Marussia: Neustart mit Hindernissen
Praktisch ohne Testkilometer und wieder einmal unter neuem Namen startet Marussia in seine dritte Formel-1-Saison - Timo Glock hofft dennoch auf einen Schritt nach vorne
(Motorsport-Total.com) - Das einzig konstante beim Team von Timo Glock ist die Veränderung - zumindest was den Teamnamen betrifft. Das ehemalige Manor-Team startet auch in seiner dritten Formel-1-Saison wieder unter einem neuen Namen. Nach Virgin landete man über Marussia-Virgin nun bei Marussia und tritt unter russischer Bewerbung an. Der Teamsitz befindet sich jedoch weiterhin im britischen Banbury, sodass nur auf dem Papier von einem russischen Formel-1-Team gesprochen werden kann.
Auch in technischer Sicht stellt die Saison 2012 einen Neuanfang dar. Nach der Trennung von Designer Nick Wirth, der die ersten beiden Autos mittels CFD-Simulation am Computer ohne Windkanal entworfen hatte, wurde das Ingenieurs-Team unter der Führung des ehemaligen Renault-Technikchefs Pat Symonds neu aufgestellt. Symonds tritt wegen seiner Verwicklung in die sogenannte "Crashgate-Affäre" offiziell nur als Berater auf, ist aber de facto fest in die Arbeitsprozesse in der Fabrik eingebunden.
Die Umstrukturierungen hatten jedoch ihren Preis. Vor allem wegen der notwendigen Kalibrierung des Windkanals verzögerte sich die Entwicklung des neuen MR01. Erst zu den letzten Testfahrten Anfang März in Barcelona war der Einsatz des neuen Autos geplant. Da einer der vorgeschriebenen Crash-Tests nicht bestanden wurde, musste das Team den Test absagen. So beschränkte sich die Testarbeit des Winters auf wenige Tage mit dem Auto des Jahres 2011. Dabei stand vor allem das Kennenlernen der neuen Reifen im Mittelpunkt, außerdem sollte Neuzugang Charles Pic Gelegenheit zum Training im Formel 1 bekommen.
Glock: Es war frustrierend
Der Rollout des neuen Autos erfolgte erst vor einer Woche in Silverstone. Timo Glock war es vorbehalten, die ersten Runden mit dem MR01 zu fahren. Im Rahmen der erlaubten Filmtage absolvierte Marussia einige Kilometer in Silverstone, da man dabei jedoch nur die Demonstrationsreifen von Pirelli einsetzten darf, kann nicht von einem ernsthaften Test gesprochen werden.
"Die Bedingungen waren zwar nicht aussagekräftig, aber nach der langen Wartezeit war ich froh, endlich im neuen Auto zu sitzen", lautet daher das Fazit von Glock. Der Deutsche war einer der am wenigsten beschäftigten Formel-1-Fahrer dieses Winters. Lediglich 500 Testkilometer in Barcelona und die wenigen Runden im Rahmen des Shakedowns stehen bei ihm seit dem Saisonfinale in Sao Paulo auf dem Tacho.
"Es war ein frustrierender Winter, wir konnten nichts anderes tun, als uns abseits der Strecke bestmöglich vorzubereiten. Ich war oft beim Team im Banbury und im Simulator. Außerdem habe ich an meiner Fitness gearbeitet und härter trainiert als je zuvor", sagt Glock. "Melbourne ist eine Reise mit unbekanntem Ziel, ich werde beim ersten Freien Training sicherlich aufgeregter sein als sonst. Natürlich wäre ich gerne besser vorbereitet dorthin gereist, aber jetzt müssen wir das Beste aus der Situation machen."
Schwieriges Formel-1-Debüt für Pic
Noch schwieriger stellt sich die Situation für seinen neuen Teamkollegen dar. Pic, der unter anderem vom ehemaligen französischen Formel-1-Fahrer Olivier Panis gemanagt wird und nicht zuletzt dank einiger Sponsoren-Millionen Jerome d'Ambrosio aus dem Cockpit verdrängen konnte, geht praktisch ohne jede Fahrerfahrung im neuen Auto in sein erstes Grand-Prix-Wochenende. Auch Melbourne ist für den Franzosen Neuland.
"Es ist mein erster Besuch in Melbourne, ich habe viel Gutes über die Stadt und die Strecke gehört. Ich bin Albert Park zwar ein paar Mal im Simulator gefahren, aber jetzt bin ich gespannt auf den Eindruck in der Realität", sagt Pic. Der Aufsteiger aus der GP2, wo er im Vorjahr drei Rennen gewann, fühlt sich dennoch gut gewappnet für sein Formel-1-Debüt. "Ich bereit. Ich habe hart an mir und mit dem Team gearbeitet und bin mental gut vorbereitet."
Dennoch hätte er sich mehr Kilometer bei den Tests gewünscht: "Natürlich hätte ich vor meinem ersten Grand Prix gerne mehr Zeit auf der Strecke verbracht, aber wir haben erfolgreich im Simulator gearbeitet. Ich freue mich darauf, die Routine eines Rennwochenendes zu erleben und eine Beziehung zu meinen Ingenieuren aufzubauen. Das Team hat mich bisher gut unterstützt, ich kann mich voll auf sie verlassen", so der 22-Jährige.
Gelingt ein Schritt nach vorne?
Teamchef John Booth muss anerkennen, dass der Winter mit all seinen Verzögerungen und Pannen eine Belastungsprobe war: "Es war eine schwierige Zeit und ein echter Härtetest für das Team. Wir wussten, dass die ersten Jahre schwierig würden, aber ich habe keine Zweifel an den Fähigkeiten unserer Mitarbeiter und bin daher zuversichtlich, dass wir in Melbourne besser aussehen werden als erwartet."
Booth ist jedoch Realist und rechnet daher nicht mit einem problemlosen Saisonstart: "Es wird eine Herausforderung, denn wir sind mit dem MR01 nicht so viel gefahren wie erhofft. Daher wird es einige Zeit dauern, bis wir die Kinderkrankheiten, unter denen ein neues Auto leidet, beseitigt haben. Der Rollout macht uns zuversichtlich, allerdings wird sich erst auf den Rennreifen das wahre Potenzial des Autos zeigen. Aber wir bewegen uns in die richtige Richtung. Jetzt geht es darum, in den ersten Rennen bestmögliche Arbeit abzuliefern."
Auch Glock hat nach zwei schwierigen Jahren den Glauben an eine Steigerung noch nicht verloren. "Ich hoffe, dass wir im Vergleich zu den vergangenen beiden Saisons einen Schritt nach vorne gemacht haben." Wie groß dieser Schritt sein wird, muss sich erst zeigen. Ob das Team den Anschluss an Caterham schaffen wird, ist derzeit mehr als fraglich. Im Gegensatz zu Caterham, die ihr neues Auto ausführlich testen konnten, verzichtet Marussia 2012 auf den Einsatz von KERS.
Dennoch dürfte Marussia langfristig von der technischen Kooperation mit McLaren profitieren. In einem Punkt wird die Zusammenarbeit der beiden Teams schon jetzt offensichtlich. Der MP4-27 und der MR01 sind die einzigen Autos des Jahrgangs 2012, die nicht über die sonst übliche Höckernase verfügen.