Rennvorschau Barcelona: Alles neu macht der Mai
Spannung in Spanien: Tonnenweise Updates, eine der spannendsten Personalien der vergangenen Jahre und Rosberg auf dem Weg, Schumacher zu übertrumpfen
(Motorsport-Total.com) - Wer in Barcelona schnell ist, ist überall schnell - heißt es seit Jahren im Formel-1-Jargon. Sollten sich die fast geflügelten Worte beim Spanien-Grand-Prix, der am Wochenende auf dem Circuit de Catalunya vor den Toren der Gaudi-Metropole steigt, bewahrheiten, ist der Europa-Auftakt der Königsklasse wegweisend. Bei Station Nummer fünf im Rennkalender 2016 will WM-Leader Nico Rosberg seinen Status als Mann der Stunde untermauern. Doch die Konkurrenz plant den Konter.
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Acht in Serie? Rosberg will die Ziellinie auch in Spanien als Erster überfahren Zoom Download
Nach sieben gewonnen Rennen in Serie - vier davon in der laufenden Saison - hat Rosberg das viel zitierte Momentum auf seiner Seite. Er strotzt vor Zuversicht: "Derzeit fühle ich mich pudelwohl im Auto", sagt der Wiesbadener, der mit 100 von 100 Zählern die maximale Punktausbeute vorweisen kann und seine Rekordjagd noch nicht beenden will. Es heißt Fahren wie auf Wolke sieben: "Das ist großartig, da ich daraus dieses unglaubliche Selbstvertrauen ziehe, bis an die Grenzen zu gehen."
Diese Begeisterung musste sich Teamkollege und WM-Rivale Lewis Hamilton zuletzt mühsam herbeireden. Ob die MGU-H-Probleme, die immer nur am Auto des Briten auftraten, mit einem Riss in einer Wasserleitung aus Karbon erklärt und ad acta gelegt sind, weiß niemand so recht. Fakt ist: Der Champion reist nicht nur mit 43 Punkten Rückstand nach Katalonien, sondern auch in Nöten, was das Kontingent für die Antriebskomponenten angeht. Bei vielen Bauteilen musste Mercedes bereits die dritte Ausführung in den Einsatz bringen. Baldige Strafen zeichnen sich ab.
Gradmesser Barcelona: Wie stark ist Ferrari wirklich?
Dass Hamilton zuletzt mit einer Partynacht in Miami und entsprechenden Fotos in einem sozialen Netzwerk auffiel, hat vor dem Hintergrund der WM-Situation einen eigenartigen Beigeschmack. Obwohl Team-Aufsichtsratsboss Niki Lauda selbst nach Großbritannien reiste, um die Fehlersuche zu beaufsichtigen: Wenn schon nicht auf die Zuverlässigkeit dem Briten Mut macht, dann Tempo und Setuparbeit. Denn solange sein Silberpfeile heil blieb, war Hamilton schnell wie eh und je.
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Spanien
Alles begann am 28. Oktober 1951: In Spanien, das damals unter der Diktatur Francos leidet und von der wirtschaftlichen Prosperität anderer europäischer Staaten weit entfernt ist, wird erstmals ein Grand Prix ausgetragen. Die Wahl fällt auf das beschauliche Örtchen Pedralbes vor den Toren Barcelonas. Das katalanische Dorf, das sonst nur für ein gothisches Kloster bekannt ist, erlebt den ersten WM-Titel Juan Manuel Fangios. Für Alfa Romeo gewinnt er das Saisonfinale und damit auch die Krone gegen Alberto Ascari. Fotostrecke
Weitere Rosberg-Konkurrenz droht aus fremden Boxen: Ferrari und Sebastian Vettel wollen nach Problemen mit der Standfestigkeit und viel Rennpech endlich aus ihren Chancen Kapital schlagen. Die Italiener sind überzeugt, mit dem SF16-H ein siegfähiges Auto zu besitzen, das sich in den Qualifyings jedoch nicht für den ganz großen Coup zu positionieren weiß. Mögliche Lösung: Um die Reifen besser auf Temperatur zu bekommen, setzten sie auf variable Aufhängungsgeometrie.
In Sachen Antrieb riskierte die Scuderia zuletzt viel und setzte bei Vettel bereits den dritten von fünf V6-Motoren ein, um von einer Überarbeitung des Brennraums zu profitieren. Wirkt sich das nicht positiv auf die Zuverlässigkeit aus, könnten die Vorteile des Updates in Barcelona verpuffen. Denn trotz einer schier endlosen Start- und Zielgeraden handelt es sich nicht um eine Powerstrecke.
Pirelli schon wieder konservativ: Teams schmähen "Holzreifen"
Die 4,655 Kilometer lange Bahn, die die Piloten als Testfahrten-Mekka Nummer eins kennen wie die eigene Westentasche, zeichnet sich durch einen Mix aus schnellen, aus mittelschnellen und aus langsamen Kurven aus - deshalb zeigt sie aerodynamische Performance auf wie kein ein anderer Kurs. Staub und drehende Winde jedoch sorgen für ein Überraschungsmoment. Bremsen und Reifen beansprucht die Strecke moderat, der Anteil der Vollgasabschnitte ist mit 60 Prozent überschaubar. Umso erstaunlicher ist Pirellis Mischungsauswahl: Soft, Medium und Hart.
Wie schon beim Rennen in Sotschi reagieren die Piloten darauf und verschmähen die "Holzreifen" weitgehend. Kein Pilot hat mehr als zwei Sätze nominiert, Mercedes und Ferrari lassen sich nur die obligatorischen vier Pneus liefern. Vettel und Kimi Räikkönen zücken dafür im Vergleich der Topteams einen zusätzlichen Satz Soft, was sonst nur Haas wagt. Klar wird: Es droht ein Rennen, bei dem nicht mehr als ein Boxenstopp nötig sein wird, um über die 66 Runden zu kommen.
In den Trainings und im Qualifying droht Regen
Vielleicht brauchen die Teams aber auch gar nicht so viele Trockenreifen: Erste Wetterprognosen für das Wochenende besagen kühle Temperaturen zwischen 18 und 21 Grad Celsius, wobei allen voran für das Qualifying ein hohes Niederschlagsrisiko besteht. Das Rennen am Sonntag hingegen findet aller Voraussicht nach unter trockenen Bedingungen statt, was den Außenseitern auf dem Grid nicht schmecken dürfte. Längst nicht jeder freute sich auf die aerodynamische Nagelprobe.
Williams mit Felipe Massa und Valtteri Bottas könnte nach der Wiedergeburt in Russland wieder mehr Probleme haben - auch wenn Chefingenieur Rob Smedley verspricht, dass Sotschi dank der Updates und Investitionen in besseres Boxenstopp-Equipment "keine Eintagsfliege" gewesen sei. Der Powervorteil dank des Mercedes-Hybriden im Heck dürfte jedoch erst malverpuffen.
Max Verstappen beim Red-Bull-Debüt im Blickpunkt
Und dem ärgsten Gegner im Kampf um Platz drei in der Hackordnung der Teams in die Karten spielen: Red Bull scheint der Circuit de Catalunya gut zu liegen, auch wenn die Österreicher noch bis Juni auf ein umfangreiches Antriebsupdate von Renault warten müssen. Alle Augen ruhen auf Max Verstappen, der nach der Degradierung von Daniil Kwjat zu Toro Rosso in der vergangenen Woche nicht allzu überraschend seine Chance im A-Team erhielt. Er spüre "keinen Druck", wenn er erstmals in einem Topauto einen Grand Prix unter die Räder nimmt, sagt der 18-Jährige.
Mit ambitionierten Zielen nach Barcelona reist McLaren: Fernando Alonso liebäugelt bei seinem Heimspiel sogar mit einem Podiumsplatz. "In Barcelona werden wir im Grunde ein neues Auto haben", sagt der Ex-Weltmeister dem Radiosender 'Cadena Cope' und erinnert an Wunderrunden in Russland, als er für das durstigen Honda-Triebwerk einmal nicht in den Spritspar-Modus schalten musste. "Bis wir etwas für die Motorleistung bekommen, schauen wir, dass wir in den Kurven schneller werden. Wir kommen dem Ziel näher, das beste Chassis im Starterfeld zu haben."
Aus der Statistikecke: Barcelona garantiert Abwechslung
Auch Haas, wo die mysteriösen Griporobleme aus China und Russland beseitigt worden sein sollen, setzt auf Updates. Der US-Newcomer timt die Sache deshalb so, damit Vergleichsdaten (von den Testfahrten) vorliegen. Sonst sind alle Kurse Neuland. Force India verspricht Nico Hülkenberg einen neuen Dienstwagen: "Ja, wir werden ein signifikantes Aero-Update - vom Umfang der neuen Teile her ähnlich wie dem letztjährigen B-Auto - haben", bestätigt Betriebsdirektor Szafnauer.
Rein statistisch gesehen wird Nico Rosberg übrigens seine liebe Mühe haben, seine Siegesserie in Barcelona fortzusetzen. Der Deutsche gewann schon 2015 und müsste seine Krone also verteidigen. Das Kunststück ist aber seit Michael Schumacher 2004 niemandem mehr gelungen. Noch erstaunlicher: In diesem Zeitraum gab es in zwölf Rennen zehn verschiedene Sieger. Nur Alonso und Räikkönen holten sich zwei große Pokale, nicht aber in aufeinanderfolgenden Jahren. Mit seinem achten Sieg in Serie würde Rosberg außerdem Schumachers Serie von 2004 toppen und zu den Rekordhaltern Vettel (2013) und Alberto Ascari (1952/1953) aufschließen. Ihnen gelangen neun Erfolge in Reihe.