aber ich habe es geschafft, ihn in die Defensive zu zwingen." Hamilton fuhr in eine Pfütze und hatte kaum Traktion, während Ricciardo im Trockenen beschleunigte.
Toto Wolff findet es "in Ordnung", Christian Horner glaubt der FIA
Doch weil am Ausgang kaum Platz ist, behauptet der Brite trotz kurzer Schleichfahrt die Spitze. "Deshalb habe ich über Funk gefragt: 'Was passiert hier?' Weil er einen Fehler gemacht hat und in Führung geblieben ist", äußert Ricciardo sein Unverständnis. Hätte sich nur eine Autobreite Raum ergeben, Hamilton wäre wehrloses Opfer gewesen. "Deshalb habe ich es infrage gestellt. Hätte er mutterseelenallein gepatzt, okay, aber er ist im Zweikampf aus dem Tritt geraten", schüttelt der Australier den Kopf.
Doch die Szene war nicht vorbei. Ricciardo erkannte eine zweite Chance und Hamilton dünkte, was auf dem Weg zur Tabak-Kurve kommen würde: "Beim Rauskommen war es wie auf Eis", sagt er. "Meine Räder drehten durch und ich rutsche zum Kurvenausgang, ich gewann aber an Traktion und mir wurde klar, dass Daniel irgendwie..." Dass Ricciardo irgendwie versuchte, rechts daneben zu fahren und ihn auszubeschleunigen. Hamilton zog in Richtung der Leitplanke und schlug erneut die Türe zu
Alles noch im Rahmen, meint er: "Ich war vorne, Daniel befand sich im Spiegel rechts hinter meinem Hinterreifen. Ich wusste, dass es knapp war", erklärt Hamilton seine raue Gangart. Dass er die harten Bandagen anlegte, hatte damit zu tun, dass er nicht damit rechnete, von den Stewards angewiesen zu werden, seinen ersten Platz preiszugeben (was in einem Fall, bei dem die Autos nicht einmal nebeneinander sind, auch äußerst ungewöhnlich gewesen wäre). "Ich hatte nicht das Gefühl, mir einen Vorteil verschafft zu haben", unterstreicht Hamilton.
Ricciardo befand das Manöver offenbar für zu hart - und unfair, was ein wildes Handzeichen deutlich machte. Mercedes-Sportchef Toto Wolff widerspricht: "Absolut in Ordnung" sei die Sache gewesen, weil Hamilton erst vorne gewesen wäre und anschließend genug Raum gelassen hätte. Sogar Red-Bull-Teamchef Christian Horner hält sich damit zurück, wegen der Angelegenheit auf die Barrikaden zu gehen. "Er hatte nicht die Chance, da vorbeizukommen. Wir wissen doch, wie schwierig es ist, in Monaco zu überholen", räumt er ein. "Die Stewards haben es gut gesehen und befunden, dass es ein Rennzwischenfall gewesen sei. Also okay..."