Premiere in Indien: Massa vor Vettel
Mit "Flatter-Frontflügel" zur ersten Indien-Bestzeit: Ferrari-Pilot Felipe Massa zum Auftakt in Noida schneller als die Red Bulls und McLarens
(Motorsport-Total.com) - Generalprobe geglückt: Nach einigen Pannen am Medien-Donnerstag (inklusive Stromausfall während der offiziellen FIA-Pressekonferenz) verlief der erste Tag auf der Rennstrecke weitgehend reibungslos. Zwar musste die Session am Vormittag wegen eines streunenden Hundes für fünf Minuten unterbrochen werden, aber im zweiten Freien Training zum Grand Prix von Indien gab es keine Probleme mehr.
So lag der Fokus komplett auf dem Sportlichen, sehr zur Freude der indischen Fans auf den Tribünen. Bestzeit fuhr überraschend Felipe Massa: Der Ferrari-Pilot meisterte den 5,141 Kilometer langen Buddh-International-Circuit in Noida nahe der Hauptstadt Neu-Delhi in 1:25.706 Minuten und unterbot damit die Vormittags-Bestzeit von Lewis Hamilton (McLaren) um mehr als eine Sekunde. Das lag nicht zuletzt an der mit der Zeit immer griffiger werdenden Ideallinie.
Flatternder Frontflügel am Ferrari
Massa sah damit zum ersten Mal seit Q1 auf dem Nürburgring wieder die Eins für sich aufleuchten, obwohl er mit einem stark vibrierenden "Flatter-Frontflügel" unterwegs war. "Ich denke, das ist ein Experimentalflügel", vermutet 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. Weniger gut lief es für den höher eingeschätzten Teamkollegen des Brasilianers, Fernando Alonso, der nach seinem Motorschaden am Vormittag Dritter wurde.
Alonso drehte zwar 34 Runden (eine mehr als Massa), hatte unterm Strich aber 0,224 Sekunden Rückstand. Allerdings wäre er 20 Minuten vor Schluss drauf und dran gewesen, in Führung zu gehen, als er nach zwei von drei Sektoren noch drei Zehntelsekunden Vorsprung auf den zu jenem Zeitpunkt führenden Sebastian Vettel (Red Bull) hatte, ehe er auf Michael Schumacher (Mercedes) auflief. "Es geht, er kann Vettel schlagen", sieht Surer Ferrari als ernstzunehmenden Gegner für Red Bull.
"Wenn es stimmt, was wir im McLaren-Funk gehört haben, nämlich dass Red Bull ein bisschen weniger Sprit drin hat, dann kann man sagen, dass einiges für ein ziemlich enges Rennen spricht", interpretiert der Experte die heutigen Zeiten. Leicht wird's für Weltmeister Vettel jedenfalls nicht: Obwohl er im letzten Sektor um drei Zehntelsekunden schneller war als Massa, fehlten auf die gesamte Runde gesehen doch 88 Tausendstelsekunden.
McLaren kann Bestzeit nicht wiederholen
Zudem erlebte er am Ende eine Schrecksekunde, als er beim Herausfahren aus der Box zwar Schumachers Mercedes sah, aber nicht Adrian Sutil (Force India) - und beinahe mit seinem Landsmann kollidiert wäre. Surer: "Kann passieren. Da hätte ihm die Box Bescheid geben müssen." Vettels Teamkollege Mark Webber (+0,794) wurde heute Fünfter, im McLaren-Sandwich zwischen Hamilton (+0,748) und Jenson Button (+1,008).
Sutil war als Siebter mit mehr als eineinhalb Sekunden Rückstand erster Verfolger der drei Topteams, doch von Vijay Mallyas im Jahr 2008 formuliertem Traumziel, beim ersten Grand Prix von Indien auf dem Podium zu landen, ist Force India dennoch weit entfernt. Ein solides Ergebnis könnte aber allemal drin sein, denn auch Paul di Resta (+2,147), der seinen Vertrag für 2012 im Gegensatz zu Sutil schon in der Tasche hat, landete als Neunter in den Top 10.
Guter Achter wurde nach langer Zurückhaltung Bruno Senna (+1,792). Zwischendurch ärgerte sich der Renault-Pilot über einen im Weg stehenden HRT so sehr, dass er ein Handzeichen gab, sich anschließend beim Überholen verbremste und den Nachzügler wieder durchlassen musste. "Vielleicht sollte er sich mehr aufs Fahren konzentrieren als aufs Schimpfen", grinst Surer, der aber generell festhält: "Die Strecke verleitet zu Fehlern."
Toro Rosso mit Top-10-Potenzial
Stark präsentierte sich Sebastien Buemi mit dem immer besser funktionierenden Unterboden von Toro Rosso: Zwischenzeitlich sogar in Führung, landete der Schweizer am Ende auf Rang zehn, nur ein paar Tausendstelsekunden hinter di Resta - für Toro Rosso ein gutes Zeichen im WM-Kampf gegen Force India und vor allem Sauber. "Ich habe das Gefühl, dass Toro Rosso von den drei Teams die größten Fortschritte gemacht hat", gratuliert Buemis Landsmann Surer.
Nicht mit dieser Gruppe mithalten kann einmal mehr das Williams-Team, das mit drei Sekunden Rückstand auf 15 und 16 landete. Da half es auch nicht, dass Pastor Maldonado (16.) im Kiesbett steckte: "Ich habe das Auto in Kurve acht/neun verloren", gibt er zu. "Es ist dort sehr rutschig. In der Runde davor kam Alonso an der gleichen Stelle genau vor mir von der Strecke ab. Es wird besser, aber jede Runde ist komplett neu. Die Strecke verändert sich ständig."
Mercedes mit Rennvorbereitungen
Praktisch nicht existent war im zweiten Freien Training Mercedes: Nico Rosberg (+5,392) wurde 19., Michael Schumacher (+6,098) 21. Letzterer absolvierte nach stockendem Beginn immerhin noch 28 Runden, stand aber lange mit Verdacht auf technische Probleme an der Box. Die beiden Silberpfeile konnten somit ihre Zeiten aus dem Vormittagstraining nicht verbessern - vermutlich, weil sie sich ausschließlich auf das Rennen vorbereitet haben.
Bei den drei neuen Teams gab es abgesehen vom Crash von Jerome D'Ambrosio (22./Marussia-Virgin/+6,887) nicht viel Aufregendes zu vermelden. "Ich habe in Kurve elf den Randstein etwas zu hart getroffen", gesteht der Belgier. "Das führte zu Übersteuern und ich flog in die Mauer ab." D'Ambrosio musste von da an zuschauen und scheiterte am (heute nur virtuellen) 107-Prozent-Cut - übrigens genau wie die beiden HRT-Piloten.
Was nach dem ersten Tag in Indien bleibt, sind gemischte Eindrücke: einerseits die Smog-Wolke über der Strecke, das organisatorische Chaos bei der Anfahrt und im Paddock, andererseits aber auch der schöne Kurs, der bei den Fahrern sehr gut ankommt und Architekt Hermann Tilke zurecht viel Lob eingebracht hat. Wer Favorit auf den Sieg ist, ist nach 180 Minuten Freies Training schwierig einzuschätzen, aber Red Bull, Ferrari und McLaren sind wie so oft am besten aufgestellt.