Singapur: Alonso hält Vettel in Schach!
Die Fahrer-WM bleibt spannend: Fernando Alonso siegt im Nachtrennen zwei Zehntelsekunden vor Vettel - Hamilton nach Kollision mit Webber out
(Motorsport-Total.com) - "Ich kann schneller fahren als er, ich pushe überhaupt nicht!" Diese Worte funkte Sebastian Vettel zu Beginn des heutigen Grand Prix von Singapur an seinen Renningenieur Guillaume Rocquelin, als er hinter Fernando Alonso an zweiter Stelle lag. Doch der Red-Bull-Pilot sollte im Verlauf einer langen Formel-1-Nacht noch mehr Gelegenheit haben, das Heck des Ferrari zu studieren, als ihm lieb war...
Nach 61 teilweise sehr spannenden Runden oder 1:57:53.579 Stunden überquerte Alonso als Sieger die Ziellinie, genau 293 Tausendstelsekunden vor Vettel, der sich nach einem nur bis zum Qualifying dominanten Wochenende darüber ärgern muss, sieben Punkte liegen gelassen zu haben. Aber der Deutsche sammelte auch als Zweiter wichtige Zähler für die Weltmeisterschaft und versicherte seiner Crew nach der Zieldurchfahrt: "Macht euch keine Sorgen, die kriegen wir schon noch!"
Entscheidung schon im Qualifying?
Die Entscheidung im einsamen Duell zwischen Alonso und Vettel fiel wohl schon gestern: "Ohne Pole hätten wir nicht gewinnen können", gesteht Ferrari-Chefrenningenieur Chris Dyer. "Die perfekte Runde von Fernando im Qualifying war entscheidend." Red-Bull-Teamchef Christian Horner sieht das genauso: "Vom zweiten Platz zu starten, war ein kleiner Nachteil, aber Sebastian hat bei dieser Hitze zwei Stunden lang jede Runde voll attackiert."
"Fernando", erklärt der Brite weiter, "war auf den weichen Reifen etwas schneller. Alles in allem war es ein Zweikampf auf höchstem Niveau." Die im Nachhinein betrachtet wohl einzige Chance, an Alonso vorbeizugehen, wäre der gleichzeitige Boxenstopp in Runde 29 gewesen, doch Vettel war irrtümlich im zweiten Gang und musste nachkuppeln. Aber: "Das hat nur Sekundenbruchteile gekostet", nimmt ihn Horner in Schutz. "Es wäre nicht möglich gewesen, in Führung zu gehen."
Vettel hatte es von Anfang an schwer, denn schon nach wenigen Runden machte ihn das Team darauf aufmerksam, die Temperatur der Bremsen im Auge zu behalten: "Am Anfang musste ich Fernando leider ein bisschen ziehen lassen", bestätigt er, "und am Ende des Stints waren meine Reifen ziemlich hinüber. Ich habe versucht, ihn in einen Fehler zu treiben, aber er hat keinen gemacht. Ihn zu überholen, wäre zu riskant gewesen, aber der zweite Platz bedeutet gute Punkte."
Nur wenige Chancen für Vettel
"Gestern hat ein bisschen was gefehlt. Vielleicht war das heute entscheidend", trauert Vettel der entgangenen Pole-Position nach. Aber Alonso hatte dennoch keinen leichten Arbeitstag: "Der Start war sehr gut", berichtet der Ferrari-Pilot. "Mit den Safety-Cars und den Überrundungen am Ende sowie der gelben Flagge auf der Zielgerade war es schwierig, den Abstand zu kontrollieren. Ich habe versucht, mich so gut es geht auf Sebastian zu konzentrieren, ohne etwas zu riskieren."
Denn in der letzten Runde wurde es doch noch einmal spannend: Nach einer Kollision zwischen Heikki Kovalainen (Lotus) und Sébastien Buemi (Toro Rosso) rollte Kovalainen mit Feuer im Heck aus, bog aber nicht an die Box ab, sondern blieb bei Start und Ziel stehen. Der Finne nahm selbst einen Feuerlöscher in die Hand und verursachte eine riesige Rauchwolke sowie gelbe Flaggen, durch die Vettel noch einmal aufschließen konnte.
Aber Alonso behielt kühlen Kopf, baute den Vorsprung zu Beginn der letzten Runde wieder auf ein paar Fahrzeuglängen aus, hatte dann Glück, dass Vitaly Petrov (Renault) beim Überrunden mitspielte - und war damit dann auch auf der sicheren Seite. Denn ein Überholmanöver im letzten Sektor wäre wegen der gelben Flaggen regelwidrig gewesen, sodass der Weltmeister von 2005 und 2006 nur noch locker über die Ziellinie fahren musste.
Hamilton am Start kompromisslos
Was sich heute hinter den beiden Dominatoren der Nacht von Singapur abspielte, hatte mit der Vergabe um den Sieg nichts zu tun. Schon am Start ging es zwischen Alonso und Vettel heiß her, während dahinter Lewis Hamilton nur deswegen vor Jenson Button (McLaren) blieb, weil er vor der ersten Kurve deutlich später bremste. Dahinter war Mark Webber (Red Bull) sicher auf Platz fünf: "Danke ans Team, endlich hat mal wieder ein Start geklappt", freut sich der Australier.
Gleich am Ende der ersten Runde kam dann Felipe Massa (Ferrari) an die Box - und zwar planmäßig, in der Hoffnung auf eine frühe Safety-Car-Phase. Diesen Wunsch sollte der Formel-1-Gott tatsächlich erfüllen: Nach einem Scharmützel zwischen Vitantonio Liuzzi (Force India) und Nick Heidfeld (Sauber), das Liuzzi das Rennen und Heidfeld den Frontflügel kostete, schickte die Rennleitung Bernd Mayländer im neuerdings von einer Versicherung gesponserten Safety-Car auf die Strecke.
Safety-Car: Nur Webber an der Box
Die Top 4 blieben auf der Strecke, Webbers Renningenieur Ciaran Pilbeam empfahl seinem Schützling jedoch, an die Box zu kommen und einen ähnlichen Poker wie Massa zu riskieren: "Das kann jetzt ein paar Runden lang frustrierend werden, Mark, aber es kann sich lohnen!" Und tatsächlich hatte der Red-Bull-Pilot seine Zweifel, als er als Elfter hinter Timo Glock (Virgin) auf die Strecke zurückkam und seine vier WM-Gegner nur noch in der Ferne sah.
"Ich habe das Team anfangs kritisch hinterfragt, aber dann sah ich ein, dass es richtig ist. Ich habe ein paar Jungs überholt und stand erst hinter Rubens an", so Webber. Mit "ein paar Jungs" meint er konkret: Glock, Kamui Kobayashi (Sauber) und Michael Schumacher (Mercedes). Anschließend schonte er seine Reifen - und profitierte von der strategischen Fehlentscheidung des McLaren-Teams, Hamilton/Button mit abbauenden Pneus draußen zu lassen.
Denn als die beiden an die Box kommen mussten, fielen sie hinter Webber zurück, der damit plötzlich an dritter Stelle lag. Doch Hamilton gab sich nicht geschlagen und wollte beim zweiten Restart in Runde 36 den Vorteil der frischeren Slicks nutzen, setzte sich am Raffles-Boulevard neben den Red Bull, probierte es in der folgenden Linkskurve außen - und zog etwas zu früh nach innen, sodass es zur Kollision kam. Webber konnte weiterfahren, Hamilton blieb entnervt stehen.
Hamilton hatte Webber im toten Winkel
"Ich hatte ihn im toten Winkel und wusste nicht, dass er noch neben mir war. Ich muss mir das Replay anschauen, aber ich haben niemanden neben mir gesehen", schildert Hamilton seine Sicht der Dinge. Webber äußert sich ebenfalls neutral: "Ich steckte hinter einem Virgin fest und verlor dadurch ein bisschen Schwung. Lewis kam neben mich und leider berührten wir uns. Mein rechter Vorderreifen hätte da hinüber sein können."
"Das Problem begann, als Timo Glock beim Restart nicht aus dem Weg ging", analysiert Red-Bull-Teamchef Horner. "Dadurch wurde Mark aufgehalten, Lewis konnte sich neben ihn setzen, ließ ihm aber nicht genug Raum. Ich finde, die Rennkommissare haben sich richtig entschieden." Denn die nahmen die Kollision zwar genau unter die Lupe, entschieden aber, dass gegen keinen der beiden Beteiligten eine Strafe ausgesprochen werden muss.
Ein Urteil, das die geschulten Beobachter im Fahrerlager begrüßen: "Es war ein Rennunfall. Wenn ich FIA-Kommissar wäre, würde ich auch keinem die Schuld geben", meint Ex-Grand-Prix-Pilot Anthony Davidson, und 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer analysiert: "Das hat sich Hamilton selbst zuzuschreiben. Es außen zu probieren, das kann nicht gut ausgehen. Aber Webber hat natürlich schon dagegengehalten."
Wertvoller dritter Platz für Webber
Webber hatte von da an leichtes Spiel, weitere 15 Punkte mit nach Hause zu nehmen und die WM-Führung sogar auf elf Zähler vor Alonso auszubauen. Dementsprechend zufrieden fällt seine Bilanz aus: "Ich bin mit Platz drei sehr happy, denn das war das schwierigste Wochenende des Jahres für mich. Ich musste nur Ruhe bewahren und durfte keine Panik schieben. Wenn man mir den dritten Platz heute Morgen angeboten hätte, dann hätte ich ihn sofort genommen!"
Nico Rosberg (Mercedes) erreichte heute sein Ziel, im Rennen an Rubens Barrichello (Williams) vorbeizugehen, und wurde mit 49,3 Sekunden Rückstand auf Sieger Alonso Fünfter. Der wahrscheinlich auffälligste Fahrer der Schlussphase war jedoch Robert Kubica (Renault), der erst mit Reifenschaden rechts hinten ein zweites Mal an die Box kommen musste, dann aber vom zwölften Platz aus eine furiose Aufholjagd startete.
Trotzige Aufholjagd von Kubica
Mit dem Vorteil der neuen Reifen schnupfte der Pole der Reihe nach Buemi, seinen Teamkollegen Petrov, Massa, Nico Hülkenberg (Williams) und Adrian Sutil (Force India), was am Ende den siebten Platz für ihn bedeutete - und dass man sogar in Singapur überholen kann, bewies er am besten, als er ausgerechnet auf der engen Anderson-Bridge Petrov stehen ließ, auch wenn der sich naturgemäß nicht mit Händen und Füßen wehrte.
Hinter Sutil und Hülkenberg staubte Massa dank seiner unkonventionellen Strategie den letzten Punkt ab. Insgesamt kamen 16 Autos in die Wertung, darunter auch Mercedes-Superstar Michael Schumacher als 13. "Wir haben heute wie bei den letzten Rennen das Beste aus unseren derzeitigen Möglichkeiten gemacht", findet Sportchef Norbert Haug. "Michael hatte eine erlebnisreiche Nachtpremiere mit einigen Berührungen und Drehern, aber er fuhr immer weiter."
Auch nach einer innerdeutschen Kollision: In der 37. Runde geriet er in der Webber/Hamilton-Kurve ausgerechnet mit seinem Ex-Teamkollegen Heidfeld aneinander, für den der chaotische Comeback-Grand-Prix damit beendet war. Bereits davor hatte sich Schumacher ein handfestes Gerangel mit Heidfelds Teamkollege Kobayashi geliefert. Der siebenfache Weltmeister holte sich nach diesen Berührungen einen neuen Frontflügel ab und spielte danach keine Rolle mehr.
Tunnel unter der Tribüne "verstopft"
Für die zweite Safety-Car-Phase zwischen der 32. und 36. Runde konnte Schumacher nur bedingt etwas: Kobayashi krachte kurz nach der Berührung mit dem Mercedes in der Unterführung bei der Zuschauertribüne gegen die Mauer - und Bruno Senna (HRT) konnte nicht mehr ausweichen. Apropos HRT: Christian Klien lag bei seinem Comeback stets einige Sekunden vor Senna, musste aber während der Safety-Car-Phase mit technischem Defekt an der Box abstellen.
In der Fahrer-WM führt vier Rennen vor Schluss Webber mit 202 Punkten vor Alonso (191), Hamilton (182), Vettel (181) und Button (177). "Die WM bleibt spannend", findet Alonso. "Mark hat einen kleinen Vorteil, aber wir werden auch unser Bestes geben. Hoffentlich reicht es, aber ihr könnt euch darauf verlassen, dass ich bis Abu Dhabi kämpfen werde!" Interessant: Nach wie vor liegen die fünf Topfahrer innerhalb der Punktespanne eines einzigen Sieges...
"Hamilton", sagt Experte Surer nach dem heutigen K.O. des Weltmeisters von 2008, "ist noch nicht draußen, aber er macht es sich selbst schwer. In Monza hat er Scheiße gebaut und heute war wieder eher er schuld." Nicht zuletzt dadurch konnte Red Bull (383) den Vorsprung in der Konstrukteurs-WM auf 24 Zähler ausbauen. Dritter ist Ferrari (316). Weiter geht es am 10. Oktober mit dem Grand Prix von Japan in Suzuka.