Schlitzohrigkeit: Wieso Vettel in China den "Schumi" machte
Gut informiert, blitzschnell geschaltet und auf Michael Schumachers Spuren: Für Sebastian Vettels Boxeneinfahrt-Manöver in Schanghai loben ihn die Experten
(Motorsport-Total.com) - Frech, frecher, Sebastian Vettel: Für sein kurioses Überholmanöver am Boxeneingang, mit dem er am Sonntag beim China-Grand-Prix glänzte, erntet der Ferrari-Pilot Lobeshymnen der Experten - und reiht sich mit dem Geistesblitz bei den Legenden der Königsklasse ein, schließlich ist der Deutsche nicht der erste Champion, der von perfekter Regelkunde profitiert. Für Christian Klien ist das Ganze kein Zufall: "Er informiert sich gründlich", sagt der Ex-Formel-1-Pilot im 'ORF'.
Klien betont, dass sich ein aufgewecktes Köpfchen auch im Renncockpit auszahlen würde: "Es hat ihm zu zwei Plätzen verholfen. Er hat es richtig gelesen und richtig umgesetzt." Auch Martin Brundle gratuliert Vettel zu der Aktion, die auf den ersten Blick nach einer Untersuchung der Rennleitung schrie. "Blitzschnell" hätte der Deutsche reagiert, meint der 'Sky Sports F1'-Experte: "Mir hat es super gefallen. Es war riskant - aber nur so, wie ein Auto auf Platz eins zu stellen."
Brundle ist überzeugt, dass die Formel 1 nicht zum Ponyhof verkommen sollte und findet damit hintergründig auch kritische Worte für Vettels Auftritt in China: "Das ist doch ein Rennen, keine vornehme Vorführung von Höchstgeschwindigkeit, wie Daniil Kwjat ihm zuvor in Erinnerung gerufen hatte." Für sein Manöver in der Startkurve hatte Vettel dem jungen Russen vor laufender Kamera im Vorbereitungsraum für die Podiumszeremonie die Leviten gelesen.
Trotzdem streicht Brundle heraus, dass Vettels Gespür für eine nur scheinbar grenzwertige Aktion ihresgleichen suche: "Das müsse illegal und gefährlich sein, habe ich mehrmals gelesen - die Regeln erlauben aber das Überholen zwischen den Safety-Car-Linien an den Enden der Boxengasse", erklärt der Brite, was der Artikel 39.8 des Sportlichen Regelments in Abschnitt f) verfügt.
Fotostrecke: Schumacher: Die Ferrari-Jahre
Ein Anblick, an den sich die Konkurrenz erst noch gewöhnen muss: Nach zwei Weltmeistertiteln mit Benetton in den Jahren 1994 und 1995 wechselt Michael Schumacher 1996 zu Ferrari. Der Druck auf den Deutschen ist groß, schließlich wartet das italienische Traditionsteam seit 1979 auf einen Titel in der Fahrer-WM. Der damalige FIAT-Chef Gianni Agnelli drückt es angeblich so aus: "Wenn Ferrari mit Michael Schumacher nicht Weltmeister wird, dann werden wir es nie mehr." Fotostrecke
Vettel war nicht der erste Weltmeister, der sich seine Regelkenntnis zunutze machte. Sein Vorbild Michael Schumacher nutzte 1998 gleich zweimal sein Wissen über das Kleingedruckte: Erst, als er in Argentinien nach einem Ausritt nicht direkt zurück auf die Fahrbahn fuhr, sondern das Kiesbett durchquerte und den schnelleren Weg über den Notausgang nahm - eine Aktion, die Kimi Räikkönen 2012 in Sao Paulo zu kopieren versuchte, allerdings vor einem geschlossenen Tor stand.
Im gleichen Jahr wurde Schumacher in Silverstone in Führung liegend zu einer Stop-and-Go-Strafe wegen eines Überholmanövers in einer Safety-Car-Phase verdonnert - drei Runden vor Schluss und abzusitzen binnen drei Runden. Um sich nachher nicht vorwerfen lassen zu müssen, die Strafe nicht abgesessen zu haben, fuhr er am Ende der letzten Runde in die Boxengasse und dort über die Ziellinie. Er hatte das Rennen gewonnen, die Proteste der Konkurrenz waren vergeblich.