Volles Risiko: Mercedes hofft auf ein Wunder
Regentänze und volles Risiko: Mit diesem Erfolgsrezept will Mercedes in Spa-Francorchamps vielleicht sogar für eine Sensation sorgen
(Motorsport-Total.com) - Schon vor dem Qualifying in Spa-Francorchamps war klar, dass es Mercedes morgen im Grand Prix von Belgien schwer haben würde, denn Nico Rosberg (Getriebewechsel) wurde mit einer Strafversetzung um fünf, Michael Schumacher (harte Fahrweise gegen Rubens Barrichello am Hungaroring) sogar mit einer um zehn Positionen belegt.
Doch was auf den ersten Blick wie ein Fluch erscheint, könnte mit ein bisschen Glück zum Segen werden. Rosberg und Schumacher werden morgen vom 14. beziehungsweise 21. Startplatz ins Rennen gehen und haben dementsprechend wenig zu verlieren. Also entschieden sich die beiden Fahrer für ein Regensetup (Ross Brawn: "Nicos ist extremer als das von Michael"), was sich bei einer 65-prozentigen Regenwahrscheinlichkeit als silberner Goldgriff entpuppen könnte.
Nichts zu verlieren
"Wir hoffen auf Regen", gesteht Teamchef Brawn. "Nico hat sich für ein sehr weiches Setup mit Fokus auf Regen entschieden. In unserer Position kann man riskantere Entscheidungen treffen, weil wir nicht viel zu verlieren haben. Heute hat es bei beiden Rahmenrennen gleich zu Beginn Safety-Car-Phasen gegeben. Das könnte uns auch in die Hände spielen. Wir haben vor, morgen ziemlich zu riskieren und zu versuchen, aus den Safety-Car-Phasen einen Nutzen zu ziehen."
Besonders Rosberg scheint wild entschlossen zu sein, das Messer zwischen die Zähne zu nehmen und eine tolle Show abzuziehen, sollte ihm der Wettergott helfen: "Im Wissen, dass ich irgendwo zwischen Platz 13 und 17 landen würde, entschied ich mich für ein ziemlich aggressives Regensetup. Daher hoffe ich auf Regen", sagt er. "Das ist meine einzige Chance - und keine schlechte - etwas zu erreichen. Außerdem fühlte sich das Auto heute auf feuchter Strecke mit Slicks ganz gut an."
Die Konkurrenz ist größtenteils mit einem konventionellen Setup unterwegs, um kein Risiko einzugehen. So wirkt sich zum Beispiel eine kürzere Getriebeübersetzung vorteilhaft auf die Fahrbarkeit des Motors aus, allerdings ist ein zu kurzer siebter Gang auf der langen Kemmel-Geraden natürlich ein gewaltiger Nachteil, sollte es trocken sein. Die Mercedes-Taktik kann also entweder mit einer Sensation oder mit einer totalen Pleite enden.
Ein weiterer Beweggrund, auf ein Regensetup zu setzen, war das F-Schacht-System: "Es funktioniert gut. Das war auch ein Grund für unsere Entscheidung, angesichts eines möglichen Regenrennens mehr Anpressdruck zu fahren, denn der F-Schacht vernichtet enorm viel Luftwiderstand", erläutert Brawn. Sprich: Auf den Geraden sollte der Topspeed dank F-Schacht trotz verhältnismäßig steil eingestellter Flügel einigermaßen gut sein.
Im Qualifying schrammten die Mercedes-Piloten übrigens nur um 53 beziehungsweise 64 Tausendstelsekunden am Einzug ins Top-10-Finale vorbei. "Q1 haben wir unter schwierigen Umständen gut hinbekommen", berichtet Brawn. "In Q2 haben wir versucht, ganz zum Schluss zu fahren, denn die Strecke wurde immer besser. Leider litten wir wieder an dieser magnetischen Anziehungskraft, die unsere Autos füreinander zu haben scheinen!"
Mit dem Verkehr verzettelt
"Sie lagen eng beisammen, konnten aber keinen Abstand entstehen lassen, weil es mit der Zeit knapp war. Buemi hat dann vor Nico einen Fehler gemacht und war vor Nicos Nase. Nico konnte sich nicht zurückfallen lassen, weil er Michael hinter sich hatte. Dann haben wir Q3 nur um Bruchteile verpasst. Ich glaube, wir wären dafür locker gut genug gewesen. Für ganz vorne hätte es jedoch nicht gereicht", gibt der Brite zu. Übrigens: Buemi wurde für seine Blockade um drei Plätze nach hinten versetzt.
Die Verkehrsprobleme hätten sich die Silberpfeile vielleicht sparen können, wenn sie früher auf die Strecke gegangen wären, aber: "Ich hätte nicht früher rausgehen können. Nico auch nicht, glaube ich", verweist Schumacher auf das notwendige Betanken und den Reifenwechsel, den seine Crew durchführen musste. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber, dass es laut Angaben von Brawn eine bewusste Entscheidung war, bis zum Ende zu warten.
Trotz des 21. Startplatzes ist Schumacher über das Abschneiden "nicht enttäuscht. Bestenfalls wäre vielleicht ein 16. Startplatz drin gewesen, jetzt bin ich 21. Vielleicht hätte ich heute Neunter oder Zehnter werden können, aber mehr ging halt nicht", sieht der siebenfache Weltmeister ein. "Wir wissen, dass wir aus eigener Kraft keine Rennen gewinnen können, aber bei den Verhältnissen an diesem Wochenende, wer weiß? Alles kann passieren."
So weit hinten wie diesmal stand der 41-Jährige in seinem "Wohnzimmer" übrigens noch nie: Bei seiner Formel-1-Premiere 1991 auf Jordan sicherte er sich den siebten Startplatz, 1995 (Benetton) gab es einen Ausreißer mit Rang 16 und im Ferrari-Seuchenjahr 2005 wurde er nur Sechster. Ansonsten hatte Schumacher ein Abonnement auf die ersten zwei Startreihen. Seine Vorfreude auf das Rennen trübt die schlechte Ausgangsposition aber nicht.
"Angesichts meiner Geschichte auf dieser Strecke und angesichts meiner dreijährigen Pause ist die Freude natürlich riesengroß, wieder hier zu fahren. Wir fahren nicht ganz vorne mit, aber das Handling war gar nicht so schlecht. Das Fahren hat Spaß gemacht", so Schumacher, der in der ersten Kurve "so aggressiv wie möglich" agieren will. Aber: "Du musst auch heil über die Distanz kommen, ohne dass du dir zum Beispiel an der Box einen neuen Frontflügel abholen musst..."