Wege zum Ruhm: Red Bull, ich hör' dir trapsen!
Renault macht Fortschritte, Ricciardo verkraftet seine neue Starrolle und der RB10 ist aerodynamisch eine Macht - Nur Vettel nützt das alles herzlich wenig
(Motorsport-Total.com) - Als Red Bull im Albert Park in Melbourne aufschlug, war vieles denkbar: angefangen von einem Horrorszenario mit einem RB10, der im Freien Training nicht aus der Box kommt, im Qualifying die 107-Prozent-Hürde reißt oder von seiner Startposition gar nicht wegkommt, bis hin zu einer Wiederauferstehung wie Phoenix aus der Asche. Schließlich hatten die Truppe aus Milton Keynes und ihr Stardesigner Adrian Newey oft genug unter Beweis gestellt, dass sie binnen kurzer Zeit Wunder vollbringen.
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Daniel Ricciardo wurde in Melbourne nicht nur von den Streckenposten gefeiert Zoom Download
Was sich am Sonntag tatsächlich abspielte, lag irgendwo dazwischen. Daniel Ricciardo brillierte unter riesigem Erwartungsdruck beim Debüt vor heimischer Kulisse in einem schwierigen Regenqualifying. Im Rennen leistete sich der Australier keinen Schnitzer und sicherte Rang zwei - ein nicht für mögliches gehaltenes Resultat, nachdem der RB10 bei den Tests nie eine komplette Renndistanz geschafft hatte. "Niemand hätte geglaubt, dass wir auf das Podium fahren würden", erklärt Christian Horner bei 'Sky Sports F1'. "Daniel war das ganze Wochenende über so cool."
Dass das Ergebnis in Schall und Rauch aufging, weil die Benzin-Durchflussmenge zeitweise über den erlaubten 100 Kilogramm pro Stunde lag, ist bei der Bestandsaufnahme Nebensache. Ricciardo hätte das Podium wohl auch dann erreicht, wenn er zum Ende gespart hätte, schließlich war der viertplatzierte Jenson Button deutlich entfernt. Kevin Magnussen hing - obwohl in Schlagdistanz - ebenfalls nicht im Diffusor. Ein schwerer strategischer Fehler Red Bulls ist es allemal, nur ist der schneller abgestellt als jede Kinderkrankheit des Antriebsstrangs.
Ricciardo lernt, ein Star zu sein
Ricciardo selbst bezeichnet die Erfahrung auf dem Podium als "ein bisschen unglaublich" und "surreal", es überträfe ganz bestimmt seine kühnsten Träume. Der 24-Jährige hat schnell gelernt, mit dem Rummel um die eigene Person umzugehen. Seine Familie bat er deshalb, nicht an die Strecke zu kommen und die Ablenkung zu reduzieren. "Die Fans jubeln jedem zu, wollen Autogramme", beschreibt er die Begeisterung. "Bei mir noch etwas mehr, als ich erwartet hatte. Mir ist das manchmal fast peinlich. Jeder weiß, wer ich bin", so Ricciardo weiter. Die Konzentration haben ihm diese Randerscheinungen nicht geraubt. Er setzte sie in positive Energie um.
Fotostrecke: Fünf Gründe pro und contra Vettel
Sebastian Vettel hat die Formel 1 in den letzten Jahren dominiert und viermal in Folge den WM-Titel gewonnen. Nach den umfangreichen Regeländerungen ist der 26-Jährige mit seinem Red-Bull-Rennstall vor der am Sonntag in Melbourne beginnenden Saison überraschend ins Hintertreffen geraten. Fünf Gründe, warum der Heppenheimer 2014 trotzdem erneut Champion wird - oder eben nicht. (Text: SID) Fotostrecke
Sebastian Vettel dagegen sah die andere Seite des Januskopfes seines neuen Autos. Es war die hässliche Fratze mit einem Software- und einem Sensorendefekt am Samstag sowie einem faktischen Totalschaden am Sonntag. "Jeder Fahrer mit seinen Problemen wäre unglücklich", weiß Teamchef Horner und kann den Frust des Heppenheimers nachvollziehen. Der Brite zeigt sich allerdings beeindruckt, wie konstruktiv sein Starpilot mit der Situation umging und am Rennen Ricciardos Anteil nahm. "Er wollte genau wissen, was in der Box passiert. Er hat sogar am Kommandostand seine Hilfe angeboten und war wirklich hilfreich für das Team."
Aerodynamik ist wieder Red-Bull-Terrain
Lauda hat die dominante Mannschaft der jüngeren Vergangenheit auf der Rechnung. Erst recht, wenn Renault neben der Zuverlässigkeit auch die Fahrbarkeit des 1,6-Liter-V6-Turbos optimiert hat und die volle Kraft auf die Straße bringt. "Das Auto sieht wirklich schnell aus, das beobachte ich dauernd. Aerodynamisch liegt es super", betont der Mercedes-Aufsichtsratschef. Mit Blick auf Strecken wie Barcelona, Silverstone oder Suzuka klingt das wie eine Warnung. Marc Surer sieht die Sache ähnlich, schließlich schlug nur Nico Rosberg den verbliebenen Red Bull. Der einzige Gegner, den sie offensichtlich haben, wenn sie fahren, heißt Mercedes", bilanziert der 'Sky'-Experte.
Dieser Konkurrent allerdings scheint zu Saisonbeginn enteilt. Der Silberpfeil dominierte die Szenerie nach Belieben, hatte weder mit den Pirelli-Reifen noch mit dem Spritverbrauch Probleme. Wenn überhaupt, dann war die Standfestigkeit die Achillesferse, wie das Beispiel Lewis Hamilton untermauerte. "Mercedes hat im Moment einen großen Vorsprung", räumt Horner ein. Ricciardo beschwört, dass er helfen will, den Rückstand aufzuholen und skizziert intensive Gespräche mit den Ingenieuren. Bei Red Bull soll sich auch der Ricciardo zeigen, der die Ärmel hochkrempelt.
Aufholjagden sind Neweys Spezialität
Gibt es vielleicht ein Déjà-vu? Schon in der Saison 2012 waren die Österreicher in Rückstand geraten. Damals war das Auspuff-Reglement massiv verändert worden und hatte dem Team einen großen Vorteil geraubt. Newey und Co. ließen die Bleistifte rauchen, am Ende holte Vettel doch die Krone. "Man kennt eigentlich das Red-Bull-Team aus der Vergangenheit, wenn es einmal nicht so klappt", überlegt Surer und erinnert an 2013: "Vergangenes Jahr haben sie auch nicht gewonnen und beim nächsten Rennen haben sie schon einen Doppelsieg herausgefahren." Und 2014 steht an diesem Punkt wieder Malaysia im Kalender.
Ricciardo erkennt einen weiteren Ansatzpunkt: "Nico (Rosberg; Anm. d. Red.) war der einzige, der einen wirklich guten Start hatte, der Rest sah ziemlich durchschnittlich aus." Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Mercedes oder eine Chance für die Konkurrenz, dem neuen Klassenprimus ein Schnippchen zu schlagen? Letztendlich gibt es auch noch den Faktor Ricciardo, der noch als Spitzenpilot dazulernen will. "Der Ruhm ist etwas, an das ich mich vielleicht gewöhnen muss." Gut, dass er schon weiß, worauf es bei Red Bull wirklich ankommt.