Vettel bezwingt kämpferischen "Torero" Hamilton
Vierter Sieg im fünften Rennen: Sebastian Vettel wehrt in Barcelona alle Angriffe von Lewis Hamilton ab - Fernando Alonso nach Führung nur Fünfter
(Motorsport-Total.com) - So hart musste Sebastian Vettel diese Saison noch nie für einen Sieg kämpfen: Red Bull konnte die im Qualifying in Barcelona gezeigte Dominanz im heutigen Grand Prix von Spanien nicht wiederholen, wurde von Lewis Hamilton (McLaren) stark gefordert. Doch letztendlich reichte es für den überlegenen WM-Leader Vettel zum vierten Triumph im fünften Rennen.
In den letzten 25 von 66 Runden musste der Seriensieger seine Führung aber mit Händen und Füßen verteidigen, denn Hamilton und McLaren stellten sich einmal mehr als echte Racer heraus, setzten auf die beste Strategie und hatten am Ende nur 0,6 Sekunden Rückstand. "McLaren hat es uns nicht leicht gemacht", zieht Vettel den Hut vor seinen Herausforderern. "Umso mehr freue ich mich. Ich bin sehr glücklich, ein tolles Ergebnis."
Vettels KERS wieder defektanfällig
Die elektrisierende Finalphase begann schon in der 43. Runde, also noch vor dem letzten Boxenstopp, als Hamilton seinen Rückstand auf 1,2 Sekunden verkürzte, Tendenz weiter fallend. Plötzlich kam richtig Dramatik ins Rennen, als Vettels Renningenieur am Funk meldete: "Verstelle KERS um zwei Klicks und entlade es nicht!" Wenig später funkte McLaren an Hamilton: "Wir glauben, dass Vettel kein KERS mehr hat."
Der spätere Sieger erinnert sich an die Situation: "Auf einmal hörte ich: 'Bitte kein KERS benutzen!' Das war natürlich nicht die Nachricht, auf die ich gehofft hatte." Doch dann funktionierte sein KERS wieder, was bei der Verteidigung der Position gegen Hamilton bei Start und Ziel entscheidend war. Hamilton war zwar am Ende der langen Gerade stets dran, aus der letzten Kurve heraus konnte er aber nicht nahe genug folgen, um eine ernsthafte Attacke zu reiten.
"Lewis war sehr stark. Ich wusste, dass es ganz eng wird", sagt Vettel, der beinahe ein Deja-vu gehabt hätte: "Vor den letzten Runden kam es mir vor wie in China, als meine Reifen abbauten. Ich betete nur, dass es Lewis genauso geht. Leider war er immer im DRS-Abstand und er war am Ende der Gerade jedes Mal dran. In den letzten zwei Runden habe ich den letzten Sektor zum Glück gut erwischt, sodass es gepasst hat."
Hamilton war in den Runden 56 und 57 am knappsten hinter Vettel, gegen Ende hin schien die Luft aber etwas verloren zu gehen. "Es war unglaublich schwierig, Sebastian zu überholen", seufzt der McLaren-Pilot. "In den schnellen Kurven, Turn drei und Turn neun sowie in der Zielkurve, waren sie einfach überlegen. Ich habe trotzdem alles gegeben, aber es hat nicht ganz gereicht." Dennoch bilanziert er zufrieden: "Heute können wir nicht enttäuscht sein."
McLaren-Kompliment an Vettel
Zu stark die Leistung von Vettel, als dass man sich einen Vorwurf machen müsste, findet McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh: "Sebastian fährt wahnsinnig gut. Es wäre nett, wenn er dann und wann mal einen Fehler machen würde, aber den Gefallen tut er uns leider nicht." Sein Red-Bull-Kollege Christian Horner ergänzt: "Sebastian hat gesagt, dass er es genossen hat - wir am Kommandostand weniger, um ehrlich zu sein! McLaren hat uns heute enorm gefordert."
Dabei hatte es nach der ersten Runde noch nicht danach ausgesehen, als würde das Duell um den Sieg am Ende Vettel gegen Hamilton lauten. Denn unter frenetischem Jubel der spanischen Fans erwischte Fernando Alonso einen Superstart: Der Ferrari-Pilot zuckte erst nach links, dann nach rechts, tauschte mit Vettel die Linie - und quetschte sich beim Anbremsen der ersten Kurve an drei Gegnern vorbei in Führung!
"Ich hatte einen guten Start, aber habe keinen Plan, wo Fernando auf einmal herkam", staunt Vettel nicht schlecht. Der Red-Bull-Pilot hatte den schlechteren Topspeed als der Ferrari und "kam nicht nahe genug, um ihn mit DRS überholen zu können". Also reagierte sein Kommandostand und führte schon in der neunten Runde den ersten von vier Boxenstopps durch. Ferrari antwortete darauf nur eine Runde später und konnte die Führung zunächst verteidigen.
Denn zwar schob sich Vettel mit frischen Pirelli-Options kompromisslos binnen einer Runde an Jenson Button (McLaren) und Felipe Massa (vorbei), hinter denen er auf die Strecke gekommen war, aber er verlor bei diesen Manövern genug Zeit, um Alonso nicht überrumpeln zu können. In Runde 18 dann der zweite Versuch: Vettel kam an die Box, fuhr mit neuen Reifen im Mittelsektor um eine Sekunde schneller als Alonso und ging endlich in Führung.
Euphorie der spanischen Fans erstummt
Auf den Tribünen wurde es von dem Zeitpunkt an immer leiser, denn Alonso verlor eine Position nach der anderen und kam schlussendlich nur als überrundeter Fünfter ins Ziel. Bei Ferrari war die Enttäuschung anschließend groß: "Gestern habe ich gesagt, dass ich nichts tu verlieren habe und mehr riskieren kann. Der Start war gut, aber wir waren nicht schnell genug. Sie haben uns einer nach dem anderen überholt", stellt Alonso nüchtern fest.
Indes hatte Spitzenreiter Vettel endlich freie Fahrt, um den Sekunden-Vorsprung aus dem Qualifying ausspielen zu können. Doch statt eines Solomarschs musste der 23-Jährige hart kämpfen. Wo die Red-Bull-Pace über Nacht hingekommen ist, dürfte sich auch Polesetter Mark Webber gefragt haben, der im Rennen keine ernsthafte Rolle spielte und mit 47,9 Sekunden Rückstand Vierter wurde. "Mark hat hinter Alonso viel Zeit verloren", nimmt ihn Teamchef Horner in Schutz.
Webber fiel am Start vom ersten auf den dritten Platz zurück und wurde beim ersten Boxenstopp auch noch von Hamilton überholt. Gegen Rennende hieß sein Gegner dann Button, aber der McLaren-Pilot konnte den Vorsprung im Finish binnen weniger Runden von weniger als drei auf 12,2 Sekunden ausbauen - ein Podium, mit dem er nach seinem völlig verkorksten Start überhaupt nicht mehr gerechnet hätte.
"Meine erste Runde war eine einzige Katastrophe", schildert Button seinen Rückfall vom fünften Startplatz auf Rang zehn bis zum ersten Überfahren der Ziellinie. "Ich steckte in der ersten Kurve außen fest und verlor auch in der dritten Kurve noch Plätze. Aber wir hatten eine fantastische Strategie, sodass es doch noch ein Podium geworden ist. Die drei Stopps haben funktioniert. Vor zwei Wochen war das noch anders."
Schumacher ausnahmsweise vor Rosberg
Genau andersrum erging es Michael Schumacher (Mercedes), der eines seiner besseren Rennen in dieser Saison fuhr und sich am Start in unwiderstehlicher Manier vom zehnten auf den sechsten Platz nach vorne schob. Trotzdem ist er nicht hundertprozentig zufrieden: "Die Balance und die Fahrerei waren ein Krampf. Es war sehr rutschig und ich hatte viel Übersteuern und konnte das Auto nie so fahren, wie ich wollte, weil es die Reifen nicht zugelassen haben", lamentiert er.
Dennoch konnte er sich erfolgreich gegen seinen Teamkollegen Nico Rosberg verteidigen, der einen schwierigen Nachmittag erlebte. Rosberg war vor dem letzten Stopp an Schumacher dran, verlor dann in der 47. Runde zweieinhalb Sekunden, als er Vettel und Hamilton durchwinkte, arbeitete sich mit dem letzten Reifensatz aber wieder bis auf 0,8 Sekunden heran. Warum er keine Attacke mehr setzte? "Ich wäre vorbeigegangen, wenn mein Heckflügel funktioniert hätte", murrt er.
Überhaupt erlebte der Deutsche in Barcelona einen Tag zum Vergessen: "Heute hat nichts funktioniert. Mein Heckflügel ging nie runter, daher hatte ich echt Schwierigkeiten beim Überholen. Die Trinkflasche und der Funk waren auch kaputt - ich musste raten, wann ich reinkommen soll. Schade, denn vom Speed her wäre es ein guter Tag gewesen, glaube ich", lautet die Bilanz des Mercedes-Piloten, der letztendlich Siebter wurde.
Damit kann er sogar noch zufrieden sein, denn am Ende retteten die beiden Silberpfeile gerade mal 0,4 Sekunden Vorsprung auf Nick Heidfeld (Renault) über die Ziellinie, der dank seiner neuen Pirelli-Options das Feld von hinten aufrollte und wie ein D-Zug angeflogen kam. Heidfeld startete als einer von ganz wenigen Piloten auf der härteren Reifenmischung, konnte aber im Finish binnen vier Runden mehr als zehn Sekunden aufholen!
Heidfeld setzt angekündigte Aufholjagd um
"Das hat extrem viel Spaß gemacht", strahlt der Renault-Routinier. "Ein zwei, Runden mehr, dann wäre es Platz sechs geworden, aber hätte, wenn und aber gibt es nicht. Aber wenn man vom letzten Startplatz startet und noch Achter wird, muss man zufrieden sein." Zumal er kurz zuvor noch Massa und Sergio Perez (Sauber) geschnappt hatte, die zuvor untereinander die Plätze getauscht hatten - was Perez Szenenapplaus einbrachte.
Für Massa war der frustrierende Arbeitstag wenig später an zehnter Stelle liegend gelaufen, als er mit Verdacht auf Getriebeschaden ausrollte. Dadurch erbte Kamui Kobayashi (Sauber) noch einen WM-Zähler, unmittelbar vor Witali Petrow (Renault), Paul di Resta, Adrian Sutil (beide Force India) und Sebastien Buemi (Toro Rosso). Letzterer lag zu Beginn des Rennens noch vor Button an neunter Stelle, doch das sollten heute seine besten Szenen bleiben.
Trotz der Vierstoppstrategien war Barcelona ein wesentlich einfacher zu lesendes Rennen als das Chaos von Istanbul. Auch gab es weniger, aber doch genug Überholmanöver. Das vielleicht schönste zeigte Button, als er in der 36. Runden in Kurve eins außen an Webber vorbeizog und es beinahe zu einer Berührung gekommen wäre. In jener Phase hatte der McLaren-Pilot den Vorteil weicher Reifen, während Webber mit den härteren Pirelli-Primes unterwegs war.
In der Weltmeisterschaft führt Vettel nun mit 118 von 125 möglichen Punkten (!) überlegen vor Hamilton (77), Teamkollege Webber (66), Button (61) und Alonso (51). Das will vor der Abreise nach Monte Carlo, wo es schon am kommenden Wochenende weitergeht, ordentlich gefeiert werden: "Ich werde mit Sicherheit hier noch einen trinken", grinst "Super-Seb", der auf jeden Fall auch Monte Carlo als WM-Leader verlassen wird.