Pole auch in China: Vettel deklassiert Button und Co.
Mark Webber prominentes Q1-Opfer, Sebastian Vettel weiterhin auf Wolke sieben: Das Qualifying in Schanghai hatte eine Menge zu bieten...
(Motorsport-Total.com) - Weltmeister Sebastian Vettel schwebt weiterhin auf Wolke sieben - und die besteht in Schanghai im Gegensatz zu gestern, als viele Industriefabriken noch in Betrieb waren, nicht aus Smog, sondern basiert auf Euphorie! Denn der Red-Bull-Pilot zeigte erst im entscheidenden Moment, wie überlegen er an diesem Wochenende ist, und sicherte sich eine weitere Pole-Position.
Es ist die 18. seiner Karriere und die dritte im dritten Qualifying dieser Saison - und noch dazu eine besonders süße, weil sein Teamkollege und damit schärfster Rivale Mark Webber im WM-Rennen einen weiteren herben Rückschlag hinnehmen musste. Somit sind Vettels Hauptkonkurrenten um den Sieg in Schanghai die beiden McLaren-Piloten Jenson Button und Lewis Hamilton, die heute erstmals mit (gewöhnungsbedürftigen) roten Rennoveralls unterwegs waren.
Button resigniert gegen Vettel
Button fehlten am Ende 0,715 Sekunden - in der Formel 1 eine halbe Ewigkeit: "Im Eifer des Gefechts glaubst du immer, dass was geht, aber letztendlich war Sebastian überlegen", resigniert der Vorjahressieger. "Ich bin früh rausgegangen, um eventuell ein zweites Mal auf Pole attackieren zu können, aber als ich dann Sebastians Zeit sah, war mir klar, dass es bestenfalls um den zweiten Platz geht. Aber ich bin damit nicht unzufrieden."
Vettel und Button waren die einzigen Topfahrer, die sich in Q3 die Variante offenhielten, zwei Runs zu fahren. Vettels Vorlage war dann aber so stark, dass er seinen zweiten Versuch abbrechen konnte, um nicht unnötig Reifen zu verschwenden. Insofern ist seine Ausgangslage für den Hattrick am Saisonbeginn hervorragend: "Ich bin guter Dinge", sagt er, "aber es kann auch gefährlich sein, wenn man sich zu sicher ist. Ich passe auf, dass das nicht passiert."
"Wir haben es wieder geschafft, aber ich versuche, mich und das Team stets daran zu erinnern, dass jedes einzelne Mal schwierig ist. Es war nicht so leicht, wie es ausgesehen hat", gibt der amtierende Weltmeister und zweifache Saisonsieger zu Protokoll. "Ich hatte in Q2 einen Fehler, Q3 war zum Glück besser. Wieder mal gute Arbeit, aber morgen sind das nur acht Meter Unterschied. Mit dem Auto und allem anderen bin ich aber so glücklich, wie ich nur sein kann."
Entwarnung: Kein Sitzstreik
Erschrocken sind seine Fans, als Vettel im Parc Ferme minutenlang sitzen blieb. Zwar gab er mittels Daumen hoch Entwarnung, aber zunächst wusste niemand genau, was der Grund für seine Sitzeinlage war. Inzwischen ist bekannt: Vettel wartete darauf, dass ihm ein FIA-Mitarbeiter wegen des Wiegens das Okay gibt, aussteigen zu dürfen. "Vielleicht habe ich den übersehen", nimmt es der bisherige Dominator aller vier Sessions an diesem Wochenende aber gelassen.
Hamilton drehte im Top-10-Finale nur einen einzigen Run und verlor das Stallduell gegen Button um 42 Tausendstelsekunden. Warum so eine Taktik, Lewis? "Das letzte Rennen hat gezeigt, wie wichtig es ist, im Rennen frische Reifen zu haben", argumentiert er und sieht sich für das Rennen "in einer guten Position", denn: "Ich habe noch frische Options und frische Primes und noch einen Satz Options, der in einigermaßen gutem Zustand ist."
Die größte "Rundenschleuder" des Qualifyings war übrigens Nico Rosberg (4./Mercedes) mit 19 Umläufen, während Webber mit acht auskam. Doch dass Reifensparen nicht immer der richtige Weg sein muss, belegt Webbers Schicksal: Der Australier, nach gewaltigen technischen Problemen im Freien Training ohne KERS unterwegs, verzockte sich mit den härteren Pirelli-Primes und verpasste den Einzug unter die besten 17 um drei Zehntelsekunden.
Kobayashi zeigt vor, wie es geht
"Wir haben gedacht, es würde auch so reichen", ärgert sich Webber. "Letztlich habe ich die Reifen nicht zum Arbeiten gebracht. Unser Problem. Natürlich wäre ich mit den weichen Reifen schneller gewesen, aber wir haben uns verschätzt." Auf die Frage, wer die Taktik festgelegt hat, entgegnet er: "Die Entscheidung wurde an der Boxenmauer getroffen." Ironie an der Geschichte: Kamui Kobayashi (Sauber) stieg als 17. mit den wenigsten Runden (vier) in Q1 auf...
Rosberg agierte deutlich konservativer, wurde dafür aber belohnt: Platz vier, eine Sekunde hinter Vettel, nur zwei Zehntelsekunden hinter McLaren. "Das ist natürlich ein positives Ergebnis", jubelt er. "Ich bin ein bisschen überrascht, aber wir haben wirklich einen Schritt nach vorne gemacht." Zuvor hatte Sportchef Norbert Haug gesagt, dass es derzeit "undenkbar" sei, "McLaren oder Red Bull zu schlagen, aber wenn wir bei den Verfolgern mitmischen können, ist das in Ordnung."
Mission erfüllt, wenn auch nur mit einem Auto. Denn Michael Schumacher schrammte als 14. am Cut vorbei - zum dritten Mal im dritten Qualifying der Saison. Darüber, ob es ohne rote Flagge anders ausgesehen hätte, "darf man gerne spekulieren", aber: "Faktum ist, dass es nicht gereicht hat, weil ich die Runde nicht zusammengebracht habe. Schade, denn wir hatten uns vor dem Wochenende Platz fünf und sechs vorgenommen gehabt. Das war auch mehr als realistisch."
Chaos in den letzten zwei Minuten
"China ist nicht so ganz mein Pflaster", seufzt Schumacher und vergisst dabei, dass er in Schanghai 2006 seinen bisher letzten Grand-Prix-Sieg gefeiert hat. Doch 2010 wurde er in einem Regenrennen regelrecht vorgeführt und auch heute vergab er die intakte Chance auf den Finaleinzug letztendlich selbst, als er sich in der vorletzten Kurve verbremste. Das Chaos in den letzten 2:02 Minuten von Q2 war wohl nicht ausschlaggebend.
Dass es in Q2 überhaupt so hektisch wurde, lag an Witali Petrow, der an vierter Stelle liegend ausrollte. "Da stimmt etwas mit den Gängen nicht", funkte er an die Renault-Box. Kommentar von Rubens Barrichello (15./Williams): "Ich hoffe, er kriegt eine Strafe, denn es ist nicht fair, in der Mitte der Fahrbahn stehen zu bleiben." So kam es zu hektischem Treiben in der Boxengasse, weil die Zeit für einen abschließenden Run knapp wurde.
Während Rosberg trotz Verkehrs im letzten Sektor noch eine Verbesserung schaffte, warfen Schumacher und auch Nick Heidfeld (Renault) ihre verbleibende Minichance weg. Heidfeld hatte hoch gepokert und war als einziger Fahrer noch nicht auf die Strecke gegangen, hatte daher noch keine Zeit auf seinem Konto. Im hektischen Treiben der letzten 122 Sekunden gelang es ihm nicht mehr, eine Top-10-Zeit zu setzen - Startplatz 16.
Heidfeld ärgert sich zurecht
"Natürlich wäre mehr drin gewesen als P16, aber das war einfach ein bisschen Pech. Alle wollten noch eine Runde fahren, aber es war nicht viel Zeit", analysiert der Deutsche und glaubt, dass seine Position in der Boxengasse, als die Session wieder eröffnet wurde, entscheidend war: "Wir waren leider im Pack nicht ganz vorne und hatten daher viel Verkehr. Es wäre besser gewesen, auf weichen Reifen früher rauszugehen, aber im Nachhinein ist man immer schlauer."
Hinter den beiden Ferraris (Fernando Alonso: "Ein Podestplatz wird schwierig") überraschten Jaime Alguersuari (Toro Rosso/+2,452) und Geburtstagskind Paul di Resta (Force India/+2,484) in der vierten Startreihe, unmittelbar vor Sebastien Buemi (Toro Rosso/+2,497). Di Restas Teamkollege Adrian Sutil wurde Elfter: "Durch die rote Flagge hat es mir die letzte Runde genommen, sonst wäre Q3 wahrscheinlich möglich gewesen. Aber ich bin mit dem elften Platz zufrieden", sagt er.
Ansonsten gab es keine nennenswerten Überraschungen, abgesehen vielleicht davon, dass sowohl HRT wie auch Marussia-Virgin nicht die geringste Mühe mit der 107-Prozent-Hürde hatten. Morgen werden also alle 24 Autos in den achten Grand Prix von China starten - und für 23 davon wäre ein Sieg eine Riesenüberraschung. Unter normalen Umständen wird es für Vettels Gegner nämlich ganz schwierig, dessen Siegesserie zu beenden...