"Very british": Hamilton im Regen voran
Viele Dreher, ein bisschen Schrott und ein "Local Hero" an der Spitze: Lewis Hamilton fährt im Regen von Silverstone Freitags-Bestzeit vor Kobayashi und Schumacher
(Motorsport-Total.com) - Typisches Inselwetter in Silverstone, nach dem ersten auch im zweiten Freien Training: 45 Minuten lang konnte aufgrund des strömenden Regens kaum gefahren werden - und als Kamui Kobayashi (Sauber) dann endlich die Starre der Formel 1 durchbrach, reagierte das geduldige britische Publikum mit der Welle "La Ola" auf den gut besetzten Tribünen.
Dass am Ende des Freitags beim Grand Prix von Großbritannien mit Lewis Hamilton auch noch ein "Local Hero" die Nase vorne hatte, schmeckte den Fans natürlich besonders gut. Aber Experte Gary Anderson warnt sie davor, jetzt schon in Scharen ins Pub zu strömen und auf den Sieg anzustoßen, denn: "Wir haben heute sehr wenig gelernt. Es war für alle sehr schwierig. Die besten Zeiten wurden auf Regenreifen gefahren. Am Sonntag soll es auch regnen, also hat es zumindest was gebracht."
Kobayashi testet neues Sauber-Paket
In der Tat soll der Regen morgen etwas weniger intensiv daherkommen, am Sonntag dann aber wieder zunehmen - sofern man der Wettervorhersage trauen kann. Hamilton wird's recht sein, denn der McLaren-Pilot meisterte seinen Heimatkurs in 1:56.345 Minuten und sicherte sich damit die Tages-Bestzeit, 0,129 Sekunden vor Kobayashi, der mit 19 Runden am Vor- und 16 am Nachmittag der fleißigste Pilot beider Sessions war.
Das hatte einen guten Grund, denn Sauber war eines der wenigen Teams, das trotz des Regens versuchte, sich konsequent durch das geplante Testprogramm zu ackern. Neu sind für Silverstone unter anderem die Bremsbelüftungen, die Motorabdeckung sowie Unterboden und Auspuff. Grund genug für Hamilton, die Regenpause zu nutzen, um durch die Boxengasse zu spazieren und die Updates der Konkurrenz genau unter die Lupe zu nehmen.
Michael Schumacher (Mercedes/+0,200) wurde Dritter - im zweiten Freien Training vor seinem Teamkollegen Nico Rosberg, in der Tages-Gesamtwertung vor Romain Grosjean (Lotus), der am Vormittag Bestzeit erzielt hatte und nach der Mittagspause nur noch eine einzige Runde drehte. Auch Daniel Ricciardo (Toro Rosso), Mark Webber (Red Bull) und Pedro de la Rosa (HRT) kamen in der zweiten Session nicht in die Wertung.
Reifenmangel strapaziert Geduld der Fans
Dass überhaupt 20 von 24 Fahrern eine Zeit setzen würden, schien während der ersten Hälfte unwahrscheinlich. Hauptursache dafür ist das Reifenreglement: "Wir haben insgesamt nur drei Sätze Extrem-Regenreifen zur Verfügung. Das ist das Problem", erklärt der stellvertretende Force-India-Teamchef Robert Fernley gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Wir können es uns nicht leisten, im Hinblick auf ein nasses Qualifying oder Rennen Regenreifen zu verlieren."
Zudem waren die Bedingungen anfangs absolut am Limit, sodass es kaum Sinn gemacht hätte, einen Materialschaden zu riskieren: "Das Auto ist fast nur geschwommen und ich war nie zu 100 Prozent auf dem Gas vor lauter Aquaplaning", schilderte Timo Glock (21./Marussia/+4,475) nach seinem ersten Run. "Wenn es am Sonntag so wäre, ist die Sicht gleich null. Da müssten wir das halbe oder sogar das ganze Rennen hinter dem Safety-Car fahren."
Ein bisschen Schrott gab es dann übrigens doch, denn Bruno Senna demolierte seinen Williams ausgerechnet in der schnellen Becketts-Kombination und sorgte damit für eine Unterbrechung der Session. Und als die 90 Minuten schon abgelaufen waren, kam Fernando Alonso (14./Ferrari/+2,670) ohne Frontflügel zurück an die Box. "Da kann der Fahrer gar nichts dafür", nimmt ihn Mercedes-Sportchef Norbert Haug in Schutz. "Aquaplaning - und plötzlich ist das Auto weg."
Ferrari übt für den Reifenpoker
Ferrari hatte die beiden Autos zuvor mit unterschiedlichen Reifen auf die Strecke geschickt, um den Punkt genau zu orten, an dem man im Rennen von Full-Wet auf Intermediate wechseln sollte. Solche Erkenntnisse waren heute definitiv wichtiger als das Ergebnis. So hat Ricciardos guter sechster Platz im Tagesklassement ebenso geringe Bedeutung wie Platz sieben von "Dreherkönig" Sergio Perez oder Platz elf von Heikki Kovalainen (Caterham/+2,235).
Auch bei Sebastian Vettel, 13. am Nachmittag und 16. gesamt, müssen noch keine Alarmglocken schrillen: "Es war mit Sicherheit nicht so, wie wir uns das gewünscht hatten", räumt er ein, aber: "Wenn halt so viel Wasser auf der Straße ist, können wir nicht fahren. Da ist man mehr Passagier, als dass man selbst fährt. Leider. Gerade die erste Kurve ist ziemlich schlimm. Auch auf der Gegengerade hat es ziemlich viel Wasser. Eigentlich könnte ich fast jede Kurve nennen."
Einen Sonderapplaus verdienen sich die ohnehin beliebten britischen Fans, die sich während der langen Wartezeit zu Beginn trotz des Regens nicht zu einem Pfeifkonzert hinreißen ließen, sondern geduldig warteten und Kobayashi dann frenetisch feierten, als er als Erster auf die Strecke ging. Umso bedauerlicher, dass es außerhalb der Strecke ein Verkehrschaos gab und das Wiesenparken ähnlich wie im Jahr 2000 zu einer Schlammschlacht wird...