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Rennvorschau Schanghai: Kopiert Ferrari das Vettel-Wunder?
Mercedes bleibt Favorit für den China-Grand-Prix, doch der Scuderia-Erfolg hat Begehrlichkeiten geweckt: Qualifying und niedrigere Temperaturen als Schlüssel?
(Motorsport-Total.com) - Vor zwei Wochen sah es so aus, als sei die Frage nach dem Favoriten für den China-Grand-Prix mit einem Wort beantwortet: Mercedes. Das Rennen in Malaysia jedoch hat die Formel-1-Hackordnung auf den Kopf gestellt und lässt hoffen, dass die Königsklasse am kommenden Wochenende in Schanghai mehr von der Spannung bietet, die die Fans in Sepang verzückte. Neben Champion Lewis Hamilton, Nico Rosberg und Sebastian Vettel könnte auch Kimi Räikkönen ein Wörtchen um den Sieg mitsprechen.
Die 5,451 Kilometer lange Bahn vor den Toren der 24-Millionen-Einwohner-Metropole gilt als Kurs, der in Sachen Aerodynamik und Antriebsleitung gleichermaßen hohe Ansprüche stellt. Charakteristisch für das Hermann-Tilke-Machwerk ist die lange Gegengerade, auf der die Formel-1-Boliden im vergangenen Jahr mit bis zu 336,8 km/h unterwegs waren. Dass an ihrem Ende eine Haarnadel-Kurve folgt, ist sowohl Gelegenheit zum Überholen als auch Härtetest für die Bremsen. Weiterer Klassiker des International Circuit: die erste Kurve, landläufig als "Schneckenkurve" bekannt.
Trotz des ansprechenden Layouts, das in der Vergangenheit für spannende Rennen im Reich der Mitte sorgte: Motorsport-Tradition ist in China so bekannt wie Pressefreiheit, was den Grand Prix trotz des unvermeidlichen Staus auf dem Weg zur Strecke in Sachen Fankultur zu einer trüben Angelegenheit macht. Als Beruhigungspille für diverse Aktionäre taugt das Gastspiel auf dem Ex-Boommarkt aber, weshalb der Große Preis von China zum zwölften Mal von der Königsklasse ausgefahren wird.
Die Welt wartet auf den Zweikampf Mercedes gegen Ferrari
Zwei der letzten drei Ausgaben gewann Mercedes: 2012 gelang Rosberg mit dem ersten Erfolg nach der Rückkehr der Silberpfeile in die Formel 1 ein Durchbruch, im vergangenen Jahr siegte Hamilton. Dafür, dass die Truppe um Toto Wolff das Kunststück wiederholt, spricht aller Ferrari-Euphorie zum Trotz vieles: Der W06 ist im Qualifying das Auto, das es zu schlagen gilt. Obwohl die Scuderia bei Antrieb und Aerodynamik Fortschritte gemacht hat, dürfte das Überholen im Rennen schwierig werden.
Die Topspeeds sprechen für Mercedes, dazu wird der Truppe ein taktischer Fauxpas im Stile des Patzers von Sepang kein zweites Mal passieren - es sei denn, der im Vergleich zur Konkurrenz in Rot stärkere Reifenverschleiß zwingt sie dazu. Pirellis konservative Wahl der Mischungen Soft und Medium lässt das aber unwahrscheinlich erscheinen. Das Renntempo schient bei den bestimmenden Teams ähnlich hoch, schließlich erklärte sich die Lücke, die Vettel und Hamilton in Malaysia auf dem Zielstrich trennte, beinahe vollkommen mit der nach dem ersten Boxenstopp im Verkehr eingebüßten Zeit.
Fotostrecke: Fahrer über Schanghai: Temporausch!
Willkommen im Reich der Mitte, Marcus Ericsson! Ein Erstbesuch oder Wiedersehen? Caterhams Neuling sind die politisch-territorialen Verhältnisse der Volksrepublik China mit ihren Sonderwirtschaftszonen nicht ganz klar. "Ich war schon in Hongkong und in Macao – keine Ahnung, ob das zu China zählt", erklärt der Schwede. Sicher ist: In Schanghai war er bisher nicht, auf dem International Circuit in einem Industriegebiet außerhalb der Stadt schon gar nicht. "Ich habe außer dem Hotel nicht viel gesehen. Es ist ein geschäftiger Ort mit Leuten, die ständig beschäftigt sind", meint Ericsson. Fotostrecke
Mercedes hat außerdem neue Aerodynamik-Teile im Gepäck und hofft darauf, dass sich die hohen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit aus Malaysia nicht wiederholen. Die Wetterfrösche machen Mut, schließlich sind für Freitag bis Sonntag Tageshöchsttemperaturen von 18 Grad Celsius bei teils bedecktem Himmel angekündigt. Regnen soll es nicht, was es noch wahrscheinlicher macht, dass die Weltmeister und ihr neuer Herausforderer Ferrari den Sieg in Schanghai unter sich ausmachen.
Duell der dritten Kräfte: Williams dank Mercedes-Power im Vorteil
Ein Wörtchen um den Sieg mitsprechen könnte dann auch Kimi Räikkönen, bisher der Pechvogel der Saison und in China ein Volksheld: Ohne Personenschutz schafft es der Finne in Schanghai nicht einmal von der Box in die Hospitality, weshalb es 2013 mehr als sechs Lotus-Mitarbeiter und einen Gabelstapler brauchte, um ihn gesund von der Strecke ins Hotel zu schaffen. Räikkönen ist neben Hamilton, Rosberg, Vettel, Fernando Alonso und Jenson Button einer von sechs Aktiven, die bereits in China siegten.
Völlig offen: Das Rennen um Platz fünf hinter der silbern-roten Spitze. Williams scheint in der besten Ausgangsposition, sofern Felipe Massa seine gute Form konserviert und Valtteri Bottas seine Rückenprobleme weiter in den Griff bekommen hat. Der Mercedes-Antrieb könnte für die von der Ferrari-Leistung gefoppten Briten in China der Trumpf sein, schließlich wird insbesondere Hauptkonkurrent Red Bull auf den Hochgeschwindigkeits-Abschnitten des Kurses seine liebe Mühe haben.
Es sind die Probleme mit Antriebspartner Renault, die verhindern, dass Daniel Ricciardo an die großen Leistungen des Vorjahres anknüpft und Daniil Kwjat an seinen Vorschusslorbeeren gerecht wird. Da sich die Franzosen ihre Token laut Formel-1-Geschäftsführer Cyril Abiteboul bis zum Saisonende aufsparen wollen, darf Red Bull in China kein revolutionär gutes Triebwerk erwarten. Dennoch waren Fortschritte der Ex-Weltmeister erkennbar - auch wenn die Toro-Rosso-Junioren aufmuckten.
Force India und McLaren basteln an der Aufholjagd
Max Verstappen und Carlos Sainz, in Malaysia vor der Konkurrenz aus dem eigenen Hause, müssen die Strecke in Schanghai jedoch erst kennenlernen. Lotus hat mit Romain Grosjean und Pastor Maldonado erfahrenere Piloten und erlaubt es sich deshalb, im Freitagstraining dem amtierenden GP2-Champion Jolyon Palmer sein Formel-1-Debüt im Rahmen eines Rennwochenendes zu ermöglichen. Was die Stammkräfte im Köcher haben, ist nach dem Grand-Prix-Pech zum Start ein Rätsel.
Die Truppe aus Enstone scheint jedoch vor Force India und McLaren zu rangieren. Während im Nico-Hülkenberg-Lager nach dem verspäteten Rollout des neuen VJM08 an der Topform für die zweite Saisonhälfte geschraubt wird, wollen die Briten den Rückstand auf den Rest des Feldes weiter verkürzen. Erfreuliche Tendenzen in Malaysia ändern jedoch nichts daran, dass McLaren bis zum Europa-Auftakt in Barcelona nicht konkurrenzfähig sein wird - und das auch selbst einräumt. Manor-Marussia kann von Zweikämpfen ohnehin nur träumen, wobei mit Roberto Merhi im zweiten Auto zumindest in Sachen Personalplanung kürzlich eine weitere Konstante geschaffen wurde.