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Formel 1 China 2016: Nico Rosberg dominiert Chaos-Rennen
Während Nico Rosberg einsam weiter siegt, steht Vettel nach Kontroverse mit Kwjat auf dem Podium - Lewis Hamiltons Aufholjagd bringt Platz sieben ein
(Motorsport-Total.com) - Die längste Formel-1-Saison aller Zeiten (21 Rennen) ist zwar erst drei Grands Prix alt, aber Nico Rosberg ist zumindest rein statistisch gesehen auf dem besten Weg zum WM-Titel. Denn die ersten drei Rennen einer Saison zu gewinnen oder insgesamt sechs Rennen hintereinander, das hat in der Geschichte des Königsklasse noch nie ein Fahrer geschafft, der nicht irgendwann einmal Weltmeister wurde! Allerbeste Vorzeichen also für den Mercedes-Fahrer, der weiterhin auf der Erfolgswelle schwebt.
Polesetter Rosberg musste zwar am Start Daniel Ricciardo (Red Bull) passieren lassen, doch ab der dritten Runde hatte er einen erholsamen Nachmittag. Ricciardo schlitzte sich just in dem Moment auf Wrackteilen den linken Hinterreifen auf, als Rosberg gerade zum Überholen ansetzte, und hatte Glück, dass die Box nur ein paar Fahrsekunden entfernt war. Aber Rosberg hatte von da an freie Fahrt - und geriet den ganzen Nachmittag nie wieder in Gefahr.
Die Balance seines Silberpfeils sei die beste gewesen, die er in seiner Karriere je erlebt hat, schwärmte der überlegene WM-Leader (36 Punkte Vorsprung auf Lewis Hamilton) schon am Boxenfunk. Vor der Siegerehrung musste er sich vom zweitplatzierten Sebastian Vettel (Ferrari) frotzeln lassen: "Du kannst ja danach nicht schlafen, du bist so ausgeruht!" Aber Rosberg war wahrscheinlich der einzige Fahrer, der in einem chaotischen Rennen einen ruhigen Tag hatte.
Denn hinter ihm ging's richtig zur Sache. Das begann mit der Kollision zwischen den Ferrari-Teamkollegen Vettel und Kimi Räikkönen in der ersten Kurve. Räikkönen wurde nach außen getragen, Vettel wollte innen durch - übersah dabei aber Daniil Kwjat (Red Bull), der sich die Innenbahn nicht entreißen lassen wollte. Vettel zog nach außen, um Kwjat auszuweichen, berührte dabei Räikkönen - und schob diesen leicht in den Red Bull hinein.
Kwjats Auto blieb dabei unbeschädigt, Räikkönen aber musste an die Box kommen, Vettel mit einem beschädigten Frontflügel weiterfahren. Bereits am Boxenfunk schimpfte der Deutsche, sein Red-Bull-Nachfolger sei "selbstmörderisch" gefahren und "wie ein Torpedo angeschossen" gekommen; später lieferten sie sich vor der Siegerehrung auch noch ein hitziges Wortgefecht. Aber Experte Marc Surer nimmt den jungen Russen in Schutz: "Kwjat ist schön innen auf seiner Spur geblieben."
Damit war die verrückte Startphase noch lange nicht durch. Weiter hinten rasierte sich Hamilton am Sauber von Felipe Nasr den Frontflügel ab. Der Vorjahressieger wechselte zuerst den Flügel und dann während der Safety-Car-Phase von Soft auf Supersoft und wieder zurück auf Soft - ein taktischer Kniff, um die Supersoft-Reifen später nicht mehr fahren zu müssen, wo er doch ohnehin schon Letzter war. Gemeinsam mit Räikkönen startete er dann seine Aufholjagd.
Die führte Räikkönen auf den fünften und Hamilton auf den siebten Platz. Letzterer musste in der Schlussphase nicht nur den "Iceman", sondern auch den groß auftrumpfenden Ricciardo überholen lassen - eine Folge seines in der ersten Runde lädierten Autos: "Ich glaube, dass Aero-Teile kaputt waren, und auch die Radaufhängung, denn das Auto hat sich gebogen wie verrückt. Und am Ende war auch in den Reifen nichts mehr drin. Aber that's Racing."
Vettels Aufholjagd war noch spektakulärer als die von Hamilton - und begann mit einem Geniestreich in der Boxeneinfahrt, wo er Nico Hülkenberg (Force India) und Carlos Sainz (Toro Rosso) überrumpelte. Die FIA leitete daraufhin eine Untersuchung ein - bestrafte aber nicht Vettel für Überholen während einer Safety-Car-Phase, sondern Hülkenberg, weil dieser absichtlich langsam unterwegs war, damit die Force-India-Crew Sergio Perez in Ruhe abfertigen konnte.
Später zog sich Vettel, der an der Box den Frontflügel hatte wechseln lassen, den nächsten Frontflügel-Schaden zu, als er an Valtteri Bottas (Williams) vorbeiging. "Das habe ich nicht einmal bemerkt", gab er später auf dem Podium zu. Die herumliegenden Teile bei Start und Ziel entfernte ein mutiger Streckenposten unter Doppel-Gelb, sonst hätte es wahrscheinlich noch einmal eine Safety-Car-Phase geben müssen.
Das Manöver des Tages zeigte Hamilton gegen Bottas, aber die Überholmanöver zu zählen, war in einem teilweise völlig chaotischen und unübersichtlichen Grand Prix schlichtweg unmöglich. Erst gegen Rennmitte begann sich das Feld langsam zu sortieren - sodass auch "Systemfehler" wie ein Pascal Wehrlein (Manor) auf P4 oder ein Perez auf Podiumskurs korrigiert wurden. Perez fehlten am Ende 8,1 Sekunden auf den zehntplatzierten Bottas.
Als Vettel im Finish dank der weicheren Reifen Kwjat überholt hatte, waren die Top-3-Positionen bezogen. Dahinter gewann Ricciardo den Kampf um Platz vier gegen Räikkönen, Felipe Massa (Williams) und Hamilton. Achter wurde Max Verstappen (Toro Rosso), der dank Reifenvorteil mit seinem Teamkollegen Carlos Sainz kurzen Prozess machte. Und Bottas rutschte in den letzten Runden noch vom fünften auf den zehnten Platz ab.
McLaren konnte aus der furiosen Startphase kein Kapital schlagen und landete auf den Positionen zwölf und 13, und Romain Grosjean (Haas), der Überraschungsmann der ersten beiden Rennen, spielte nach Kollision mit Marcus Ericsson (Sauber) in der ersten Runde keine große Rolle mehr. Am Ende wurde er 19., fuhr aber zumindest bis ins Ziel - was er eigentlich nicht mehr wollte, wenn ihm nicht sein Team per Funk das Aufgeben verboten hätte.
Hülkenberg kam als 15., Wehrlein als 18. ins Ziel, komfortabel vor seinem Teamkollegen Rio Haryanto (21.). Und Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko trauerte dem Reifenschaden von Ricciardo nach: "Dadurch haben wir den zweiten Platz verloren. Aber wir sind sehr zufrieden. Wir waren auf allen Reifentypen annähernd an der Spitze dran." Die 35 PS, die mit dem Montreal-Update von Renault kommen, sollten weiter helfen.
Aber während alle anderen die vielen strittigen Situationen des Rennens aufarbeiten, kann sich Sieger Rosberg entspannt zurücklehnen: "Wir werden jetzt in der Garage feiern. Das Team hat es sich wirklich verdient. Dann geht's nach Hause zu meiner Familie. Ich kann's kaum erwarten!" Den einzigen (klitzekleinen) Fehler erlaubte er sich in Runde 51 von 56, als er von der Ideallinie abkam und zusammenschleifen musste. Aber selbst das kostete kaum mehr als eine Sekunde.
Weshalb nun sogar Mercedes-Boss Niki Lauda, dem sonst der Ruf des Hamilton-Fans anhaftet, zu einem überschwänglichen Lob veranlasst: "Für mich ist das weltmeisterlich! Davor kann ich nur meine Kappe ziehen. Nico macht alles richtig. Man kann's nicht besser machen", sagt er und ergänzt: "Er fährt wie ein kleiner Gott!" Weiter geht's mit der Formel 1 am 1. Mai mit dem vierten Saisonrennen, dem Grand Prix von Russland in Sotschi.