Erste V6-Schlappe für Mercedes: "War richtig der Wurm drin"
Erstmals in der neuen Turboära der Formel 1 stand am Sonntag in Ungarn kein Silberpfeil auf dem Podest: Zahlreiche Patzer und Missgeschicke bei Mercedes
(Motorsport-Total.com) - So etwas hat es in der neuen V6-Ära der Formel 1 noch nicht gegeben: Beim Großen Preis von Ungarn 2015 am Hungaroring stand erstmals im neuen Turbozeitalter kein Silberpfeil-Pilot auf dem Podest. Lewis Hamilton wurde nach einem turbulenten Rennen in Budapest nur Sechster, doch auch Teamkollege Nico Rosberg konnte von der Pannenserie des Briten nicht profitieren und landete nach einem späten Reifenschaden nur auf dem achten Platz.
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Die Sahne auf dem schlechten Tag: Daniel Ricciardo greift Nico Rosberg an Zoom Download
"Heute hat es mehr Schwierigkeiten in einem Rennen gegeben als in der gesamten Saison", rauft sich Motorsportchef Toto Wolff bei 'Sky' die Haare. "Für uns war es ein richtig schlechter Tag im Büro", meint der Österreicher nach dem schlechtesten Ergebnis der letzten eineinhalb Jahre. Und auch Lewis Hamilton, der sich am Funk für sein Rennen entschuldigte, hat dafür nicht viele Worte übrig: "Was für ein Tag, Jesus. Das war ein harter Nachmittag."
Es ist ein Novum in der aktuellen Formel-1-Zeit: Beim Saisonfinale in Brasilien 2013 stand letztmals kein Pilot des Werksteams auf dem Podest, doch die Ereignisse spielten heute nicht in die Hände von Mercedes. Schon in Kurve 1 war die Doppelführung dahin, als beide Ferrari von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen vorbeizogen. "Da war richtig der Wurm drin. Es ist das zweite Wochenende hintereinander, wo wir am Start nicht richtig wegkommen und zu viel Wheelspin haben", ärgert sich Wolff.
Teaminterne Uneinigkeit in Runde 1
Doch für Hamilton kam es noch schlimmer: Der Brite fuhr in der Schikane in den Kies und fand sich plötzlich nur noch auf Rang zehn wieder. Hinterher beschuldigte er, dass ihn Rosberg von der Straße gedrängt habe, doch nach dem Rennen war davon nicht mehr viel zu hören: "Ich erinnere mich nicht wirklich dran", sagt er, und auch Rosbergs Erinnerung weist Lücken auf: "Ich habe gar nichts gesehen. Das kann ich nicht beurteilen", sagt er bei 'Sky'.
Die Aufholjagd gestaltete sich für den aktuellen Weltmeister danach schwierig. An den Williams, Force Indias oder Red Bulls vorbeizukommen, schien nicht so einfach zu sein, wie man es für das dominierende Team des Sports meinen sollte. Doch nachdem sich Hamilton bei seinem ersten Stopp noch einmal neue weiche Reifen aufziehen ließ, lief es für den Mann mit der Startnummer 44 plötzlich wieder. Er kam trotz großem Rückstand sogar wieder an Teamkollege Rosberg heran, der auf der härteren Medium-Mischung die Pace der führenden Ferrari nicht gehen konnte.
Um Hamilton zu covern, der plötzlich nur noch wenige Sekunden hinter ihm lag, wollte er trotz der langsamen Pace noch einmal die härteren Pneus aufziehen, auch wenn das Team anderer Meinung war. Doch unter dem Virtuellen Safety-Car in der 43. von 70 Runden schnappten sich beide Silberpfeil-Piloten die Medium-Mischung und machten sich auf die Jagd nach Ferrari, denn plötzlich war das Rennen wieder in Mercedes' Hand.
Zwei Kollisionen, zweimal Ricciardo
Das Safety-Car hatte das Feld zusammengeführt, und der Zweitplatzierte Kimi Räikkönen hatte Probleme mit der Energierückgewinnung seines Boliden, sodass im Grunde nur noch Sebastian Vettel die Silbernen vom neunten Saisonsieg trennte. Doch erneut kippte das Rennen: Nach dem Re-Start rumpelte Hamilton in Kurve 1 in den Red Bull von Daniel Ricciardo und beschädigte sich seinen Boliden. Der Engländer musste zum Reparaturstopp an die Box und fasste für die Kollision noch eine Durchfahrtsstrafe und nachträglich sogar zwei Strafpunkte für den Punkteführerschein auf.
Selbst Toto Wolff musste im Nachhinein sagen, dass die Strafe gegen seinen Piloten berechtigt gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt schien die WM-Führung des Weltmeisters dahin zu sein, doch die nächste Wendung folgte prompt: Nico Rosberg geriet unter Druck von Daniel Ricciardo, als der Australier ein überoptimistisches Manöver wagte und ausgangs Kurve 1 mit seinem Frontflügel Rosbergs linken Hinterreifen aufschlitzte, was den Deutschen aus allen Träumen riss.
"Es lief eigentlich sehr gut, und ich war ziemlich zufrieden mit dem Rennen - bis zur 64. Runde", seufzt Rosberg bei 'Sky'. "Danach war ich einfach nirgends, das ist wirklich schade. Manchmal kann der Sport so hart sein, wenn man all diese Punkte verliert. Aber so ist es nun einmal." Eine Schuldzuweisung erfolgte nur halbherzig: "Ich sehe es so, dass es meine Kurve war, weil ich die Ideallinie gefahren bin, während er zu spät gebremst hat und geradeausgeschossen ist - aber sein Frontflügel war noch da, und er hat nicht zurückgezogen. Aber die FIA hat keine Strafe ausgesprochen, von daher war wohl niemand schuld."
Enttäuschung in allen Ecken
Der Motorsportchef hätte sich hingegen eine andere Meinung gewünscht: "Die erste Durchfahrtsstrafe war berechtigt, ich hätte zwischen Ricciardo und Nico vielleicht dann ähnlich entschieden", möchte Wolff Gleichberechtigung, ist aber im Nachhinein nicht böse: "Für uns macht es dann keinen Unterschied. Das Rennen war zu dem Zeitpunkt schon verloren. Nico wäre bestenfalls Zweiter oder Dritter geworden, was für ihn besser in der Meisterschaft gewesen wäre, aber man muss es so hinnehmen."
Am Ende blieb für die Silberpfeile nur Schadensbegrenzung übrig. Während Rosberg noch auf Rang acht fuhr, konnte Hamilton als Sechster zumindest ein paar Punkte auf seinen Rivalen gutmachen. "Ich hatte definitiv einen sehr schlechten Tag im Büro, aber das Team hat einen guten Job gemacht, sodass ich wenigstens noch ein paar Punkte mitnehmen konnte", lobt Hamilton, und Rosberg hadert: "Ich bin enttäuscht über den heutigen Tag und würde am liebsten morgen nochmal fahren."
Und während Mercedes sonst von Sieg zu Sieg eilt, zeigt man, dass man auch eine Niederlage anerkennen kann: "Ferrari hat dieses Rennen verdient gewonnen", muss Wolff sagen. "Die Jungs haben es verdient, weil sie hart gearbeitet haben, und auch für Red Bull freut es mich, dass sie beide Autos auf dem Podium haben." Noch einmal möchte man das im Lager der Silbernen aber nicht zulassen: "Wir werden hochmotiviert nach Spa zurückkehren", verspricht der Österreicher.