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Pirelli: Singapur fordert Mensch und Maschine
Das Nachtrennen der Formel 1 aus der Sicht von Reifenlieferant Pirelli: Paul Hembery erklärt, wie eine unter Flutlicht eine richtig schnelle Runde gelingt
(Motorsport-Total.com) - Am Wochenende wird auf dem Marina Bay Circuit in Singapur das einzige Nachtrennen der Formel-1-Saison gefahren. Der Zeitplan orientiert sich dabei am europäischen Zeitfenster, die Live-Übertragung im TV findet zur gewohnten Zeit statt. Für Teams und Fahrer vor Ort ist es jedoch ein ungewöhnliches Gefühl, wird das spektakuläre Rennen durch die Straßenschluchten der Metropole doch erst um 20 Uhr, also sechs Stunden später als gewöhnlich gestartet.
© Red Bull/Getty
Sebastian Vettel und seine Kollegen fahren 2012 zum fünften Mal in Singapur Zoom Download
In den Abendstunden sinken die Luft- und Asphalttemperaturen kontinuierlich, was dem Rennen eine zusätzliche Schwierigkeit verleiht. Konstant bleiben wird dagegen die hohe Luftfeuchtigkeit. Sie liegt bei 75 bis 90 Prozent.
Auf dem Straßenkurs spielt die Traktion die entscheidende Rolle, denn mit 23 Kurven weist die Strecke die zweithöchste Kurvenanzahl der Saison auf. Der Asphalt ist häufig uneben, holprig und rutschig. Durch Straßenmarkierungen und Gullydeckel wird der Grip noch weiter reduziert. Dennoch wirken beim Bremsen Fliehkräfte bis zu 4,3 g auf die Piloten und ihre Fahrzeuge. Die 61 Runden auf dem 5,073 Kilometer langen Kurs werden gegen den Uhrzeigersinn gefahren.
In der Vergangenheit dauerte das Rennen meist fast zwei Stunden, dem zeitlichen Limit für einen Grand Prix. Die Kombination von Hitze, hoher Luftfeuchtigkeit und den ständigen Erschütterungen durch den unebenen Asphalt machen den Grand Prix für Autos, Fahrer und Reifen zu einer echten Herausforderung.
Bereits die ersten drei Kurven mit ihrem doppelten Richtungswechsel nehmen die Slicks voll in die Pflicht. Die Piloten bremsen so spät wie möglich, lenken in die Kurve ein und beschleunigen fast zeitgleich wieder. Dadurch wirken zur selben Zeit sowohl enorme Längs- als auch Querkräfte auf die Reifen. Die steife Struktur der Pneus garantiert den Fahrern dabei optimale Präzision. Denn die Ideallinie ist auf den engen Straßen von Singapur sehr wichtig. Fahrfehler führen meist direkt zum Ausfall.
Auch deshalb ist Paul Hembery, Motorsport-Direktor bei Pirelli, so begeistert von diesem Rennplatz. "Ich persönlich liebe den Großen Preis von Singapur", sagt er. "Die nächtliche Show ist zauberhaft, die Atmosphäre ist großartig und es ist eine tolle Aufgabe für unsere Reifen. Das Rennen unter tausenden Scheinwerfern hat ungewöhnliche Rahmenbedingungen. Also müssen sich die Teams und ihre Fahrer die Strategie sehr gut überlegen. Schließlich entwickelt sich die Strecke anders als bei einem normalen Rennen am Tag."
"Eine weitere Rolle könnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Safety-Car spielen", meint der Brite und erklärt: "Bei jedem Grand Prix seit 2008 war es im Einsatz. Folglich müssen die Strategien flexibel angelegt sein, um im Zweifel schnell auf eine neue Situation reagieren zu können", sagt Hembery und fügt hinzu: "Obwohl die Luftfeuchtigkeit hoch ist, hat es in Singapur während des Rennens noch nie geregnet. Dieses Jahr wird es wohl auch so sein. Daher werden wir wohl ausschließlich die beiden weichsten Slicks unserer Formel-1-Kollektion sehen."
"Im vergangenen Jahr gewann Sebastian Vettel mit einer Dreistopp-Strategie, aber Lewis Hamilton war trotz vier Stopps und einer Durchfahrstrafe Fünfter. Da die Durchschnittsgeschwindigkeit nicht sehr hoch ist, sollte der Reifenverschleiß kein Thema sein - sofern die Piloten durchdrehende Räder verhindern. Denn dadurch könnten die Slicks überhitzen", erklärt Hembery.
Das ist keine einfache Aufgabe, wie Pirelli-Testfahrer Jaime Alguersuari aus eigener Erfahrung weiß. "Die hohen Temperaturen und vor allem die Luftfeuchtigkeit in Singapur verlangen Mensch und Maschine einiges ab", sagt der Spanier. "Der weiche und der superweiche Slick sind eine gute Wahl. Nach den letzten Rennen auf den härteren Mischungen ist es schön, wieder einmal auf den weicheren Pneus unterwegs zu sein."
"Das Fahrgefühl ähnelt ein wenig dem in Monte Carlo, aber es macht mehr Spaß, da es mehr Überholmöglichkeiten gibt", erklärt Alguersuari. "Ich denke nicht, dass man hier mit einer Einstopp-Strategie durchkommen kann, aber ein Rennen mit zwei Stopps sollte möglich sein. Der Reifenverschleiß ist recht niedrig, da in den recht langsam gefahrenen Kurven nur wenig Energie durch die Pneus geleitet wird."
Noch einige technische Daten: Die Tanks der Autos sind beim Start so voll wie bei keinem anderen Rennen in diesem Jahr. Das beeinflusst zu Beginn des Rennens den Reifenabrieb. Der Spritverbrauch pro Kilometer ist bei diesem langen Grand Prix der höchste des Jahres, ein Tribut an die kurvige Charakteristik der Strecke. Statistisch gesehen wird nur eine halbe Runde mit Vollgas gefahren, die restliche Distanz verlangt viele Bremsmanöver.
Eine der härtesten Kurven für die Reifen ist die Singapore Sling am Ende der längsten Geraden der Strecke. Da es keine schnelle Kurve ist, nutzen die Fahrer die Randsteine voll aus, um die schnellste Linie zu halten. Dabei treffen die Reifen mit rund 130 km/h auf die Kanten der Randsteine. Ein wichtiger Aspekt für die Rennstrategie ist die Dauer des Boxenstopps. In Singapur geht dabei viel Zeit verloren. Die Gründe sind das strengere Tempolimit (60 km/h) in der Boxengasse sowie die Länge der Boxengasse (404 Meter).