• 06. Juli 2015 · 08:22 Uhr

Als Hamilton zum Regengott betete: "War nicht mein Genius"

Chaos im Funk, Panik bei Aquaplaning und ein Nico Rosberg, der sich für den sicheren Sieger hielt: Wie knifflig Lewis Hamiltons Taktikcoup im Regen wirklich war

(Motorsport-Total.com) - War es das urbritische Näschen für den sommerlichen Landregen? War es ein taktisch bis ins letzte Detail ausgeklügeltes Manöver? Oder einfach nur eine unglaubliche Portion Glück? Fakt ist: Mit zwei genialen Entscheidungen für Boxenstopps hat Lewis Hamilton am Sonntag in Silverstone nicht nur einen Schneckenstart wettgemacht, sondern auch bärenstarke Williams bezwungen, seinen Rivalen Nico Rosberg in die Knie gezwungen und einen emotionalen Triumph in der Heimat gefeiert.

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Lewis Hamilton hatte einen Grand Prix mit Höhen und Tiefen hinter sich Zoom Download

Ein Funken Historie war auch noch dabei, wie Rennlegende Jackie Stewart bei 'Sky' erwähnt: "Er hat mit meinem Rekord von in Folge angeführten Rennen gleichgezogen, den ich 45 Jahre lang gehalten habe." Bei den vergangenen 18 Grands Prix notierten die Statistiker Hamilton mindestens für eine Runde auf Position eins. Dazu stellte er die Bestmarke von drei Siegen auf britischem Boden, gehalten von Nigel Mansell und Jim Clarke, ein. Der Weltmeister hatte im Cockpit selbst bei einem Fauxpas seinen Spaß. "Ich dachte: 'Toll, jetzt gibt es ein richtiges Rennen!', sagt er 'RTL' über seinen vermasselten Start.

Denn Felipe Massa zog direkt nach der grünen Ampel vorbei, Valtteri Bottas nach der Safety-Car-Phase - als Hamilton nach dem Brasilianer griff und es übertrieb. "Ganz klar war, dass wir versuchen mussten, die Williams zu überholen", unterstreicht Mercedes-Boss Niki Lauda bei 'RTL'. Was auf der Strecke nicht klappte, bewerkstelligte Hamilton in Runde 19 mit dem so genannten "Undercut". Er zog die härteren Reifen auf, brannte Qualifying-Runden in den Asphalt - und war nach den Williams-Stopps vorne.

Anruf aus Brackley: Es herrschte "Chaos ohne Ende"

Hamilton betont bei 'Sky Sports F1', dass das Manöver akkurates Timing erfordert hätte: "Man wird schneller und wieder langsamer", beschreibt er das Verhalten der nicht konstant abbauenden Pirelli-Pneus und wurde sie los, als sie eigentlich gut fahrbar waren: "Ich habe den Jungs gesagt, die Reifen seien in Ordnung, aber irgendwann würden sie auch wieder nachlassen. Ich bin dann an die Box gefahren, habe eine tolle Outlap gefahren und kam vorbei. Dann kam der Regen und warf alles über den Haufen."

Hätte der Himmel nicht seine Schleusen geöffnet, Hamilton wäre mit beeindruckenden Renntempo einem souveränen Erfolg entgegengerast. Doch er musste noch einmal entscheiden, als es tröpfelte, schüttete und die Autos in der Club-Kurve kaum noch Grip hatten - die restliche Strecke aber nicht nass genug war, als dass er sich nicht hätte die Intermediates ruinieren können. "Ich habe versucht, draußen zu bleiben solange es geht", beschreibt Hamilton den Balanceakt. "Wenn man das Auto in Führung hat, muss man vorfahren und es für alle austesten. Wenn dann das Aquaplaning einsetzt, bekommt man Angst."

Es stand viel auf dem Spiel und die Mercedes-Drähte liefen heiß: "Da diskutieren die Ingenieure endlos, ob der Regen kommt oder nicht, und dann ruft einer aus Brackley an und sagt: 'Hier regnet es schon'. Also es ist ein Chaos ohne Ende", gibt Lauda Einblicke in den Poker bei Mercedes. "Ich habe mit Toto dort gesessen und sagte: 'Ruhig bleiben! Wenn der Regen kommt, dann kommt er. Jede Theorie ist blöd.'" Jede Theorie vielleicht, aber nicht jedes Rennfahrer-Näschen. Und genau das ließ Hamilton schnuppern.

Rosberg dachte, er hätte schon gewonnen

Lauda, der zuerst noch von einer "Ingenieursentscheidung" gesprochen hatte, lobpreist seinen Piloten: "Lewis hat auf der Strecke entschieden: 'Es geht nicht mehr! Ich komme herein!' Wenn die Fahrer die Entscheidung in die Hand nehmen, dann gewinnen sie." Es ist eine Anspielung auf Monaco, als bei einer Safety-Car-Phase Strategiechaos an der Box der Silberpfeile ausbrach, Hamilton komplett unnötig zum Reifenwechsel beordert wurde und einen sicheren Sieg im Mittelmeer versenkte.

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Lewis Hamilton behauptete sich dank seiner Taktik vor Nico Rosberg Zoom Download

Toto Wolff ist froh, dass es in Silverstone besser lief: "Es war die absolut richtige Entscheidung, aber es war nicht offensichtlich", analysiert der Mercedes-Motorsportchef, der Rosberg zu diesem Zeitpunkt in Richtung des Teamkollegen an die Spitze stürmen sah. "Das andere Auto draußen zu lassen, war die richtige Strategie, um die Autos zu splitten. Rückblickend war das schlecht für Nico, es hat ihm Zeit gekostet, aber für das Team war es das Richtige. " Ein Doppel-Stopp hätte massive Risiken mitgebracht.

So war Rosberg auch nicht pikiert - sondern siegessicher. "Ich hielt Lewis' Entscheidung für falsch. Da war ich mir ziemlich gewiss und war froh, noch auf der Strecke geblieben zu sein. Ich dachte, dass ich das Ding gewinnen würde. Aber dann hat es mehr geregnet und die Messe war gelesen", beschreibt der Deutsche seine Achterbahnfahrt. Dennoch war etwas Frust dabei, wie er 'RTL' schildert: "Es überwiegt der Ärger. Als der Regen kam, habe ich mich sehr gut gefühlt. Das war ein cooler Moment, denn ich konnte richtig attackieren."

War es doch das Näschen für das Britenwetter?

Rosberg wollte einfach noch weiter draußen bleiben, doch die Bedingungen ließen es zu: "Als ich dann auf die Hangar Straight kam, war Land unter. Ich konnte nicht einmal Vollgas auf der Geraden geben. Sonst hätte es mich weggedreht." Nur an den genialen Instinkt des Stallrivalen glaubt er nicht: "Er hat das Wetter besser gelesen? Was heißt das? Man kann es nicht vorhersehen. Es sind neun Fahrer vorne, zwei fahren rein, sieben bleiben draußen. Wenn du stoppst, musst du beten, dass der Regen auch wirklich kommt."

Hamilton will das so nicht stehen lassen und betont, dass auch in ihm ein Wettergott schlummert: "Es ließ sich gut erkennen, wo es mehr und wo es weniger regnet. Sie haben mir auch gesagt, wann der Niederschlag kommen würde und mir war klar, das die nächste Runde die wirklich knifflige sein sollte", sagt der Lokalmatador, erwähnt jedoch auch das Quäntchen Glück: "Es war nicht mein Genius, sondern einfach die richtige Entscheidung. Manchmal liegt man richtig, manchmal liegt man falsch." Am Sonntag sogar goldrichtig.

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