• 25. Oktober 2015 · 22:56 Uhr

Formel 1 USA 2015: Kontroverse bei Hamiltons WM-Triumph

Lewis Hamilton ist Formel-1-Weltmeister 2015, gewinnt in Austin aber mit einem umstrittenen Manöver in Kurve 1: "Lewis weiß, dass das zu hart war"

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton ist Formel-1-Weltmeister 2015! Der Mercedes-Pilot sicherte sich den Sieg in einem dramatischen Grand Prix der USA in Austin, Texas, und steht damit bereits drei Rennen vor Schluss als alter und neuer Champion fest. Denn Sebastian Vettel (Ferrari) reichte der dritte Platz nicht, um den Titelkampf offen zu halten.

Für mehr Schlagzeilen als das spannungsgeladene Rennen sorgte aber eine Szene im Zeremonienraum vor der Siegerehrung, als Hamilton dem enttäuscht in einem Sessel kauernden Nico Rosberg (Mercedes) die Pirelli-Kappe für das Podium zuwarf, Rosberg diese aber entnervt zurückschmiss. Dem vorangegangen war eine zumindest grenzwertige Situation am Start, wo Hamilton seinen Teamkollegen wieder einmal abgedrängt hatte.

Lange sah es so aus, als würde Rosberg zum ersten Mal in den USA gewinnen können. Nachdem er die Führung am Start zunächst verloren hatte, bremste er sich in der 18. Runde an Hamilton vorbei. Der Deutsche überstand zwei Safety-Car-Restarts und sah wie der sichere Sieger aus, als er seinen Vorsprung in der 48. Runde plötzlich auf über eineinhalb Sekunden ausbaute. Doch ein Fragezeichen blieb noch, weil Hamiltons Reifen im letzten Stint um fünf Runden frischer waren.

Letztendlich waren es jedoch nicht die Reifen, sondern die Nerven, die für die Entscheidung sorgten: Rosberg kam von der Strecke ab, Hamilton schlüpfte durch - und fuhr den Sieg von da an sicher nach Hause. "Wenn der eine einen Fehler macht, ist der andere Weltmeister. Völlig klar", sagt Mercedes-Boss Niki Lauda ganz trocken. Trotzdem geriet die WM-Entscheidung in der letzten Runde noch einmal in Gefahr, denn Vettel hätte ein zweiter Platz gereicht, um im Rennen zu bleiben.

Fast schien es so, als würde Rosberg absichtlich langsamer machen, um Hamilton eins auszuwischen, aber als Vettel in der ersten Kurve der letzten Runde einen leichten Verbremser machte und auch in der DRS-Zone nicht am Mercedes vorbeifahren konnte, war die Entscheidung gefallen. Hamilton gewann nach 56 Runden 2,8 Sekunden vor Rosberg und 3,3 Sekunden vor Vettel - und hat nun uneinholbare 76 Punkte Vorsprung.

Mercedes-Sportchef Toto Wolff hat jetzt einige Tage lang zu tun - Party mit Hamilton, Trösten von Rosberg. Denn der Österreicher findet: "Das Manöver in Kurve eins war natürlich hart. Lewis hat sich am Funk gleich entschuldigt", sagt er. Damit sei auch die Grenze dessen, was unter Teamkollegen erlaubt ist, überschritten worden: "Es war zu hart. Lewis weiß das. Als Nico geführt hat, war das Ergebnis moralisch das richtige. Aber es ist anders gekommen."

Trotz WM-Party ist bei Mercedes Feuer am Dach: "Mich nervt der Start sehr", grummelt Rosberg. "Ich finde, ich habe ein Recht auf ein Stück Strecke. Dass mich mein Teamkollege extra verhungern lässt und sogar so weit geht, dass er in mich reinfährt, das ist ein Schritt zu weit, finde ich." Seinen Ausritt im Finish kann Rosberg selbst nicht fassen: "Unglaublich, ich versteh's nicht. Ist mir noch nie passiert. Muss ich schauen, ob das meine Schuld war."

Knüppeldick kam es in Austin auch für Red Bull, denn das österreichische Team erlebte innerhalb von zwei Stunden alle Höhen und Tiefen, die man in der Formel 1 erleben kann. Zuerst führte Daniil Kwjat den Grand Prix an, später dann Daniel Ricciardo - mit bis zu 8,8 Sekunden Vorsprung. Doch am Ende war Kwjat ausgeschieden und Ricciardo musste froh sein, nach einem Zweikampf mit Alexander Rossi (Manor-Marussia) noch einen Punkt zu sammeln.

Die Red Bulls liefen konkurrenzlos, als das Feld auf Intermediates unterwegs war und die Strecke abtrocknete, doch die Wende kam in der 22. Runde. Binnen weniger Sekunden verlor Ricciardo (nach Fahrfehler in der Runde zuvor) die Führung an Rosberg, und Kwjat musste Hamilton im Kampf um Platz drei ziehen lassen. Kwjat schied später aus, weil er in der vorletzten Kurve auf den feuchten Teppich kam und das Auto nicht mehr abfangen konnte.

Bester Red-Bull-Fahrer war somit ein "Jungbulle", nämlich Max Verstappen (Toro Rosso), der mit den ältesten Reifen im Spitzenfeld vor dem letzten Restart an dritter Stelle lag und nur Vettel durchlassen musste, am Ende hervorragender Vierter wurde. Verstappen zeigte wieder mit seiner kämpferischen Fahrweise auf, handelte sich zwischenzeitlich aber auch den Ärger von Kimi Räikkönen ein: "Wenn das, was der macht, legal ist, dann schiebe ich ihn auch raus!"

Räikkönen wiederum sorgte für die kurioseste Szene des Rennens, als er von der Strecke rutschte, sich an den Barrieren den Frontflügel abfuhr, aber Vollgas gab und unter frenetischem Jubel der Fans irgendwie auf die Strecke zurückkam - wie zu besten Rallye-Zeiten. Trotzdem sah er die Zielflagge nicht. Und so lag es an Teamkollege Vettel, die Ferrari-Kastanien aus dem Feuer zu holen. Aber: "Es ist nicht schön, wenn du weißt, dass du nicht mehr Weltmeister werden kannst."

Vettel hatte in der ersten Runde sechs Positionen gewonnen. Dann fuhr er hinter dem Mercedes-Red-Bull-Paket lange an fünfter Stelle - bis ihm eine Safety-Car-Phase eine Riesenchance bescherte. Denn während die Top 4 draußen blieben, wechselte er auf Medium-Reifen, um bis zum Ende durchfahren zu können. Aber als er eine Runde nach dem Restart schon sieben Sekunden Rückstand auf das Mercedes-Duo hatte, war klar, dass das nicht funktionieren würde.

In der Schlussphase nützte dann Rosberg eine virtuelle Safety-Car-Phase, um vor Hamilton an die Box zu kommen, was schon fast nach Vorentscheidung roch. Hamiltons Crew plante dann kurzzeitig, bis zum Ende durchzufahren, entschied sich aber vor der letzten Safety-Car-Phase doch noch für einen Boxenstopp - eine goldrichtige Wahl, denn so lag Hamilton unmittelbar in Rosbergs Windschatten, aber er hatte die frischeren Reifen. Der Rest ist bekannt.

Nach 56 Runden sahen nur zwölf Autos die Zielflagge - und weil sich das Feld wegen der vielen Safety-Car-Phasen nie auseinanderziehen konnte, wurde bis zum Schluss herzhaft gekämpft. Mittendrin die McLaren-Champions Jenson Button (6.) und Fernando Alonso (11.), der erst in der Schlussphase wegen Leistungsverlusts zurückfiel. Sergio Perez (Force India) wurde guter Fünfter, Felipe Nasr holte im 400. Sauber-Grand-Prix immerhin zwei Punkte.

Danach hatte es zu Beginn nicht ausgesehen: Zwischen Nasr und Marcus Ericsson kam es zu einer teaminternen Kollision - und als der Brasilianer bei seinem erzwungenen Boxenstopp (genau wie Williams-Fahrer Valtteri Bottas) auf Slicks wechselte, entpuppte sich dies als viel zu früh. Nasr konnte immerhin von den vielen Ausfällen profitieren, Ericsson blieb später stehen. Bei Williams fuhren diesmal beide Piloten vorwärts in die Garage und gaben auf.

Ein tragischer Held des Rennens war übrigens auch Nico Hülkenberg (Force India), der in der 36. Runde an sechster Stelle liegend mit Ricciardo kollidierte. Schuldfrage? "50:50", findet Formel-1-Experte Marc Surer. Hülkenberg hatte genau wie Vettel während der Safety-Car-Phase Reifen gewechselt und witterte in jener Phase seine große Chance, ähnlich wie Perez in Sotschi dank der Strategie weit vorne zu landen - vergebens.

In der Weltmeisterschaft ist damit nicht nur die Konstrukteurs-, sondern auch die Fahrerwertung entschieden. Spannend wird es noch im Kampf um Platz zwei zwischen Vettel und Rosberg, die nur durch vier Punkte getrennt liegen. Bei den Teams scheinen die Top 5 ziemlich in Stein gemeißelt zu sein. Zeit zum Durchatmen bleibt trotzdem nicht, denn weiter geht's schon in einer Woche mit dem Comeback der Formel 1 in Mexiko-Stadt.

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