Whitmarsh: "Ohne Red Bull wären wir die große Nummer"
McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh blickt auf das Rennen in Brasilien und zieht eine gemischte Saisonbilanz - Die Entwicklung für 2012 sieht gut aus
(Motorsport-Total.com) - Beim Saisonfinale in Brasilien hatte McLaren keine Chance gegen Red Bull. Mark Webber und Sebastian Vettel fuhren den Chrompfeilen vom Start weg auf und davon. Jenson Button kämpfte Fernando Alonso (Ferrari) nieder und wurde Dritter und somit Vizeweltmeister. Lewis Hamilton lag leicht hinter seinem Teamkollegen zurück, hatte aber technische Probleme. In Runde 46 rollte der Brite ohne Vortrieb aus. Das Getriebe war defekt. "Es gab ein Ölleck beim Getriebe", bestätigt Teamchef Martin Whitmarsh.
"Wir wussten ab Runde zehn, dass seine Chancen ins Ziel zu kommen, sehr minimal waren. Wir entschieden, dass es kein Sicherheitsproblem war, er würde nur irgendwann den Vortrieb verlieren. Er hat dann den siebten Gang verloren. Wir haben Lewis aber gesagt, dass er weiterfahren soll, denn nur Gott weiß, was alles passieren würde. Wir waren uns aber zu 99 Prozent sicher, dass er irgendwann stehen bleiben würde."
"Ohne siebten Gang hatte er es hinter Massa nicht einfach. Es war irgendwo Öl am Boden, denn normalerweise kann man einen Getriebeschaden am Öl im Auspuff riechen. Es war ein Ölleck", lautet die Erklärung des Teamchefs und setzt mit der Analyse des Rennens fort: "Es war kein episches Wochenende für uns. Wir hätten uns etwas Regen gewünscht."
"Es ist eine sehr buckelige Strecke und war haben hier seit einigen Jahren zu kämpfen gehabt. Es war aber nicht so schlecht. Jenson ist ein gutes Rennen gefahren. Wir waren auf der Prime-Mischung nicht so schlecht und sind mit einer Strategie gefahren, die uns vor Ferrari gebracht hat. Jenson ist auch sehr gut gefahren. Im Vergleich zu Fernando hat er sich auf den harten Reifen sicher wohler gefühlt."
Whitmarsh blickt schon nach Australien
McLaren ist in der Fahrer- und in der Konstrukteurswertung Zweiter geworden. Wie fällt das Saisonfazit von Whitmarsh aus? "Gemischte Gefühle. Ich blicke schon nach Australien. In der Fabrik wird viel gearbeitet, hoffentlich geht es in die richtige Richtung. Was die abgelaufene Saison betrifft, gab es einige spezielle Momente. Es gab Höhen, große Siege und viele Podestplätze. Wir sind Zweiter bei den Konstrukteuren geworden, was nicht unser Ziel war."
"Jenson verdient sich den Vizeweltmeistertitel, so wie er gefahren ist. Er ist immer cool, versteht was im Rennen passiert und fährt fantastisch. Für Lewis war es für seine Standards ein schwieriges Jahr. Wenn man ihn nach dem Rennen gesehen hat, dann war er mental schon lange nicht mehr so stark. Wenn man in seine Augen blickt und sich seine Körperhaltung ansieht, dann ist er schon viel besser aufgestellt. Er reflektiert viel besser, was im Rennen passiert ist."
Wie Whitmarsh gesagt hat, liegt die volle Konzentration auf der kommenden Saison. "Vor uns steht jetzt ein Winter, in dem wir uns aufbauen wollen. Wir gehen mit zwei Fahrern in die neue Saison, die beide Weltmeister werden wollen. Dazu können wir ein gutes Auto bauen. Wir können das tun und versuchen es zu schaffen." Im vergangenen Winter hatte McLaren große Probleme und war nicht konkurrenzfähig. Die Voreichen scheinen diesmal besser zu sein.
McLaren macht Fortschritte
"Ich war letzte Woche in einem Entwicklungsmeeting und wir haben große Fortschritte gemacht", berichtet Whitmarsh von den Abläufen im Teamsitz Paragon. "Woche für Woche macht man entweder große Fortschritte, oder es war eine ruhige Woche. Während einer Saison sieht man die Entwicklungen der Konkurrenz und hat Anhaltspunkte. Im Winter ist dagegen jeder alleine."
"Man setzt sich eigene Ziele, und wenn man sie erreicht, dann ist man hocherfreut. Es gibt aber Jahre, in denen man nicht sehr zuversichtlich ist, und es wird trotzdem alles gut. Dann gibt es wieder Jahre, in denen man seine Ziele erreicht, aber dann erkennt man, dass jemand anderes die Ziele noch höher gesetzt hat. Im Moment hatten wir eine gute Woche und ich bin zuversichtlich. So müssen wir weitermachen. Das Team arbeitet sehr gut und die Fahrer sind in guter Form."
Whitmarsh überwacht den Entwicklungsprozess und ist in wichtige Entscheidungen eingebunden. Dennoch ist er kein Techniker. Er muss auch abwarten, was seine Ingenieure entwickeln. Die Fehler vom vergangenen Jahr will man nicht wiederholen, auch wenn das nie ausgeschlossen ist. "Wir hatten einen schockierenden Winter. Es war der schlechteste Winter, den wir je gehabt haben. Bevor wir den Australien Grand Prix beendet hatten, waren wir nicht konkurrenzfähig und hatte keine einzige Renndistanz absolviert. So sollte man eine Saison nicht starten."
"Wir haben einige Entscheidungen getroffen und hoffentlich daraus etwas gelernt. Meiner Meinung nach, hatten wir damals keine produktiven Entscheidungen getroffen. Jetzt kann man das natürlich leicht sagen, aber wir haben sehr clevere Leute. Wenn ich zu ihnen sage, dass sie nicht riskant und innovativ sein sollen, dann wäre es falsch. Wir sind innovativ und wollen Risiken nehmen, darum geht es auch in diesem Sport."
"Es ist eine interessante Balance. Im Moment fühlen wir uns zuversichtlich. Wir sind die Saison hinten gestartet und haben uns so stark verbessert, wie sonst niemand. Die auspuffangeströmten Diffusoren werden verschwinden, aber trotzdem werden die Auspuffgase weiterhin einen Einfluss haben. Die Auswirkungen werden aber viel kleiner sein. Es wird sicher etwas Neues geben und ich wüsste gerne was."
"Ohne Red Bull wären wir die große Nummer gewesen. Red Bull war sehr stark. Wir haben sechs Rennen gewonnen, Ferrari eines und sie den Rest. Sie haben einen sehr guten Job gemacht. Es kann sich aber alles rasch ändern. Wir haben auch schon zwei Weltmeisterschaften in Folge gewonnen und dann die Form verloren. Wir müssen attackieren und zurückschlagen."
Whitmarsh sieht KERS, DRS & Pirelli positiv
In der Saison 2011 gab es mit Pirelli, KERS und DRS drei neue Komponenten, die die Rennen geprägt haben. Whitmarsh stellt der italienischen Reifenfirma ein gutes Zeugnis aus. "Sie haben sehr viel zur Show beigetragen. Zu Beginn haben sie uns aber auch einige Kopfschmerzen bereitet. Beim Verschleiß und der Haltbarkeit sind sie über das Jahr besser geworden."
"Es war eine große Herausforderung, die Reifen so zu bauen. Die Fahrer fühlen sich bei hohem Verschleiß nie wohl, aber ich finde, sie haben viel zur Saison beigetragen. Natürlich haben auch KERS und DRS eine Rolle gespielt, aber man muss daran arbeiten, ein Spektakel und eine Show zu haben."
Auch DRS findet der Brite positiv. In Brasilien gab es beim Überholmanöver von Button an Alonso aus McLaren-Sicht einen weiteren Beweis, dass das System richtig ist. "Jenson ist mit Hilfe von DRS an Fernando vorbeigekommen. Andernfalls hätte es ein schwieriges Rennen sein können. DRS hat in manchen Situationen geholfen. Einige Leute sagen, dass Überholmanöver zu einfach sind, aber es hat einige Rennen gerettet, die normalerweise recht langweilig waren und auch diesmal gewesen wären, weil man nicht überholen kann."
"Ich finde, wir hatten in diesem Jahr einige tolle Rennen. Das Vorjahr war natürlich außergewöhnlich, da mehrere Fahrer die Chance auf den Titel hatten. Diesmal war es schon vier Rennen vor dem Ende entschieden. Das war natürlich enttäuschend, aber es gab fantastische Rennen. Ich bin mir sicher, dass die Rennen nächstes Jahr auch toll werden."
Während Button einen langfristigen Vertrag bei McLaren unterschrieben hat, ist Hamilton noch nicht für lange Zeit gebunden. Whitmarsh macht sich darüber aber keine Sorgen. "Lewis ist an einem guten Platz. Er liebt das Team und wir kennen ihn gut. Wir setzen kein Zeitlimit. Wir werden es nächstes Jahr sehen."