Rennvorschau Montreal: Vollbremsung für Mercedes?
Bremsenkiller Kanada könnte Hamilton und Rosberg nach jüngster Strategiekabale vor Probleme stellen - Vettel setzt auf Motorupdate - Williams als lachender Dritter?
(Motorsport-Total.com) - Die Grand-Prix-Party der Saison steigt jedes Jahr in Montreal: Kein Austragungsort im Kalender lebt die Formel 1 so wie die kanadische 1,7-Millionen-Metropole in der französischsprachigen Provinz Quebec. Auf dem Circuit Gilles Villeneuve, gelegen auf der Ile Notre-Dame mitten im Sankt-Lorenz-Strom, will Mercedes beim siebten WM-Lauf 2015 (die ganze Action live verfolgen!) wieder feiern, doch das könnte für die Silberpfeile trotz Power- und Verbrauchsvorteil ein schwieriges Unterfangen werden.
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Lewis Hamilton könnte mit seinen Bremsen in Kanada ordentlich zu kämpfen haben Zoom Download
Schließlich gilt die 4,361 Kilometer lange Bahn dank vieler Hochgeschwindigkeitspassagen und harter Bremspunkte als Verschleißmonster. Das 100-Kilogramm-Spritlimit nicht auszureizen und zugunsten von mehr Performance Luft im Tank zu lassen - wie bei der "Schleichfahrt" in Monaco Usus - kommt in Montreal für die Teams angesichts eines Vollgas-Anteils von 72 Prozent, einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 205 km/h und 50 Gangwechseln pro Runde nicht mehr infrage.
Das spricht für Mercedes: Der Antriebsstrang der Silberpfeile ist der kraftvollste in der Formel 1 und verbraucht auch weniger Sprit, was sich insbesondere gegen Rennende mit uneingeschränkter Performance bezahlt machen könnte. Allerdings werden in Kanada die Bremsen extrem beansprucht - das könnte sich für die Weltmeister als Bumerang entpuppen. Schließlich bekamen sowohl Lewis Hamilton als auch Nico Rosberg in Bahrain in der Schlussphase Probleme beim Verzögern.
Teamduell bei Mercedes: Wie frustriert ist Hamilton?
Mercedes sprach von einem Problem mit dem Setup und einer gewagten Kompromissfindung im Vorfeld. Das Problem sei in den Griff zu bekommen, hieß es. Allerdings könnte ein Ritt auf der Rasierklinge in Montreal teuer werden. Die Safety-Car-Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 Prozent, herausgefahrene Abstände könnten so schnell eingedampft sein und die Konkurrenten eine Chance erhalten, auch wenn sie sonst nicht in der Lage sind, die Rundenzeiten des W06 mitzugehen.
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Kanada
1967 findet im Mosport Park in Bowmanville das erste Formel-1-Rennen in Kanada statt - und sorgt gleich für mehrere Highlights. Mit über 2:40 Stunden ist der verregnete Grand Prix das längste Rennen der gesamten Saison. Jackie Stewart, hier in Führung vor Jack Brabham, sieht die Zielflagge am Ende nicht. Fotostrecke
Im Qualifying wird das nach den Erkenntnissen der bisherigen Grands Prix wohl der Fall sein. Im Rennen lauern mehr Fallstricke, darunter die ultimative Zuverlässigkeitsprobe. Im vergangenen Jahr bestanden die Stuttgarter sie nicht und gaben einen von nur drei Siegen in der gesamten Saison aus der Hand. Allerdings arbeiteten die Spezialisten in Brackley und Brixworth im Winter hartnäckig am Durchhaltevermögen ihres Autos und waren damit offenbar sehr erfolgreich.
Die menschliche Komponente der Gleichung ist weniger berechenbar: Nach dem Strategiefehler von Monaco, den er zu einem Teil selbst zu verschulden hatte, scheint Hamilton im Teamduell mit Rosberg plötzlich ins Hintertreffen geraten zu sein. Zwar behauptet er die WM-Führung mit zehn Punkte Vorsprung weiter für sich, das so häufig zitierte "Momentum" spricht nach zwei Erfolgen in aber für den Deutschen - trotz oder eben gerade wegen des Zustandekommens im Fürstentum.
Frühling statt Sommer: Kein Sebastian-Vettel-Wetter
Gut möglich, dass Hamilton noch akribischer arbeitet und noch konzentrierter zurückschlägt, wie es in Monaco ohne das Malheur der Fall gewesen wäre. In Kanada feierte er den ersten Formel-1-Sieg seiner Laufbahn und ließ zwei weitere folgen. Genauso ist denkbar, dass Rosberg dem Ex-Kumpel mit breiter Brust das nächste Schnippchen schlägt und die Titelhatz noch spannender macht - allerdings auf einer Strecke, auf der er in seiner Karriere erst einmal das Podium besuchte.
Heißt der lachende Dritte Sebastian Vettel, der mit 28 Punkten Rückstand auf Hamilton weiter in Sichtweite zur WM-Führung ist? Das Wetter spricht nicht für den Heppenheimer und seine "rote Göttin". Über das Wochenende hinweg soll es ersten Prognosen zufolge 20 bis 23 Grad Celsius geben und tagsüber weitgehend trocken bleiben. Sein im Umgang mit den Reifen bei hohen Temperaturen als schonend bekannter Ferrari ist damit eines großen Vorteils beraubt. Hinzu kommt: Der Circuit Gilles Villeneuve ist zwar ein Bremsen- und ein Spritkiller, aber kein Pneumörder.
Deshalb liefert Pirelli mit Supersoft und Soft wie schon in Monaco die weichsten Gummis seines Sortiments. Die Teams könnten nach den ersten Eindrücken der rot markierten Mischung erneut Probleme bekommen, die Walzen auf Temperatur zu bringen, zumal die geringe Beanspruchung in Montreal mit wenig Gelegenheiten zum Aufwärmen einhergeht. Mercedes schien unbeeindruckt. Ferrari will mit einem ersten Motorenupdate punkten, was in Kanada zur rechten Zeit kommt.
Gute Karten für Williams, schlechte für Red Bull und McLaren
Denn es gibt Druck von hinten: Williams wittert nach dem Monaco-Debakel wie in Barcelona die Chance, das Podium zu attackieren. Der in Sachen Topspeed starke FW37 schient wie gemacht für Montreal. Valtteri Bottas kehrt auf die Strecke zurück, auf der er in seiner Debütsaison in einem völlig unterlegenen Auto mit Platz drei im Regenqualifying für den großen Paukenschlag sorgte.
Für Red Bull und Toro Rosso wird die Luft dünn. Die gemunkelten 70 bis 90 PS weniger, die Renault im Vergleich zur Konkurrenz liefert, könnten die Brauseteams teuer zu stehen kommen. Zwar gelang es in der Vergangenheit, die Nachteile mit einer Abstimmung mit wenig Abtrieb zu kompensieren, doch so eklatant zurück wie 2015 lagen die einstigen Platzhirsche in der V8-Ära nie. Da nützt es Daniel Ricciardo wenig, dass Kanada vor Jahresfrist die Stätte seines Durchbruchs war.
McLaren drohen mit Neo-Antriebspartner Honda trotz der ersten WM-Punkte durch Jenson Button in Monacao ähnliche Probleme, wenn das angekündigte Upgrade des Antriebsstrangs keine Wunder wirkt. Die Chance für Force India und Nico Hülkenberg? Zwei Rennen vor der Jungfernfahrt der B-Version des VJM08 scheint die Vijay-Mallya-Truppe in Form zu kommen, profitierte in Monaco aber von den Eigenheiten des Straßenkurses. In Montreal könnten es die Schwächen der Konkurrenz sein.