Pole mit Reifenkniff: Trickst sich Red Bull selbst aus?
Sensations-Polesetter Daniel Ricciardo geht als einziger Topmann mit den härteren Reifen in den Monaco-Grand-Prix: Der Red-Bull-Poker birgt aber nicht nur Vorteile
(Motorsport-Total.com) - Was für eine Pole-Position von Daniel Ricciardo in Monaco: Die erste seiner Formel-1-Karriere und die erste für sein Red-Bull-Team seit Brasilien 2013, noch mit den alten Saugmotoren. Dabei hatten viele im Fahrerlager damit gerechnet, dass Mercedes die Motoren aufdrehen und die gewohnte Hackordnung wieder herstellen wird. Nun reibt sich Red Bulls Motorsportkonsulent Helmut Marko die Hände: Ricciardo fuhr seine schnellste Q2-Runde mit der haltbareren Supersoft-Mischung - hat Red Bull damit alle ausgetrickst?
"Das gibt uns für morgen eine unglaubliche Ausgangsposition", richtet Marko seinen Landsleuten Toto Wolff und Niki Lauda bei Mercedes aus. Der Österreicher zeigt sich verwundert: "Ich bin eigentlich überrascht, dass die anderen nicht auch etwas Ähnliches versucht haben. Diese Zeit von Daniel war eine Sensation." Da kann man auch verschmerzen, dass Barcelona-Sieger Max Verstappen wegen eines Crashs als 21. startet.
Red Bulls Poker überraschte Mercedes
Red Bull hatte sich schon vor dem Qualifying zur Herangehensweise entschlossen, in Q2 auf Supersoft zu setzen. "Der Plan war, zuerst mit dem Ultrasoft eine Q2-Zeit zu setzen und dann den Supersoft zumindest auszuprobieren", erzählt ein strahlender Ricciardo. "Die Zeit war ja da, also haben wir es versucht."
Und mit dem Wissen über die starke Ausgangsposition im Rennen ging Ricciardo noch fokussierter ins entscheidende Q3 und knallte die Pole-Position hin - 0,169 Sekunden vor Nico Rosberg und 0,320 Sekunden vor Lewis Hamilton (hier das Gesamtergebnis). In Q1 und Q2 rangierte Ricciardo noch auf Rang vier. "Wir haben nicht alles gezeigt", stichelt Marko auf 'RTL' gegen Lieblingsgegner Lauda. "Das haben wir gemerkt", antwortet der Wiener. Marko grinst: "Aber ihr habt nicht reagiert."
Was sich Red Bull von der Strategie verspricht
Doch was ist der Red-Bull-Strategiepoker wirklich wert? "Wir sind jetzt einfach viel flexibler, wenn ein Safety-Car kommt oder beim Timing der Boxenstopps", glaubt Marko an einen strategischen Vorteil gegenüber der Mercedes und Ferrari. "Wir können uns also in Ruhe anschauen, was die anderen machen."
Auch Pole-Setter Ricciardo glaubt an "mehr Möglichkeiten" im Rennen. "Der Reifen hat etwas mehr Lebensdauer. Dadurch gehen im Rennen vielleicht etwas mehr Fenster auf. Und gerade hier ist es bekanntlich so wichtig, nach dem Boxenstopp nicht im Verkehr zu stecken, sondern freie Bahn zu haben. Wir könnten daher morgen mehr Freiheiten beim Timing des Stopps haben."
Wird Ricciardo zum Undercut-Opfer?
Aber nicht alle im Fahrerlager sind überzeugt, dass Red Bull wirklich im Vorteil ist. Ex-Formel-1-Pilot Alex Wurz rechnet damit, dass vieles von der allgemeinen Strategie abhängen wird: "Wenn es für alle ein Einstopprennen wird, dann sind sie durch den etwas langsameren Reifen in Gefahr, dass die Konkurrenz einen Undercut macht", warnt er seinen Fahrrad-Partner Ricciardo. "Wenn die Gegner da sehr aggressiv sind und das schaffen, dann wird es schwierig. Das macht es interessant."
Ricciardo hält dagegen: "Der Performance-Unterschied zwischen dem Ultra- und dem Supersoft-Reifen ist nicht so groß, also hält sich das Risiko in Grenzen. Wir haben ja gesehen, dass meine Q2-Runde auf dem Supersoft-Reifen schneller war als die auf dem Ultrasoft. Es sind nur ein paar Zehntel."
Der Ultrasoft-Reifen sollte rund 30 Runden halten können, beim Supersoft-Pneu rechnet man mit 50 Umläufen. Der Grand Prix von Monaco geht über die Distanz von 78 Runden. Eine Zweistoppstrategie wäre zwar laut Pirelli theoretisch schneller, aber die vielen Überrundungsmanöver lassen das Bild eher in Richtung ein Stopp kippen.
Mercedes lässt Red-Bull-Strategie kalt
Im Mercedes-Lager zweifelt man ebenfalls, ob die Red-Bull-Strategie wirklich ein Genieblitz ist. "Ich glaube, es macht keinen großen Unterschied, ob Supersoft oder Ultrasoft, der auch relativ lange halten wird", sagt Motorsportchef Wolff. "Aber wenn du von der Pole-Position gut wegkommst, kannst du auch einen Holzreifen drauf haben und es wird schwierig, zu überholen."
Hamilton vertraut seinen eigenen Strategen und lässt Ricciardo ausrichten: "Wenn seine Strategen nicht etwas wissen, wovon wir keine Ahnung haben, ist es kein Vorteil." Und Sebastian Vettel denkt, dass dem Start viel mehr Bedeutung zukommen wird als der richtigen Strategie: "Vorbeikommen ist generell schwer hier. Ich glaube nicht, dass da einem der Supersoft so sehr weiterhilft. Deswegen war ich ein bisschen überrascht."
Wirft der Regen alles über den Haufen?
Und möglicherweise kommt am Rennsonntag sowieso alles anders: Die Wetterfrösche schließen seit Tagen Gewitter nicht aus, aus aktueller Sicht beträgt die Regenwahrscheinlich am Nachmittag rund 50 Prozent. Ricciardo weiß: "Wenn es regnet, können wir unsere Strategie vergessen." Und auch Wolff glaubt, dass das Wetter am Sonntag den Unterschied machen könnte. "Und da wissen wir nicht, wie es sein wird."
Trotz allem kann Red Bull auch diesbezüglich relativ ruhig schlafen. Oder zumindest ruhiger als die Konkurrenz. Denn der Bolide aus Milton Keynes gilt seit Jahren als bestes Auto bei regennasser Strecke. Das haben Ricciardo und Daniil Kwjat im Vorjahr beim Grand Prix der USA in Austin bewiesen, als sie Hamilton und Rosberg in der verregneten Startphase ordentlich einheizten.
"Ich werde auf jeden Fall gut schlafen", weiß Ricciardo schon jetzt. "Wahrscheinlich auch deswegen, weil ich heute meine Ziele erreicht habe. Hoffentlich sitze ich in 24 Stunden wieder hier." Der australische Sonnyboy hat außerdem das Gefühl, dass ihm das Glück nach dem bitteren Barcelona-Wochenende etwas schuldig ist: "Ich das Gefühl, die letzten Rennen zwar gut gefahren zu haben, aber nicht belohnt worden zu sein." Monaco wäre ein günstiger Ort für eine Trendwende...